SPD-Politiker mahnt Erdogan zu Besonnenheit

Interview mit Hans-Joachim Wiese
Veröffentlicht: 
dradio Kultur, 04.10.2012
Thema: 
Rolf Mützenich über den Grenzkonflikt zwischen der Türkei und Syrien

Hans-Joachim Wiese: Am Telefon ist jetzt der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, schönen guten Tag.

Rolf Mützenich: Guten Tag, Herr Wiese!

Wiese: Außenminister Westerwelle warnt vor einer Ausweitung des Konflikts zu einem Flächenbrand, sollte es nicht gelingen, ihn einzudämmen. Für wie bedrohlich halten Sie die Lage an der türkisch-syrischen Grenze derzeit?

Mützenich: Nun, es ist auf jeden Fall eine gefährliche Situation und man kann auch nicht ausschließen, dass möglicherweise durch weitere Vorkommnisse oder auch Provokationen sich dieser Konflikt ausweitet. Ich glaube, bevor man aber solche Szenarien zeichnet, wie es auch der Außenminister getan hat, sollte man alle Seiten auch zur Besonnenheit aufrufen und insbesondere die internationale Gemeinschaft, sprich, hier auch den Sicherheitsrat auffordern, den Rechten und Pflichten, die er aus der Charta der Vereinten Nationen hat, nachzukommen.

Wiese: Nun haben ja auch alle möglichen internationalen Instanzen, auch Bundekanzlerin Merkel, zu Besonnenheit aufgerufen, Herr Mützenich, aber die Frage ist ja, wie sollte sich jetzt der Westen verhalten? Reicht es aus, immer nur nach Deeskalation zu rufen? Müsste da nicht mehr kommen, eventuell auch militärisches Eingreifen in Syrien?

Mützenich: In der Tat kommt es insbesondere darauf an, wie internationale Organisationen und die internationalen Organisationen reagieren, die für die internationale Sicherheit verantwortlich sind. Ich glaube, es ist falsch, an einzelne Lände zu appellieren, oder den sogenannten Western, sondern man muss klar und eindeutig sagen, der Sicherheitsrat muss seiner Verantwortung nachkommen. Und das heißt, insbesondere auf die Staaten einzuwirken, die bisher alles unternommen haben, um eben eine internationale Bearbeitung dieser Krise zu verhindern, insbesondere eben die Russen, aber auch der Volksrepublik China.

Wiese: Der russische Außenminister Lavrov hat heute auch zur Besonnenheit aufgerufen, aber das sind ja offensichtlich nur Worte. Wie sollen denn Russland, wie soll China, das ja auch immer blockiert im Sicherheitsrat, wie sollen die dazu gezwungen werden, in Anführungsstrichen, ein Eingreifen dort zu gestatten?

Mützenich: Nun, Herr Wiese, wir werden sie nicht zwingen können, aber ich glaube, auf der anderen Seite wird wahrscheinlich jetzt auch in Moskau und Peking gesehen, wie schnell ein Bürgerkrieg sich auch zu einem regionalen Krieg ausweiten könnte. Es ist ja zum Beispiel dann auch nicht ausgeschlossen, dass weitere Länder mit einbezogen werden und nach meinem Eindruck sind die russische und die chinesische Regierung über diese Situation sehr beunruhigt. Wir können auch nicht ausschließen, dass sich möglicherweise in den nächsten Tagen eine Verhaltensänderung andeuten könnte, unter Umständen, dass eben der Sondervermittler des Generalsekretärs der Vereinten Nationen von Seiten des Sicherheitsrats höhere Kompetenzen und letztlich auch mehr Verantwortung zugewiesen bekommt.

Wiese: Lassen Sie uns Mal auf einen der Akteure dort in der Region etwas genauer blicken, Herr Mützenich. Kommt der gestrige Granatenangriff dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan nicht sogar ganz gelegen? Es ist doch bekannt, dass er die Türkei zu einer Regionalmacht im Nahen Osten machen will und da könnte ein Sturz des Assad-Regimes doch helfen?

Mützenich: Ich hoffe, dass Herr Edogan und auch Politiker insgesamt so nicht kalkulieren, weil tagtäglich hier Menschen verletzt werden oder zu Tode kommen, sowohl offensichtlich auf türkischer Seite, auch in Flüchtlingslagern, wie wir in den letzten Monaten gesehen haben, aber insbesondere im syrischen Bürgerkrieg. Und sozusagen ein taktisches Verhältnis zu dieser Situation schließe ich nach meinem Dafürhalten vollkommen aus. Es ist also wichtig, dass hier auch der Ministerpräsident in der Türkei seiner Verantwortung nachkommt und diesen Konflikt auch nicht weiter anheizt.

Wiese: Nun hat das türkische Parlament gerade ein Gesetz gebilligt, dass türkische Militäraktionen in Syrien selbst ermöglicht. Dahinter steckt wohl der Gedanke an die Einrichtung einer Pufferzone auf syrischem Gebiet. Was halten Sie davon?

Mützenich: Das ist ein ernstzunehmender Beschluss, der ja auch genau darauf hindeutet, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Situation schwieriger wird, aber nicht die Türkei kann über irgendwelche militärische Eingreifszenarien entscheiden, sondern das kann letztlich nur der Sicherheitsrat, denn da gehört es hin.

Wiese: Falls aber der Beschuss aus Syrien auf die Türkei anhalten sollte, müsste dann nicht früher oder später Artikel fünf des NATO-Vertrages greifen, nämlich der Bündnisfall ausgerufen werden?

Mützenich: Das ist natürlich nicht ausgeschlossen. Aber ich sehe auf jeden Fall, dass gerade innerhalb der NATO auch gerade vor dieser Situation zurück geschreckt wird. Wir haben ja zum Beispiel auch gesehen, dass die Ausrufung des Bündnisfalls damals durch die USA letztlich nicht auch einen großen Einfluss auf die Intervention im Irak genommen hat. Auf der anderen Seite kommt es letztlich darauf an, dass möglicherweise auch die Kontakte, die von Seiten der NATO zu einzelnen Ländern, die wichtige Akteure sind, hier auch genutzt werden.

Wiese: Solch wichtige Akteure sind sicherlich solche, die schon jetzt für eine Ausweitung für eine Internationalisierung des Konflikts in Syrien gesorgt haben, zum Beispiel Saudi-Arabien und Qatar, die unterstützen die Rebellen, und der Iran, der unterstützt das Regime von Präsident Assad.

Mützenich: Offensichtlich und sie tun es auch rücksichtslos auf eine Situation, die sich ja, wie wir gesehen haben, ausweitet und deswegen sind nicht nur Appelle an die Türkei zu richten, sondern insbesondere an alle internationalen Akteure, die den Bürgerkrieg in Syrien auch für ihre eigenen Interessen missbrauchen.