SPD-Außenpolitiker Mützenich: Romneys Denken lässt Wiederkehr der "Interventionsmacht" USA befürchten

Interview mit Rudolf Geissler
Veröffentlicht: 
SWR 2 Tagesgespräch, 23.10.2012
Thema: 
Kommentar zur dritten TV-Duell im US-Präsidentschaftswahlkampf

Zusammenfassung:

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, sieht nach dem dritten TV-Duell zwischen Präsident Obama und seinem Herausforderer Romney Anhaltspunkte dafür, dass bei einem republikanischen Wahlsieg eine andere weltpolitische Ausrichtung der USA zu erwarten ist. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Mützenich, Romneys ausdrückliches Streben nach einer internationalen Führungsrolle der USA könne bedeuten, dass er die Vereinigten Staaten wieder "zu einer Interventionsmacht" machen wolle. Auch Romneys Tonlage gegenüber Moskau gebe zu Sorge Anlass. Es könne sein, dass die USA unter einem republikanischen Präsidenten nicht mehr bereit sein würden, mit Russland "auf vertraglicher Grundlage" über atomare Abrüstung und vor allem die Raketenabwehr zu sprechen. Aus europäischer Sicht sei das bedenklich, sagte Mützenich, denn "wir haben Interesse an einer Verständigung gerade in diesen Bereichen".

Vollständiges Interview:

Rudolf Geissler: Nach diesem dritten und letzten Fernsehduell zwischen Barack Obama und Mitt Romney, rechnen Sie damit, dass die amerikanische Außenpolitik sich nach der Wahl ändern wird, möglicherweise unabhängig davon, wer der nächste Präsident ist?

Rolf Mützenich: Nun ich glaube, es gibt schon Unterschiede. Und der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Romney, macht ja deutlich, dass er sozusagen die Führungsrolle der USA in der Welt wieder betonen will, und insbesondere auch von Partnern verlangt, stärker auch in Rüstung zu investieren. Und möglicherweise ist er auch stärker bereit sozusagen, wieder die USA zu einer Interventionsmacht zu machen.

Geissler: Romney ist in seiner außenpolitischen Rhetorik ja immer schon deutlich härter gewesen als Obama. Dieses Mal aber auch auffallend mit Blick auf Russland. Das klang ein bisschen nach den Tönen aus der Zeit des ideologischen Kalten Krieges. Inwieweit lässt sich aus dieser Rhetorik eine Prognose ableiten für die praktische Politik, oder zumindest den Stil, falls Romney Präsident würde?

Mützenich: Nun in der Tat, wir sollten uns schon Gedanken und unter Umständen auch Sorgen darüber machen, ob unter möglicherweise einem republikanischen Präsidenten Romney die USA nicht mehr bereit sind, auf vertraglicher Grundlage mit Russland auf der einen Seite sowohl über atomare Abrüstung zu sprechen und dann insbesondere das schwierige Thema der Raketenabwehr nicht mehr so zu behandeln, wie es die Obama-Administration versucht hat. Hier wird es weiterhin Schwierigkeiten geben, auch wenn Obama Präsident bleibt, weil er braucht den Kongress, insbesondere braucht er den Senat für möglicherweise neue Abrüstungsverträge. Aber das ist eine Aufgabe, die auch Europa mit unterstützen muss. Weil, wir haben Interesse an einer Verständigung gerade in diesen Bereichen.

Geissler: Das Thema Iran hat eine bedeutende Rolle eingenommen in diesem Disput, und dabei auch ein Bericht der "New York Times", in dem am Wochenende sinngemäß gesagt wurde, Teheran wolle im Atomstreit mit Washington nun doch direkt bilateral verhandeln, aber erst nach der US-Präsidentenwahl. Obama hat gestern gesagt oder heute Nacht gesagt, der Bericht sei falsch. Würde es Sie überraschen, wenn es diese Pläne eben doch schon gäbe?

Mützenich: Nun, ich glaube, es ist zumindest hier eine Tendenz ablesbar, dass einer der Schlüssel zur Bearbeitung dieser Situation natürlich auch in direkten Gesprächen zwischen den USA und dem Iran besteht. Wir haben ja bei den Verhandlungen von sechs Ländern, zu denen Deutschland gehört, mit dem Iran gesehen, dass auch der Wunsch geäußert worden ist, mit der amerikanischen Delegation unmittelbar zu reden. Das ist auch angeboten worden. Es ist nicht versucht worden in den letzten Jahren. Aber ich sehe durchaus Chancen, dass zumindest nach der Präsidentschaftswahl, wenn klar ist, wer im Weißen Haus regiert, auch hier neue Elemente eingebaut werden können. Und wir sollten das auch von unserer Seite mit unterstützen.

Geissler: Wie erklären Sie sich, dass zumindest Teile der Elite in Teheran dann offensichtlich diese direkten Verhandlungen wollen. Das wäre ja das erste Mal seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen 1979.

Mützenich: Indirekt sehe ich schon einzelne Gruppen innerhalb der Führungsinstitutionen des Iran bereit, mit den USA auch über Probleme zu reden. Wir sehen auf der anderen Seite aber insbesondere die Einschätzung in Teheran, dass man glaubt, dass der US-amerikanische Präsident Obama zur Zeit nicht stark genug ist, um ein solches Konzept auch in allen politischen Lagern in Washington letztlich durchzusetzen. Und das ist in der Tat ein schwieriger Fall. Und der wird auch nach der Präsidentschaftswahl bleiben. Aber er ist ein Schlüssel auch zur Bearbeitung des Konflikts.

Geissler: Welchen Vorteil hätte das denn Ihrer Ansicht nach, wenn eben nicht mehr die berühmten 5 Plus 1 mit Teheran verhandeln würden über das Atomprogramm - also die fünf Vetomächte des Sicherheitsrates plus Deutschland - sondern wenn eben die USA praktisch allein mit den Iran sprechen?

Mützenich: Ich glaube, das große Format - das wird auch das Interesse der USA sein wird - erhalten bleiben. Aber unterhalb dieser Schwelle können natürlich auch bilaterale Gespräche das eine oder andere aus dem Weg räumen. Und da sind nun mal auch gewaltige Felsbrocken auf diesem Weg. Das sind sowohl die historischen Belastungen zwischen den USA und dem Iran, das sind die Auswirkungen auch der Bush-Politik noch im Nahen und Mittleren Osten. Und das sind alles die Felder, die auch eine große Rolle zuletzt auch für Europa spielen, nämlich die Umbrüche in der arabischen Welt, aber auf der anderen Seite auch eine Rolle des Irans in diesen entscheidenden Konflikten.

Geissler: Denken Sie, dass die israelischen Gedankenspiele mit einem Präventivschlag gegen iranische Atomanlagen, dass die mit dieser Diskussion jetzt für erste von Tisch sind, oder müssen wir davon ausgehen, dass beide Optionen praktisch parallel bestehen bleiben?

Mützenich: Nun, das glaube ich, wird wahrscheinlich auf dem Tisch bleiben. Und das hat ja auch Präsident Obama sehr deutlich gemacht, dass er nicht bereit ist, den Iran als Atomwaffenmacht zu akzeptieren. Und ich glaube, das ist auch die richtige Strategie. Andererseits sehen wir in Israel einen Wahlkampf und einen israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu, der den Iran als die entscheidende Frage für sich begreift. Und da werden wir in den nächsten Tage und Wochen natürlich weiterhin sehen, dass Israel alles unternehmen wird, um den Druck auf den Iran zu halten oder möglicherweise sogar zu erhöhen.