"Gegenüber roten Linien habe ich meine Skepsis"

Interview mit Judith Schulte-Loh
Veröffentlicht: 
WDR 5 Morgenecho, 28.03.2013
Thema: 
Interview zum russischen Vorgehen gegen politische Stiftungen.

Hunderte Nichtregierungs-Organisationen (NGOs) wurden in den vergangenen Tagen von russischen Behörden ins Visier genommen. Dr. Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion im WDR 5 Morgenecho über das richtige Maß an Kritik.

In Sankt Petersburg beschlagnahmten russische Beamte Computer, in Moskau wurden Büroräume der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung untersucht. Von Seiten der SPD ist die Kritik am russischen Vorgehen bisher relativ verhalten.

Judith Schulte-Loh: Warum ist die Kritik der SPD so zurückhaltend?

Rolf Mützenich: Ich glaube, dass sie im Verhältnis zu anderer Kritik nicht zurückhaltend war. Wir haben durchaus deutliche Worte gefunden, insbesondere bezüglich der Gesetzgebung, die in Russland erfolgte. Wir haben öffentlich - auch in Gesprächen mit Parlamentariern - die Verfolgung von Nichtregierungsorganisationen kritisiert.

Schulte-Loh:Vor den Untersuchungen der NGOs hatte Peer Steinbrück bezüglich des Verhältnisses zu Moskau in einem Interview gesagt, Menschenrechtsverletzungen und Demokratie-Defizite müssten in bilateralen Gesprächen und nicht auf dem Marktplatz erörtert werden. Teilen Sie diese Ansicht?

Mützenich: Man muss sich bei diesem Interview noch mal anschauen, welches die Eröffnungsfragen waren. Da ging es um Syrien - ob wir Partner oder Gegner sind bei der Bearbeitung dieses Konfliktes. Und da hat Peer Steinbrück nach meinem Dafürhalten zu Recht darauf hingewiesen, dass wir Russland bei der Lösung internationaler Konflikte brauchen. Andererseits müssen wir natürlich auch auf innenpolitische Entwicklungen Rücksicht nehmen. Unsere Analyse ist, dass in der Tat ein systematisches Vorgehen gegen Nichtregierungsorganisationen in Russland stattfindet, das jetzt die politischen Stiftungen erreicht. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch konstatieren, dass wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gegenüber Russland nach dem Ende der Sowjetunion entscheidende Fehler gemacht haben: bei der Ausweitung der Nato-Grenzen, insbesondere auch beim Vorschlag, eine gemeinsame Sicherheitszone zu schaffen. Aber ich glaube, unsere Kritik ist genau so entscheidend.

Schulte-Loh: Heißt das, wir brauchen Russland, also müssen wir Rücksicht nehmen? Können wir also Russlands Vorgehen gegen die Nichtregierungsorganisationen und deutsche Stiftungen nicht noch stärker kritisieren, als wir es jetzt schon tun?

Mützenich: Nein, man muss das überhaupt nicht relativieren. Ich kann jetzt nur von mir sprechen. Ich habe vor zwei Tagen in verschiedenen Zeitungen deutliche Kritik geäußert. Und ich glaube, das ist auch notwendig. Wir müssen Signale gegenüber der russischen Regierung geben, dass ihr Verhalten gegenüber Oppositionellen, gegenüber Menschenrechtsaktivisten nicht in Ordnung ist ? auch gegenüber denjenigen, die möglicherweise dem Mittelstand angehören in Russland, die eine politische Mitsprache verlangen. Und dafür muss es Reformen geben. Auf der anderen Seite gehört zu einer innenpolitischen Diskussion in Deutschland auch, dass wir über die Motivlage in Russland nachdenken müssen. Und insbesondere auch hier müssen wir deutlich machen, dass wir Russland in der Tat für die Bearbeitung internationaler Konflikte brauchen. Beides schließt sich nicht gegenseitig aus. Wir haben da nichts zu relativieren.

Schulte-Loh: Aber das, was in Russland passiert, ist nicht mehr unbedingt mit europäischen Standards von Meinungsfreiheit deckungsgleich. Gerade wenn versucht wird, kritische Organisationen systematisch mundtot zu machen. Ist das nicht eine Entwicklung, bei der man überlegen muss: Gibt es eine rote Linie, die man für sich ziehen muss als westlicher Politiker?

Mützenich: Gegenüber roten Linien habe ich sowieso meine Skepsis - auch in anderen internationalen Konflikten. Nein, man muss einfach deutlich werden. Und man tut das ja auch. Zum Beispiel in öffentlichen Diskussionen, zum Beispiel bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, mit russischen Besuchern in Berlin. Da sind Politiker, da sind Nichtregierungsorganisationen dabei. Die Friedrich-Ebert-Stiftung versucht, ihre Nischen zu finden, genau wie andere Stiftungen. Das wird von uns Bundestagsabgeordneten auch genutzt und unterstützt - und gegenüber den Institutionen in Russland auch deutlich vertreten: Das braucht ihr auch! Zur eigenen Aufklärung und auch zur eigenen Entwicklung des politischen Systems.

Schulte-Loh:Angela Merkel, die Kanzlerin, hat auch in den letzten Jahren immer wieder deutliche Wort gefunden für die Verletzung von Menschenrechten, auch gegenüber dem russischen Präsidenten. Steht sie mit ihrer Kritik, wenn man auf die westlichen Staaten guckt, zu sehr alleine da? Müsste es da einen größeren Schulterschluss mit anderen europäischen Staaten geben, um tatsächlich Russland zu sagen: Ihr seid Partner, Ihr seid ein Partner, den wir brauchen, aber bitteschön spielt auch schön nach unseren demokratischen Spielregeln.

Mützenich: Das glaube ich nicht, denn die Mehrzahl der Regierungsvertreter - ich nehme da mal Berlusconi, der sich ja damals quasi mit dem russischen Präsidenten verbrüdert hat, heraus - hat ja hier auch eine deutliche Kritik ausgesprochen. Das trifft auch für die Bundestagsfraktionen u. Auf der anderen Seite dürfen wir nicht vergessen, auch innerhalb der CDU/CSU , auch mit der FDP, gibt es Auseinandersetzungen, - ich erinnere nur an den gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen zu Russland, der vom Auswärtigen Amt, also von Guido Westerwelle nicht zensiert, aber redigiert worden ist, und da gibt es auch durchaus Differenzen in der Betrachtung Russlands selbst.

Schulte-Loh:Zum Vorgehen der russischen Regierung gegen politische Stiftungen und anderen Regierungsorganisationen war das Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD zu Besuch im Studio.