"US-Dienste haben freie Hand"
Was können Bundestag und Bundesregierung tun, um die Bürger vor dieser Spitzelei zu schützen?
Rolf Mützenich: Es ist notwendig, dass die Bundeskanzlerin jetzt direkten Kontakt mit dem amerikanischen Präsidenten sucht, um der massenhaften Bespitzelung durch die NSA ein Ende zu setzen. Die Abhörpraxis der US-Geheimdienste wurde offenbar von Bundeskanzlerin Merkel nicht ernst genug genommen und daher beim Besuch Obamas in Berlin nicht in angemessener Form thematisiert. Auch die EU-Kommission ist gefragt. Am besten wäre es, wenn die europäischen Regierungen gemeinsam vorgingen. Wenn es keine ausreichende Aufklärung gibt, muss man über zukünftige Gespräche wie über die Freihandelszone noch mal nachdenken.
Wie erschüttert ist das transatlantische Verhältnis?
Mützenich: Das Vorgehen des US-Geheimdienstes ist ein Vertrauensbruch, das sät Misstrauen. So geht man nicht mit Partnern um. Nach dem 11. September 2001 haben in den USA Geheimdienste in einer Form freie Hand bekommen, wie es für eine demokratische Gesellschaft nicht mehr erträglich ist. Das hat sich verselbstständigt und bedarf dringend der Korrektur durch den amerikanischen Kongress.
Glauben Sie, dass der BND und der Verfassungsschutz Kenntnis von der Praxis des US-Geheimdienstes hatten?
Mützenich: Das muss man jetzt erfragen. Im parlamentarischen Kontrollgremium müssen der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz den Politikern Auskunft darüber geben. Danach muss aber auch die Öffentlichkeit informiert werden.
Ist es nicht Zeit, sich bei Herrn Snowden zu bedanken, ohne den wir das alles nicht wüssten?
Mützenich: Solche mutigen Persönlichkeiten verdienen Respekt. Die Forderung, ihm nun in Europa Asyl zu gewähren, halte ich allerdings für voreilig und wenig hilfreich, da wir ein Auslieferungsabkommen mit den USA haben. Man muss den USA aber deutlich machen, dass Snowdens Taten nicht nur Geheimnisverrat sind, sondern dass sein Handeln auch im Interesse der politischen Kultur in den USA war und der Zurückdrängung eines ausufernden Sicherheits- und Überwachungsstaates dienen kann.