SPD-Außenpolitiker Mützenich: UNO-Antrag der Palästinenser hat Bewegung gebracht
Zusammenfassung
Der Nahost-Experte der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, wirft der Bundesregierung vor, Israel nicht stark genug zu neuen Friedensverhandlungen mit den Palästinensern gedrängt zu haben. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Mützenich, Bundeskanzlerin Merkel habe "viel Druck aus dem Kessel" genommen, als sie sich früh darauf festgelegt habe, den geplanten Antrag der Palästinenser auf Vollmitgliedschaft in der UNO abzulehnen. Dieser Antrag sei problematisch, weil noch nicht alle Kriterien für einen Staat Palästina erfüllt seien. Immerhin aber habe Palästinenserpräsident Abbas mit seiner Initiative erreicht, dass nach langer Zeit endlich wieder über Frieden in der Region gesprochen werde. Möglicherweise könne die "Krisendiplomatie" unter anderem der Europäischen Union dazu führen, dass sich der Antrag am Ende erledige, sagte Mützenich. Um den einseitigen "letzten Schritt" zu verhindern, müsse Israel wohl dazu gebracht werden, "die Siedlungsaktivitäten einzustellen".
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Rudolf Geissler: Die Palästinenser wollen sozusagen auf dem Umweg über die UNO als Staat anerkannt werden. Präsident Abbas will die heute beginnende Generaldebatte der Vereinten Nationen nutzen und am Freitag in New York die Vollmitgliedschaft eines Staates Palästina in der UNO beantragen. Ist er damit gut beraten?
Rolf Mützenich: Na, immerhin hat Präsident Abbas offensichtlich es in den letzten Tagen erreicht, was die ganzen Monate, die ganzen Jahren, nicht mehr stattgefunden hat, dass wieder über Frieden zwischen Israel und Palästina gesprochen wird. Zumindest hat der israelische Ministerpräsident angekündigt, auch vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen möglicherweise neue Vorschläge zu unterbreiten. Und wir erleben ja eine Krisendiplomatie, die ich mir eigentlich in den letzten Monaten gewünscht hätte, um diesen letzten Schritt der Palästinenser unter Umständen auch zu verhindern.
Geissler: Nur ist ja Israel mit diesem Antrag eigentlich überhaupt nicht einverstanden, die Amerikaner sowieso nicht. Im Sicherheitsrat, dem höchsten UNO-Gremium, hat der Antrag praktisch keine Chance auf Erfolg, denn selbst wenn dort 14 der 15 ständigen Mitglieder Ja sagen würden, um das mal in Erinnerung zu rufen, die USA haben schon angekündigt, sie legen ihr Veto ein. Das hätte den Nachteil, dass die Amerikaner dann als eigentliche Blockierer dastünden und deshalb wäre es Washington lieber, dass dieser Antrag von vornherein keine Mehrheit fände im Sicherheitsrat. Sollte Deutschland, wenn es zu dieser Abstimmung käme, im Zweifel mit Nein und damit mit den USA stimmen?
Mützenich: In der Tat, das ist ja ein großes Dilemma. Wir haben einen amerikanischen Präsidenten, der von Anfang an seiner Amtszeit bemüht gewesen ist, Frieden zu vermitteln und der auch große Unterstützung hat, aber offensichtlich an den innenpolitischen Widerständen gescheitert ist. Auch das muss man betrachten. Was Deutschland in dieser Situation machen wird, werden wir in den nächsten Tagen noch mal genau besprechen müssen. Wir kennen noch nicht ? zumindest ich nicht ? den endgültigen Text des Antrages, welche Bedingungen dort auch formuliert sind. Und es ist ja zuerst von einer Einbringung die Rede. Die Abstimmung wird dann möglicherweise in den nächsten Wochen erfolgen. Also, wir müssen diese Tage nutzen, um insbesondere zu überlegen, könnte es möglich sein, auch mit Hilfe des Nahost-Quartetts, wieder zu substanziellen Friedensverhandlungen zu kommen, was ja eigentlich Präsident Abbas auch will.
Geissler: Aber Sie hatten die Bundesregierung, wenn ich es richtig verstanden habe, als SPD in den letzten Wochen schon kritisiert für die eigene Festlegung, dass die Bundesregierung sagt, wir unterstützen zwar die Zweistaatenlösung - wir wollen einen Staat Palästina neben Israel -, aber dieser neue Status muss das Ergebnis von direkten Verhandlungen zwischen Jerusalem und Ramallah sein, und kann nicht durch solche einseitigen Initiativen jetzt wie bei der UNO ersetzt werden. Für wie plausibel halten Sie diesen Ansatz?
Mützenich: Wir haben die Bundeskanzlerin dafür kritisiert, dass sie sich so frühzeitig und im Beisein von dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu, auf ein Nein festgelegt hatte. Ich glaube, das hat viel Druck aus dem Kessel rausgenommen, der notwendig gewesen ist in den letzten Wochen, eben auf die israelische Regierung Druck auszuüben. Ich glaube, dass hätte Deutschland gut angestanden - das ist der eine Aspekt. Und der zweite Aspekt: wir haben durch dieses frühzeitige Nein von Seiten der Bundeskanzlerin eben auch es versäumt, innerhalb der Europäischen Union, die ja nun weiß Gott in vielen unterschiedlichen Krisen sich zurzeit befindet, eben auch eine gemeinsame Haltung behindert. Und das ist ein großes Problem, insbesondere wenn es ein großer Mitgliedsstaat tut.
Geissler: Welche Haltung sollte die Europäische Union denn sinnvoller Weise einnehmen?
Mützenich: Ich glaube insbesondere, dass die Europäische Union doch noch alles unternehmen soll, und das versucht zur Lady Ashton, die EU-Außenbeauftragte, eine gemeinsame Haltung noch zu erreichen. Es könnte möglicherweise ein Fingerzeig in die Vollversammlung der Vereinten Nationen sein, wo es um den Beobachterstatus geht. Es kann darum gehen, eben die Frage Israel, die israelische Regierung, noch stärker eben aufzufordern, in einen Friedensprozess - in einen tatsächlichen - wieder einzutreten, die Siedlungsaktivitäten einzustellen. Da gibt es also aus meiner Sicht noch genügend Handlungsspielraum. Ich glaube nur, dass die Akteure sich jetzt beeilen müssen und insbesondere nicht in der Öffentlichkeit sich so früh festlegen dürfen.
Geissler: Man sagt ja, die drei Kriterien für einen Staat sind Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt. Da habe ich beim letzten Punkt doch Zweifel, dass Präsident Abbas Herr der Lage ist - zumindest im Gazastreifen. Dort kann er selbst ja nicht mal einen Fuß hinsetzen, ohne selbst bei Leib und Leben bedroht zu sein. Zeigt das nicht, wie wenig stimmig dieses Modell ist, das er da im Kopf hat?
Mützenich: Insbesondere eine Situation in der Region, wo ja nur noch ganz wenig Stimmigkeit passiert, wo im Grunde genommen die Krisen sich unterschiedlich überlagern. Der Arabische Frühling kommt hier mit dazu, wir haben Bürgerkriege in einzelnen Ländern. Alles das spielt natürlich auch eine Rolle, da kann man nicht sozusagen auf dem Reißbrett eine Stimmigkeit herstellen. Aber Präsident Abbas und insbesondere Ministerpräsident Fayyad waren doch in den letzten Monaten bemüht gewesen, eine Quasi-Staatlichkeit insbesondere im Westjordanland herzustellen. Und im Gazastreifen haben wir mit der Hamas natürlich eine besondere Situation. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, wie fragil diese Situation ist. Und es ist ja nicht nur die Hamas, die im Gazastreifen unterwegs ist. Nehmen Sie allein die Tunnelwirtschaft, die Millionen verdient an diesem Schmuggel, an der Abgrenzung des Gazastreifens. Alles das sind hochkomplexe Felder, aber die müssen angegangen werden. Und wenn die internationale Gemeinschaft hier helfen kann, muss es insbesondere die Europäische Union tut.