Gewalt bei Kräftemessen in Ägypten: Wie lässt sich jetzt vermitteln?

Interview mit Dietmar Ringel
Veröffentlicht: 
rbb-Inforadio, 14.08.2013
Thema: 
Zur aktuellen Situation in Ägypten

Das ägyptische Militär hat die beiden großen Protestlager der Mursi-Anhänger geräumt. Dabei gab es mehrere Tote, genaue Zahlen sind noch nicht klar. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Mützenich, äußerte sich tief besorgt über die Entwicklung in Ägypten.

Es müsse in den nächsten Stunden und Tagen mit einer weiteren Eskalation der Lage gerechnet werden, sagte Rolf Mützenich im rbb-Inforadio. Er appellierte an beide Seiten, den Dialog zu suchen. Man müsse es insbesondere auf einen Kompromiss zwischen Opposition und Regierung anlegen. Die Opposition dürfe sich nicht zurückziehen, sondern müsse auch eine Verantwortung für das Land haben, so Mützenich.

Dietmar Ringel: Anfang Juli wurde Präsident Mursi von der Armee abgesetzt und in Untersuchungshaft genommen. Seiher spitzt sich die Lage dramatisch zu. Hunderte Tote hat es bereits gegeben, vor allem unter den Anhängern Mursis, die mit Demonstrationen und Protest-Camps dessen Freilassung fordern. Heute das das ägyptische Militär die beiden großen Protest-Camps in Kairo räumen lassen. Dabei gab es erneut Tote und Verletzte, wie viele genau, ist noch unklar, es dürften mehr als 100 Tote sein. Und mittlerweile hat das Militär den Ausnahmezustand über das gesamte Land verhängt.
Rolf Mützenich ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, jetzt ist er hier am Telefon, schönen guten Tag!

Rolf Mützenich: Guten Tag, Herr Ringel!

Ringel: Herr Mützenich, Bundesaußenminister Westerwelle hat sich besorgt gehäußert, alle Seiten aufgefordert zu einem politischen Prozess zurück zu kehren. Ähnliche Töne kommen von der EU aus Brüssel. Aber wird das in Kairo irgendjemanden interessieren?

Mützenich: Das glaube ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Ob es in den nächsten Tagen oder Wochen dazu Möglichkeiten gibt, insbesondere von Seiten der Europäischen Union, und Lady Ashton hat ja diesen Versuch vor einigen Tagen auch gemacht, wieder erneut unternommen werden kann, das werden wir sehen. Aber ich glaube, dass wir in den nächsten Stunden, aber auch Tagen, mit weiteren Eskalationen rechnen müssen.

Ringel: Nun haben die USA, auch die EU und Deutschland übereinstimmend gefordert, zumindest den abgesetzten, inhaftierten Präsident Mursi auf freien Fuß zu setzen. Hätten nicht wenigsten die USA auch die Mittel, dieses wenigstens auch durchzudrücken, in Klammern: Militärhilfe für Ägypten?

Mützenich: Das glaube ich auch, aber es scheint in den USA auch unterschiedliche Akteure zu geben, die auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Wir haben ja die Reise von McCain und anderen Senatoren gesehen, auf der anderen Seite die Erklärungen von Seiten der Regierung von Außenminister Kerry. Hier könnten die USA jetzt auch in den nächsten Stunden deutlicher werden und unter Umständen auch die Militärhilfe streichen, weil Streitkräfte, die im Inneren gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden, sind aus meiner Sicht nicht hinnehmbar.

Ringel: Aber selbst wenn Mursi frei käme, Ägypten ist im Inneren ein gespaltenes Land. Die Frage ist, wie lässt sich die Lage wieder beruhigen, denn auf der einen Seite sind die Islamisten, auf der anderen Seite deren Gegner, wer auch immer an der Macht ist, die andere Seite wird es nicht akzeptieren. Wie kommt man raus aus dieser Zwickmühle?

Mützenich: Das ist richtig. Deswegen sind die Appelle, gemeinsam zu reden, durchaus richtig. Sie werden zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlich wenig helfen, aber es ist nach meinem Dafürhalten eben eine der Möglichkeiten unter Umständen auch mit einer Vermittlung hier auch zu gemeinsamen Aktivitäten zu kommen. Wir sehen ja auch, dass selbst die islamistischen Gruppen selbst sehr unterschiedlich agieren. Die so genannten Salafisten, die sich auch politisch betätigen, hatten sich ja gestern auch bereit erklärt, auch an der Übergangsregierung teilzunehmen. Also Gespräche sind schon notwendig und es ist insbesondere dringend erforderlich, dass die Muslimbruderschaft sich nicht weiter radikalisiert und sozusagen auch wieder in den Untergrund gedrängt wird.

Ringel: Wie bewerten Sie die Rolle des Militärs in der jetzigen Situation?

Mützenich: Das Militär hat, wie gesagt, gerade in der inneren Politik eine große Rolle gespielt und durch die Umbrüche in Ägypten natürlich auch eine Rolle verloren, die es jetzt möglicherweise wieder versucht mit Gewalt zurück zu erhalten. Die Übergangsregierung ist nach meinem Dafürhalten nur ein Akteur, das Militär ist sozusagen am entscheidenden Hebel. Und wir müssen deutlich machen, dass Militär politisch auch in Umbruchsituationen in der arabischen Welt langfristig keine politische Rolle spielen kann, sondern es muss sich lediglich auf seine Aufgaben konzentrieren.

Ringel: Lassen Sie uns nochmal auf Mursi schauen. Der wurde ja demokratisch gewählt als Präsident. Dann gab es viele Proteste gegen das, was er unternommen hat, auch aus Deutschland. Hätte der Westen es mehr würdigen sollen, dass Mursi ja immerhin doch, also zum Beispiel angekündigt hat, ein Verfassungsreferendum durch zu führen. Er war ja auf einem Weg, zumindest nicht auf dem des radikalen Kurses.

Mützenich: Nun, in der Tat, das kann man unterschiedlich sehen. Das große Problem in einzelnen Ländern gerade in der arabischen Region, ist ja, dass die Gruppen, die an die Macht kommen, an die Schalthebel der Macht oder sozusagen, ein Alles oder Nichts für sich reklamieren und das war auch, nach meinem Dafürhalten, das Problem der Muslimbruderschaft. Auf der anderen Seite müssen wir auch sehen, dass gerade die so genannte Opposition damals nicht bereit gewesen ist, auch zu Kompromissen zu kommen. Ich glaube, wie müssen es insbesondere darauf anlegen, dass in Umbruchgesellschaften ein Kompromiss gefunden wird, wo sozusagen die so genannte Opposition sich nicht einfach zurück zieht, sondern eben auch eine Verantwortung für das Land hat, aber dann die Regierung auch letztlich Kompromisse finden muss und das wird sich genau auch in den nächsten Wochen beweisen.