Mützenich: Wulffs gute Rede hat in der Türkei nicht den Stellenwert bekommen, den wir ihr in der deutschen Debatte zugemessen haben

Interview mit Sven Hasenclever
Veröffentlicht: 
NRD Info, 22.10.2010
Thema: 
Zum Türkei-Besuch des Bundespräsidenten

Sven Hasenclever: Hat Bundespräsident Wulff die deutschen Interessen in der Türkei angemessen vertreten?

Rolf Mützenich: Auf jeden Fall. Er hat eine oder mehrere gute Rede gehalten, er hat gute Botschaften in der Türkei vermittelt, aber insbesondere auch in Richtung Deutschland, dass wir einen verlässlichen Partner in der Türkei suchen und brauchen, dass es noch Reformanstrengungen gibt. Und er hat, glaube ich, auch die Reformkräfte in der Türkei gestärkt.

Hasenclever: Was ist denn aus Ihrer Sicht das zentrale deutsche Interesse gewesen, und wie hat Wulff das vermittelt?

Mützenich: Insbesondere geht es darum, dass die Türkei den (richtigen) Weg eingeschlagen hat; Reformen im Inneren zu suchen, das Militär aus der Politik heraus zu drängen, auch die Unabhängigkeit der Gerichte sicher zu stellen, die Menschenrechte fortzubringen, auch die Religionsfreiheit zu stärken. Alles das sind Etappen, die wir ja auch wollen, in Richtung Europäischer Union.

Auf der anderen Seite war es auch richtig, dass Deutschland in der Türkei einen Partner für die europäischen internationalen Probleme sucht, die wir auch gerade insbesondere mit dem Nahen und Mittleren Osten haben. Da brauchen wir die Türkei, und ich glaube, das sind Botschaften gewesen, die der Bundespräsident sehr deutlich gemacht hat.

Hasenclever: Eine Thema war die Religionsfreiheit. Denken Sie, es wird sich nun etwas ändern, vor allen Dingen auch für die Christen am Bosporus, oder rechnen Sie bei der türkischen Regierung eher damit, was man so schön als "verbale Aufgeschlossenheit bei weitestgehender Verhaltensstarre" bezeichnet?

Mützenich: Nein, ich glaube man muss da immer wieder dran erinnern, weil natürlich die türkische Regierung, aber insbesondere auch die türkische Gesellschaft, manchmal etwas selbstzufrieden mit ihrem Bild - auch mit ihrem inneren Bild - Werbung macht sozusagen. Das war eine wichtige Aufforderung, auch die Minderheiten zu stärken.

Aber es gibt ja nicht nur religiöse Minderheiten in der Türkei, sondern auch ethnische Minderheiten. Da muss es auch weitere Fortschritte geben und da muss auch die deutsche Politik drauf drängen.

Wir dürfen auf der anderen Seite auch nicht den Bundespräsidenten in eine außenpolitische Rolle jetzt drängen, das muss die Regierung tun und sie muss ihre inneren Konflikte um das Thema Türkei endlich auch lösen.

Hasenclever: Welchen Eindruck hat Wulff auf die Türken gemacht? Was sind Ihre Beobachtungen?

Mützenich: Ich bin gestern aus einem privaten Urlaub aus der Türkei wieder zurückgekommen. Mein Eindruck war ein bisschen von dieser Rede, dass sie nicht den Stellenwert bekommen hat, den wir in der deutschen Debatte dieser Rede zugemessen haben. Aber auf der anderen Seite war dieser Besuch wichtig, weil Deutschland als Partner immer wieder gesucht wird...