SPD-Außenpolitiker Mützenich: Visa-Erleichterungen für Russland als Gegenleistung für demokratischere Verhältnisse
Zusammenfassung:
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, ist dafür, Russland Visa-Erleichterungen anzubieten, wenn Moskau mehr Demokratie zulässt. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Mützenich, die Europäische Union solle beim heutigen EU-Russland-Gipfel "nicht nur mit dem erhobenen Zeigefinger kommen", sondern Angebote für eine "Modernisierungspartnerschaft" erneuern. Wichtig sei nicht nur, dass die russische Regierung den Wahlbetrugsvorwürfen nachgehe. Es müssten auch Demonstranten freigelassen werden, die nur deshalb verhaftet worden seien, weil sie auf die Missstände hingewiesen hätten.
Vollständiges Interview:
Rudolf Geissler: Die EU-Kommission will auf dem Gipfel heute mit Russland die mutmaßlichen jüngsten Wahlfälschungen dort mit auf die Tagesordnung setzen. Nur, was außer einer Ermahnung vielleicht kann die Europäische Union denn tatsächlich tun, um die Verhältnisse zu beeinflussen?
Rolf Mützenich: Nun, ich glaube, die Europäische Union sollte nicht nur mit dem erhobenen Zeigefinger kommen, sondern insbesondere die russischen Behörden, aber auch die russischen Politiker ermutigen, eben den Wahlfälschungen nachzugehen, die ja auch offensichtlich sind. Die Wahlbeobachter, die OSZE, viele andere unabhängige Institutionen haben darauf hingewiesen, dass es noch viele Fragen gibt. Und Putin und Medwedew haben angekündigt, dies zu untersuchen. Und das sollten wir eben auch mit ermöglichen und sollten unter Umständen auch Hilfe anbieten.
Geissler: Sie haben gerade gesagt, Präsident Medwedew hat zugesichert, die Vorwürfe prüfen zu lassen. Haben Sie Zweifel an dieser Absicht oder mehr an deren Durchführung?
Mützenich: Na, es kommt ja nun immer darauf an - und das haben wir leider auch eben erleben müssen. Präsident Medwedew hat eine Menge angekündigt und zum Schluss hat sich doch das Verhalten in Russland letztlich nicht geändert, möglicherweise, weil es eben gegenseitliche Interessen innerhalb des Kreml gegeben hat oder möglicherweise, dass die Behörden eben bestimmten Hinweisen auch nicht nachgegangen sind. Das ist ein wichtiger Aspekt. Es geht also um Verlässlichkeit. Und ich glaube, das sollte die Europäische Union auch einfordern.
Geissler: Sehen Sie denn Druckmittel, die die Europäische Union in Richtung Aufklärung einsetzen könnte?
Mützenich: Wir können insbesondere immer Angebote machen. Wir können ja eben auch das Angebot unterbreiten, dass freie und faire Wahlen viel damit zu tun haben, dass die Modernisierungspartnerschaft, die die Europäische Union anbietet, aber auch die Frage von Visaerleichterungen natürlich auch an eine offene, an eine freie Gesellschaft geknüpft sind. Und mit geht es nicht nur darum, eben den Wahlmanipulationen nachzugehen, sondern insbesondere die Demonstranten, die von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, auf diese Missstände hinzuweisen, dass die auch freigelassen werden. Weil, wir haben in den ersten Demonstrationen erlebt ? da sind viele verhaftet worden. Die zweiten Demonstrationen in Moskau, in Sankt Petersburg sind Gott sei Dank friedlicher verlaufen.
Geissler: Es ist innerlich sehr unruhig in Russland in der Tat. Und es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Themen, bei denen der Westen, sage ich mal in der alten Terminologie, über Kreuz liegt mit Moskau. Die Rhetorik klingt zuweilen so wie im kalten Krieg, nur mit dem Unterschied jetzt, dass wir nicht mehr so selbstverständlich die USA als Rückendeckung haben, weil die sich mehr auf den pazifischen Raum konzentrieren. Muss uns da ein stabiles Russland in Zweifel wichtiger sein als ein lupenrein demokratisches?
Mützenich: Nun, offensichtlich ist es ja so, dass in Russland noch eine Menge Fortschritte gemacht werden müssen, um überhaupt eine Gesellschaft zu erreichen, die demokratisch, die letztlich frei ist. Natürlich ist das andere auf der Seite natürlich, ein stabiles Russland einzufordern. Aber ich würde das nicht gegenseitig ausschließen. Und ich glaube, das ist auch genau der Aspekt, den die Europäische Union, den aber auch eine deutsche Außenpolitik wird einfordern müssen, aber auf der anderen Seite auch zu vermitteln. Die ganzen Friktionen, auf die Sie gerade hingewiesen haben, sind natürlich auch noch Nachwirkung einer Situation, der sich Russland gegenüber gesehen hat, dass nämlich das NATO-Gebiet so ausgeweitet worden ist, wie es Russland sich eben nicht gewünscht hat. Und das sind Aspekte, wo ich schon davon ausgehe, dass wir auch in der Tat ein großes Interesse daran haben müssen, Russland näher an unsere Strukturen heranzuführen.
Geissler: Nun hat ja die NATO, vor allem die USA, die alte Idee von einem Raketenabwehrsystem wieder aufgewärmt, mit Blick auf den Iran zwar, aber da das ja eine Anlage in Polen sein soll vor der russischen Haustür quasi, von daher war zu erwarten, dass Moskau sehr nervös reagiert, wo es doch schon innenpolitisch unter Druck steht. Was sollten wir tun, um Einkreisungsängste zu zerstreuen? Den Plan aufgeben?
Mützenich: Nein, ich gehe insbesondere davon aus, dass Deutschland eine Rolle übernehmen muss, um zum Beispiel die Bedrohungswahrnehmung, die Russland hat, und die man in Teilen auch nachvollziehen kann, dass sie innerhalb der NATO auch nachvollziehbar werden. Das war immer eine deutsche Rolle letztlich gewesen. Der Außenminister fällt hier leider aus. Also, es kommt auf die Bundeskanzlerin nach meinen Dafürhalten an. Und wir müssen natürlich schon sehen: Russland verlangt ein rechtsverbindliches Abkommen. Und das hat viel mit der NATO-Osterweiterung von damals zu tun. Ich glaube, auf diese Ängste sollte man zumindest eingehen. Es gibt Widerlegungen dazu. Aber ich finde, die deutsche Rolle muss insbesondere sein, Russland näher an die Strukturen, an die Institutionen heranzuführen. Und das muss man auch mit rechtlich verbindlichen Verträgen unternehmen.