Mützenich: Afghanistans Umfeld bleibt das entscheidende Problem
Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sei noch nicht gescheitert, glaubt Rolf Mützenich. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion sieht Bereitschaft für einen Aussöhnungsprozess im Land. Die Haltung der Bundesregierung kritisierte Mützenich dagegen als widersprüchlich.
Jürgen Zurheide: Afghanistan, ein unendliches Thema. Und die Frage steht wieder im Raum: Abzug, ja oder nein? Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr hält den Afghanistan-Einsatz für gescheitert und auch bei der Bundeskanzlerin hörte sich das bei ihrem jüngsten, überraschenden Besuch in Afghanistan ja alles andere als positiv an. Der Versöhnungsprozess, wie läuft er denn? - Hier hören Sie die Bundeskanzlerin:
Angela Merkel: Der ist noch nicht in dem Zustand, wo man sagen könnte, wir können heute hier abziehen. Und deshalb kann ich auch noch nicht sagen, schaffen wir das bis 2013, 2014. Der Wille ist da, wir wollen das schaffen.
Zurheide: Ja, der Wille ist da, wir wollen das schaffen. Und dann kam im Laufe der Woche die Nachricht, dass der Präsident von Afghanistan Karsai, dass er möglicherweise sogar einen schnelleren Abzug ins Auge gefasst hat, auf jeden Fall die militärischen Berater und Institutionen im Lande, die ausländischen, aufgefordert hat, sie mögen doch bitte in ihren Kasernen bleiben. Was passiert da eigentlich? Darüber wollen wir reden mit Rolf Mützenich, dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er ist am Telefon, guten Morgen, Herr Mützenich!
Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Mützenich, erst mal: Herr Kujat, der frühere Generalinspekteur, sagt, der Einsatz ist gescheitert. Hat er recht?
Mützenich: Nein, das kann man nicht so unmittelbar und so absolut auch sagen. Es ist sehr unterschiedlich auch im Lande, wo Sicherheitsverantwortung auch von den afghanischen Sicherheitskräften übernommen werden konnte und auch jetzt ausgebaut wird. An anderen Stellen ist es natürlich schwierig. Aber wir dürfen uns nicht allein auf die militärische, auf die sicherheitspolitische Frage verlassen, insbesondere der sogenannte politische Aussöhnungsprozess ist dringend notwendig. Und wenn innerhalb der internationale Gemeinschaft hier Konsens herrscht, und das ist seit einigen Jahren der Fall, ist das eine wichtige Voraussetzung.
Zurheide: Jetzt fragen wir mal: Wo sind denn da die Fortschritte, wenn wir das Land sehen? Wir sehen natürlich überwiegend jene Teile des Landes, in denen zum Beispiel auch die deutsche Armee tätig ist, oder sind wir da zu eng, müssen wir andere Landesteile in den Blick nehmen, weil Sie sagen, na ja, da gibt es mindestens Ansätze auf Hoffnung?
Mützenich: Ja, ich glaube schon. Weil, wir sind natürlich insbesondere dann immer, wenn Nachrichten aus Afghanistan kommen, mit Anschlägen konfrontiert, mit einer schwierigen Situation. Aber es ist doch offensichtlich gelungen, in einzelnen Provinzen sowohl die Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Streitkräfte zu übergeben auch in einem Feld, wo Beratung noch von internationalen Streitkräften erforderlich ist, aber auf der anderen Seite wir hier sehen, dass der Zugang zu elementaren Fragen des Lebens wie zum Beispiel auch der Gesundheitsversorgung, sauberem Wasser, auch gelungen ist. Und ich glaube, da sind wir auch insbesondere dankbar privaten, aber auch staatlichen Entwicklungshilfeinstitutionen, die mit dafür gesorgt haben in einem Umfeld, was Sicherheit produziert hat, eben zu diesem Fortschritt für die Menschen in Afghanistan auch zu kommen.
Zurheide: Die entscheidende Frage wird sein: Wird das so bleiben, wenn die Truppen weg sind? Das ist ja immer gesagt worden, da steht das große Fragezeichen hinter. Wie sehen Sie das, wie schätzen Sie das ein?
Mützenich: Es ist sehr schwer, gerade in einem Umfeld, wo ja ? nicht nur eben, seitdem internationale Truppen in Afghanistan, auch nach den Anschlägen in den USA, sind, sondern wir hatten Bürgerkrieg, wir hatten eine Intervention der Sowjetunion in Afghanistan gehabt. Das ist natürlich ein Land, was von Gewalt über Jahrzehnte geprägt ist, und das wird man nicht so schnell letztlich abbauen können. Auf der anderen Seite haben wir aber auch erlebt, dass es Verantwortliche in Afghanistan gibt in einem sehr breiten Umfeld, die bereit sind zu einem innenpolitischen Versöhnungsprozess letztlich zu kommen. Ich glaube, eines der entscheidenden Probleme ist das regionale Umfeld, Pakistan zum Beispiel, was immer noch Afghanistan sozusagen als Satellitenstaat begreift für seine eigenen Konflikte, zum Beispiel mit Indien: Wir haben die Drogenproblematik und viele andere Aspekte auch.
Zurheide: Jetzt haben Sie gerade den innerafghanischen Versöhnungsprozess angesprochen. Sind die ausländischen Truppen dann möglicherweise sogar kontraproduktiv und kann man die Äußerungen von Karsai, der erst gesagt hat, die Truppen sollen möglicherweise schneller raus, dann wurde es ein bisschen relativiert? Sind die möglicherweise vor diesem Hintergrund zu bewerten oder wie sehen Sie das?
Mützenich: Nein, mit Sicherheit sind natürlich die Vorfälle der letzten Wochen, wo amerikanische Streitkräfte, einzelne Soldaten involviert waren, überhaupt nicht angetan, auf Vertrauen letztlich aufzubauen. Das betrifft zum Beispiel natürlich dann auch andere wie auch die Bundeswehr. Dies ist ganz offensichtlich. Auf der anderen Seite ist doch auch klar, dass es eine internationale Vermittlung braucht, um den Konflikt in Afghanistan zu bewältigen. Deswegen war es richtig gewesen, in einem sehr schwierigen Prozess, wo ja auch erst jetzt der amerikanische Präsident bereit war, nachdem sein Vorgänger hier immer wieder rote Grenzen aufgebaut hat, zu sagen, ja, wir verhandeln, wir müssen eine Möglichkeit bilden und insbesondere dem afghanischen Präsidenten und seiner Regierung, aber auch anderen Institutionen die Verantwortung zu übergeben.
Zurheide: Der afghanische Präsident, wie haben Sie seine Äußerung eigentlich am Ende bewertet? Oder sind Sie schlau geworden aus dem, was er da gesagt hat?
Mützenich: Nein, es war ja sehr widersprüchlich -
Zurheide: - richtig -
Mützenich: - insbesondere das, was uns hier erreicht hat. In den ersten Verlautbarungen hatte ich herausgehört, dass er natürlich sehr stark unter innenpolitischem Druck ist sowohl gegenüber dem Parlament, wo es jetzt darum geht, einen Vertrag mit den USA zu schließen, wie mit der Präsenz amerikanischer Streitkräfte weiter umzugehen ist. Und ich glaube, das war einer sehr starken innenpolitischen Diskussion geschuldet. Und es war sehr widersprüchlich gewesen in der Tat.
Zurheide: Und im Übrigen steht ja auch die Frage im Raum, also: Abzug, das ist einmal die Frage, wie lange die ausländischen Truppen da bleiben wollen, aber es gibt ja auch vertragliche Verpflichtungen. Da kann man ja nicht einfach sagen, die beenden wir jetzt, oder?
Mützenich: Einmal das, und es gibt natürlich auch einen schwierigen Abstimmungsprozess, weil das betrifft ja nicht nur einzelne Länder, sondern eine Vielzahl von Ländern. In dem Bereich, wo die Bundeswehr aktiv ist, sind andere 17 Streitkräfte, internationale Streitkräfte betroffen. Das bedarf der Abstimmungsprozesse. Umso dringender ist natürlich, dass die Bundesregierung hier zu einer gemeinsamen Auffassung kommt, und da gibt es eine Menge Fragezeichen. Sie haben eben die Bundeskanzlerin zitiert, wir haben Äußerungen des Außenministers, wir haben Äußerungen des Verteidigungsministers, und die sind nicht in Übereinstimmung zu bringen. Und das muss man kritisieren, weil ja die Bundesregierung vom Bundestag auch verlangt ein breites Mandat. Das ist in den letzten Jahren gelungen, aber dafür bedarf es natürlich insbesondere auch einer gemeinsamen Sprachrichtung der Bundesregierung. Und hier ist sie dringend gefordert.
Zurheide: Das war Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD. Ich bedanke mich für das Gespräch, danke schön!
Mützenich: Vielen Dank, Herr Zurheide!