SPD-Außenpolitiker Mützenich plädiert für Gespräche über Syrien mit dem Iran

Interview mit Rudolf Geissler
Veröffentlicht: 
SWR 2 Tagesgespräch, 30.08.2012
Thema: 
UNO Sicherheitsrat berät erneut über Syrien

Zusammenfassung:

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, plädiert dafür, auch den Iran in die Suche nach einer Lösung des Syrien-Konflikts einzubeziehen. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Mützenich, als Vermittler im eigentlichen Sinne, wie es Teheran gerade erst wieder angeboten habe, komme der Iran zwar nicht in Frage. Dazu sei das Land nicht neutral, sondern im Gegenteil "ein im Hintergrund agierender Konfliktakteur". Gerade deshalb aber werde die internationale Gemeinschaft "nicht umhin können", auch mit Teheran über das Thema Syrien zu verhandeln. Im Iran gebe es inzwischen "gerade aus dem geistlichen Establishment" Stimmen, die einräumten, dass das Festhalten am Assad-Regime keine Zukunftsperspektive biete. Der SPD-Politiker beurteilte die Chancen für eine Einigung der Vetomächte heute im Sicherheitsrat skeptisch. Bei der Debatte darüber, wie die humanitäre Situation der Flüchtlinge zu verbessern sei, werde es vielleicht gelingen, so Mützenich, die politischen Fronten zu lockern und "die Grenzen etwas zu verwischen".

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Rudolf Geissler: Frankreich macht heute im UNO-Sicherheitsrat einen neuen Anlauf, um den Menschen, den Zivilisten in Syrien zur Hilfe zu kommen. Der Bürgerkrieg dort wird immer blutiger, die Zahl der Flüchtlinge immer größer, unverändert dagegen geblieben ist, wie es scheint, nur die politische Lagerbildung in New York, im höchsten Gremium der UNO. Dort sind bislang jedenfalls, Russland und China nicht für eine gemeinsame Haltung gegen das Assad-Regime zu haben gewesen. Sehen Sie irgendeine Bewegung, die heute zu einer Wende führen könnte?

Rolf Mützenich: Es ist allemal wert, dass jetzt Frankreich im Sicherheitsrat wieder vorangeht und ich hoffe eben auch, als gemeinsame Initiative der Europäer und mit den USA, insbesondere die humanitäre Situation der Flüchtlinge zu verbessern. Wir brauchen eine Entscheidung im Sicherheitsrat und möglicherweise ist dieser neue Anlauf geeignet, um vielleicht auch noch mal die Grenzen etwas zu verwischen. Ich glaube, China, Russland und vielleicht auch noch andere Länder sollten sich überlegen, genau auf die humanitäre Situation sich zu konzentrieren und vielleicht kann etwas gelingen, aber natürlich die Lagerbildung bleibt. Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)

Geissler: Die Führung in Peking ist in den letzten Tagen dafür gelobt worden, oder ich will es mal nüchterner sagen: es ist aufgefallen, dass China sich öffentlich Sorgen gemacht hat über die humanitäre Lage, über die Situation der Flüchtlinge. Ist das nur diplomatische Psychologie in Ihren Augen oder deutet sich da mehr an?

Mützenich: Nun, wir müssen China immer wieder deutlich machen, dass es Verantwortung in der internationalen Gemeinschaft trägt. Als Mitglied im Sicherheitsrat und als Vetomacht hat es die Kompetenz, aber mittlerweile eben auch die Fähigkeit, auf internationale Konflikte einzuwirken. Das wird auch beim Besuch der Bundeskanzlerin mit Sicherheit nochmal angesprochen werden, und ich glaube, es ist richtig, gerade China auch nochmal zu bitten, hier stärker Position zu beziehen, im Sinne auch der Menschen in Syrien. Und ich glaube in den letzten Tagen ist das in China auch etwas deutlicher geworden.

Geissler: Nun muss man ja sagen, dass selbst wenn China auf sein eigenes Veto in der Syrien-Frage verzichten würde, immer noch Russland seines einlegen würde - nach Lage der Dinge - und das genügt, damit die Lage völkerrechtlich weiter so ist, wie sie ist: Es gäbe kein Mandat der UNO, um beispielsweise eine Schutzzone für Flüchtlinge an der türkischen Grenze militärisch abzusichern. Was kann man denn dann für die Zivilisten tun?

Mützenich: Wahrscheinlich wird innerhalb des Sicherheitsrates, wenn es zu keinem Beschluss kommt, keine andere Alternative bleiben, als weiterhin genau die Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, noch stärker zu unterstützen. Das versucht die Europäische Union, aber das ist ja nicht nur die Türkei. Es ist Jordanien, es ist der Libanon, es sind Teile des Iraks und dann wird es eben in den nächsten Wochen auch darauf ankommen, auch den Flüchtlingen Schutz zu bieten, die in den Nachbarländern keinen Schutz finden. Wir tun ja immer so, als ob an der Grenze die Situation letztlich einfacher ist. Das ist es nicht und deswegen, glaube ich, ist auch die Europäische Union aufgefordert und auch die Bundesregierung genau für diese Flüchtlinge andere Möglichkeiten anzubieten. Das heißt auch die begrenzte Aufnahme, zeitlicher Aufnahme, auch für aus Syrien kommende Flüchtlinge in Europa letztlich zu finden.

Geissler: Sollten wir so lange warten, bis die EU das EU-weit beschlossen hat, oder plädieren Sie dafür, dass wir da vorpreschen, indem wir sagen, wir nehmen ein bestimmtes Kontingent auf und appellieren an die europäischen Partner, gleiches zu tun?

Mützenich: Ich wünsche mir, dass die Europäische Union hier eine gemeinsame Politik betreibt. Die Bundesregierung könnte nach meinem Dafürhalten innerhalb der Institutionen der Europäischen Union aktiver werden.

Geissler: In der Region selbst versucht UNO-Generalsekretär Ban in Sachen Konfliktlösung derzeit offensichtlich auch das Unmögliche. Er ist gestern gegen das Anraten der USA in den Iran gereist, nachdem der Iran sich ja einmal mehr als Vermittler angeboten hat. Wie ernst nehmen Sie dieses Angebot aus Teheran?

Mützenich: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Iran mit ein im Hintergrund agierender Konfliktakteur ist. Ich glaube nicht, dass der Iran letztlich neutral ist, auch insbesondere von den Akteuren in Syrien und außerhalb auch nicht so betrachtet wird. Aber wir werden nicht umhin können, Iran letztlich auch in die Lösung des Konfliktes mit einzubeziehen, und es gehört eben auch mit dazu, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen, wenn er gebeten ist, auch mit Brahimi, mit dem Vermittler, gemeinsame Lösungen zu finden, auch mit solchen Ländern letztlich zu sprechen. Ganz interessant ist innerhalb der arabischen Welt, dass mittlerweile auch der ägyptische Präsident sich gerade ganz genau zu diesem Konflikt geäußert hat, und er hat ja auch indirekt gesagt, eine Lösung ist nur möglich, wenn Präsident Assad letztlich auch auf Macht verzichtet, ganz konkret auch zurücktritt.

Geissler: Aber wie soll die Einbeziehung Irans von statten gehen, dass wir vom Iran praktisch Hilfe bei der Lösung des Syrien-Konflikts erwarten, wo wir doch
vor allem Forderungen an Teheran haben, denn wir wollen doch vom Iran, dass er auf sein Atomprogramm verzichtet. Auf welche Art Geschäft kann das hinauslaufen, realistischerweise?

Mützenich: Wir wollen kein Geschäft machen, sondern wir wollen dem Iran deutlich machen, dass letztlich das Festhalten insbesondere an dem Regime auch keine Zukunft für den Raum hat, und ich glaube, auch im Iran gibt es mittlerweile zu vernehmende Stimmen auch gerade aus dem geistlichen Establishment, die darauf hindeuten, dass man dies weiß, und ich glaube, da kann man ansetzen.