"Bislang keine politische Lösung in Sicht"
Der syrische Präsident Baschar al-Assad lässt seine Sicherheitskräfte weiter gewaltsam gegen die Opposition im Land vorgehen. Bislang sollen über 7 500 Menschen in den Kämpfen getötet worden sein.
Johannes Pflug: Lieber Rolf, wie schätzt Du den gegenwärtigen Zustand des Regimes von al-Assad ein und wird es sich an der Macht behaupten können?
Rolf Mützenich: Bislang ist in Syrien keine politische Lösung in Sicht. Seit Beginn des Aufstandes gegen die Regierung von Präsident Assad am 15. März 2011 wurden nach UN-Schätzungen an die 8.000 Menschen getötet. Syrien hat als wichtiges arabisches Land seit Beginn des Aufstandes einen hohen Preis gezahlt und ist nahezu isoliert. Das Gründungsmitglied der Arabischen Liga wurde aus der Organisation ausgeschlossen und kann kein Öl mehr in die Europäische Union exportieren. Reiseverbote wurden ausgesprochen und Bankkonten eingefroren, in der Hoffnung, dass das Regime wirtschaftlich in die Knie geht. Assad stemmt sich mit aller Gewalt gegen seinen Machtverlust; er weiß, was dann der Minderheit der Alawiten, denen die führenden Kräfte des Regimes angehören, drohen dürfte. Aber eine politische Zukunft hat er nicht, und die moralische Berechtigung zu regieren, hat er verwirkt.
Pflug: Was können und sollten die internationale Staatengemeinschaft und Deutschland tun, um das gewaltsame Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte gegen die Opposition und Bevölkerung zu beenden?
Mützenich: Eine von der internationalen Gemeinschaft überwachte Feuerpause müsste ein erster Schritt sein. Nach wie vor setze ich meine Hoffnung auf eine neue Resolution des UN-Sicherheitsrates gegen das Assad-Regime. Der politische Rückhalt für Assad schwindet immer mehr, zumal nun auch Russland und China erstmals einer präsidentiellen Erklärung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zugestimmt haben , in der das syrische Regime aufgefordert wird, einen Plan zur Beendigung der Gräueltaten im Land umzusetzen. Dies ist eine neue Qualität der Kooperation Russlands und Chinas im Sicherheitsrat. Es bleibt zu hoffen, dass der nächste Schritt die Unterstützung einer weitergehenden Syrien-Resolution ist. Wichtig wäre eine gemeinsame, rechtlich bindende Resolution des UN-Sicherheitsrates gemäß dem Annan-Plan, der die Assad-Regierung dazu auffordert, einen umfassenden politischen Dialog zu beginnen, die rasche Leistung humanitärer Hilfe zu ermöglichen, die Entlassung politischer Gefangener zu "beschleunigen", Journalisten Bewegungsfreiheit zu garantieren und das Recht der Syrer auf friedliche Proteste zu gewährleisten. Ein Problem ist, dass wir keinen direkten Ansprechpartner auf Seiten der Opposition haben. Der Syrische Nationalrat ist ethnisch und konfessionell nicht so plural, wie ich mir das wünschen würde.
Pflug: Wie stehst Du zu einer militärischen Intervention der Staatengemeinschaft in Syrien und gibt es Bedingungen, unter denen die internationale Gemeinschaft zwangsläufig militärisch intervenieren müsste?
Mützenich: Ich stehe einer militärischen Intervention skeptisch gegenüber. Es werden derzeit eine Reihe von Möglichkeiten diskutiert. Katar und Saudi-Arabien liefern bereits Waffen an die syrische Opposition. Katar dringt zudem auf eine militärische Intervention. Das wird ohne amerikanische Hilfe jedoch nicht möglich sein. Theoretisch bestünde auch die Möglichkeit Schutzzonen an der Grenze zu Jordanien und der Türkei und humanitäre Korridore einzurichten. Auch hierfür bräuchte man jedoch ein entsprechendes UN-Mandat und auch hier müssten die möglichen Folgen mit bedacht werden, die derzeit nur schwer abzuschätzen sind. Wir müssen die nichtmilitärischen Maßnahmen vollständig ausschöpfen. Hierzu gehören weitere Sanktionen und eine Anklage vor dem internationalen Strafgerichtshof durch den UN-Sicherheitsrat
Pflug: Bei einer weiteren Eskalation der Gewalt gibt es eine Schutzverpflichtung?
Mützenich: Die Frage, ob es im Falle Syriens eine Schutzverantwortung oder Bedingungen gibt, unter denen die internationale Gemeinschaft intervenieren müsste, ist derzeit noch eine theoretische und eine Frage der Definition. Sollte das Assad-Regime systematisch gegen die eigene Bevölkerung vorgehen, gäbe es laut Völkermordkonvention sicherlich eine Pflicht zum Eingreifen. Dies ist jedoch nicht nur eine moralische, sondern auch eine realpolitische Kosten-Nutzen-Frage.
Pflug: Aus welchen Gründen blockieren China und Russland den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in seinem Vorgehen gegen al-Assad?
Mützenich: China und vor allem Russland fühlen sich durch die sehr weitgehende Interpretation der Libyenresolution 1973 durch die NATO über den Tisch gezogen. Sie fürchten, dass im Falle Syrien eine ähnliche Selbstermächtigung des Westens zum Regimewechsel. Es gibt jedoch erste Anzeichen, dass China und Russland ihre Haltung zu überdenken beginnen.
Pflug: Welche Gefahren bestehen für Europa und die Region, wenn die Lage in Syrien zu einem Bürgerkrieg oder gar Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien/Katar und Iran eskaliert?
Mützenich: Die Gefahren für Europa und die Region sind real und dramatisch. Ein Bürgerkrieg in Syrien würde das Land und die Region auf Jahre destabilisieren. Flüchtlingsströme in die Türkei und nach Europa wären die Folge. Wir dürfen jedenfalls nichts unversucht lassen, um die syrische Zivilbevölkerung zu schützen.