"Das halte ich für einen schlechten parlamentarischen Umgang"
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, hat die Protestaktion der Linkspartei anlässlich der Afghanistandebatte im Bundestag kritisiert. "Ich finde, dass im Parlament man insbesondere durch eine gute Rede überzeugen sollte und nicht so stark durch Demonstrationen", sagte Mützenich.
Silvia Engels: Anschläge und Militäroffensiven in Afghanistan gehen weiter. Derweil schaut ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Deutschland zurück. Er beschäftigt sich weiterhin mit der Aufklärung eines von Deutschen verantworteten Luftschlages vom September: dem Angriff auf Tanklastwagen in Kundus. Parallel dazu verdichten sich nun Hinweise darauf, dass es für die Dutzende von zivilen Opfern offenbar keine individuelle Entschädigung geben wird. Nun also zum Afghanistan-Mandat, so wie es der Bundestag mehrheitlich am Vormittag beschlossen hat. Neben der Aufstockung des deutschen Kontingents sollen die Soldaten sich auch häufiger künftig außerhalb des Lagers aufhalten. Das sind die zentralen Inhalte der Veränderung.
Mitgehört hat Rolf Mützenich, er ist der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag!
Rolf Mützenich: Guten Tag, Frau Engels!
Engels: Schauen wir erst einmal auf den Inhalt dieses Mandats. Die SPD-Fraktion war ja lange Zeit zerstritten. Was hat denn jetzt die ja offenbar mehrheitliche Zustimmung doch gebracht?
Mützenich: Na ja, wir hatten insbesondere eine wichtige innerparteiliche Diskussion, aber auch mit der Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen geführt. Frühzeitig, bereits im September, hatte Frank-Walter Steinmeier noch vor der Bundestagswahl einen umfassenden Katalog für Afghanistan vorgelegt, wo auch die Abzugsperspektive schon angedeutet gewesen war. Wir hatten die London-Konferenz gehabt und es finden sich doch offensichtlich viele Teile im Antrag der Bundesregierung wieder, die wir auch für erforderlich halten für ein erfolgreiches Mandat in Afghanistan. Und deswegen hat ein großer Teil meiner Fraktion heute noch dem Mandat zugestimmt.
Engels: Wie ist es denn dann zu erklären - die SPD-Fraktion hat ja stark auf zusätzliche Ausbildung gesetzt, die in Afghanistan laufen soll, auch die flexible Reserve, denn es gehen ja nun mehr Männer dorthin, Männer und Frauen, die entsandt werden -, wie ist es zu erklären, dass jetzt die Zustimmung doch da ist, während doch eigentlich vorher die Debatte in der SPD war, es sollen nicht mehr entsandt werden?
Mützenich: Es geht ja insbesondere darum, ob die Ausbildungsleistung bei den afghanischen Streitkräften vonseiten Deutschlands verstärkt werden kann, und wenn man von 280 auf 1400 Ausbilder aufstockt, dann ist es natürlich nachvollziehbar. Wir haben gesagt, wir wollen keine weiteren deutschen Kampftruppen dort nach Afghanistan entsenden, und das ist eben auch nicht im Mandat der Bundesregierung enthalten.
Engels: Die SPD betont auch immer, dass Polizeibeamte stärker sich dort engagieren sollen. Konrad Freiberg, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, ist allerdings skeptisch über dieses, möglicherweise erneut erweiterte Aufgabenfeld. Er sagte heute früh im Deutschlandfunk:
"Wir wollen gerne helfen beim Aufbau einer demokratischen Polizei, aber erstens muss man festhalten: Dort wird natürlich keine Polizei in dem Sinne gebraucht, wie wir sie kennen. Dort werden Milizionäre gebraucht, die mit Maschinenwaffen, mit schweren Waffen die Dörfer vor den Taliban beschützen, die Kontrollen durchführen. Das ist in erster Linie, was gebraucht wird. Und wenn man dieses betrachtet, dann sind wir auch bereit zu helfen, auch Spezialisten auszubilden, aber nur in gesicherten Camps. Wir sind kein Teil der Bürgerkriegsparteien, wir wollen nicht in Kämpfe mit verwickelt werden. Das ist nicht unsere Aufgabe."
Engels: Konrad Freiberg. - Herr Mützenich, wenn die SPD immer mehr Ausbildung fordert, ist das ein Stück weit an der Realität vorbei?
Mützenich: Nein. Ich glaube, er hat genau den wunden Punkt auch noch mal getroffen, und das war ja auch immer die Schwierigkeit, die wir bei der Polizeiausbildung in der Vergangenheit gehabt haben. Zumindest die deutsche Polizeiausbildung ist für die afghanischen Verhältnisse nur schwer übertragbar. Wir haben jetzt eine Debatte über den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, wo zumindest ein Teil der Polizeigewerkschaften sagen, das bringt uns noch zusätzliche Schwierigkeiten. Deswegen muss die Bundesregierung natürlich jetzt uns auch im Parlament deutlich machen, wie sie diese Polizeiausbildung, wo 200 Polizeikräfte für vorgesehen sind, dann auch realisierbar machen will. Das ist wichtig, da kann ein Teil der Ausbildung vielleicht hier stattfinden. Auf der anderen Seite: Es gibt aber immer auch noch Polizistinnen und Polizisten insbesondere, die sich freiwillig für Afghanistan melden, und da müssen wir auch Raum schaffen, auch Sicherheit in Afghanistan, wo die Ausbildung dann funktionieren kann. Auf der anderen Seite - das hat Herr Freiberg ja heute Morgen auch in Ihrem Interview gesagt - müssen insbesondere die Staaten, die über eine andere Tradition der Polizeiausbildung verfügen, stärker noch in Afghanistan aktiv werden. Das ist auch eine Rolle deutscher Außenpolitik.
Engels: Herr Mützenich, überschattet wurde die Debatte heute über den Eklat im Zusammenhang mit der Links-Fraktion, die Plakate hochgehalten hatte, um eben an die zivilen Opfer in Kundus zu erinnern. Wie haben Sie diesen Eklat wahrgenommen und hat Herr Lammert da richtig entschieden?
Mützenich: Ich finde, dass im Parlament man insbesondere durch eine gute Rede überzeugen sollte und nicht so stark durch Demonstrationen. Und was mir an dem Protest nicht behagt ist, dass die Opfer teilweise in Afghanistan auch gegeneinander ausgespielt werden. Das halte ich für falsch. Die Linkspartei achtet nur sozusagen auf einen Teil auch der Opfer und ich glaube, wir sollten doch über alle trauern, die in diesem Konflikt zu Tode oder verletzt werden. Wir haben eine schwierige militärische Situation dort in Afghanistan und mir kommt es darauf an, dass wir eine ernsthafte Debatte führen, die nicht eben nur durch demonstrativen Eklat begleitet wird. Herr Lammert war nicht nur durch die Geschäftsordnung nach meinem Eindruck so in der Reaktion gewesen, sondern es gab offensichtlich im Ältestenrat mit Zustimmung der Links-Fraktion einige Wochen vorher genau eine Verabredung, dass so was nicht stattfinden soll, und das halte ich dann doch schon für einen schlechten parlamentarischen Umgang.
Engels: Herr Mützenich, Sie sagen, die Opfer in Afghanistan sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, sei es durch politische Eklats, sei es durch etwas anderes. Wie sehen Sie dann die Meldungen, die unseren Recherchen entsprechen, wonach das Verteidigungsministerium plant, Pauschalhilfen für Kundus-Opfer, möglicherweise auch in Sachleistungen anzubieten, statt individueller Entschädigung?
Mützenich: Das habe ich jetzt auch mit Interesse verfolgt, Ihre Recherchen. In den letzten Tagen hat man dazu einige Dinge gehört. Es wird ja eben sehr stark auf der Ebene auch der Exekutive, der Bundesregierung darüber die Verhandlungen geführt. Ich habe auch gehört, dass es nicht nur einige Anwälte gibt, die afghanische Opfer vertreten wollen. Da herrscht eine große Unübersichtlichkeit. Wir wollen eben auch von der parlamentarischen Seite in den nächsten Tagen Aufklärung bekommen. Das muss dann auch geschehen. Ich kann nicht genau beurteilen, wie die Bundesregierung jetzt verhandelt hat und was sozusagen das endgültige Ergebnis ist. Ich habe auch aus Ihrem Beitrag herausgehört, dass da noch nicht die letzte Entscheidung getroffen ist.
Engels: Diese Debatte heute stand ja eigentlich im Mittelpunkt mit Blick auch auf die Veränderung der Strategie, wonach deutsche Soldaten stärker aus den Lagern herausgehen sollen. Ist Ihrer Ansicht nach deutlich genug geworden, auch für die Öffentlichkeit, dass es für die Menschen, auch für die Soldaten, noch einmal gefährlicher wird in Afghanistan?
Mützenich: Ja. Ich glaube, das hat die Bundesregierung gesagt, das haben die einzelnen Fraktionen gesagt. Das ist insbesondere die Diskussion um den militärischen Teil. Aber ich will doch nicht außer Acht lassen: Wir haben doch das erste Mal auch mit der London-Konferenz und mit Präsident Obama auch eine außenpolitische Möglichkeit, in Afghanistan insbesondere die regionalen Nachbarn davon zu überzeugen, Afghanistan immer nicht nur als Aufmarschgebiet ihrer Probleme zu sehen. Indien, Pakistan ist mehr in den Fokus gerückt. Wir haben auch noch den Iran als wichtigen Nachbarstaat dort. Alles das ist auch Raum für einen Außenminister in Deutschland, der hier ein bisschen mehr Kreativität zeigen sollte. Und ich hoffe, dass er sich dieser Aufgabe jetzt, nach der innenpolitischen Debatte, die er provoziert hat, doch mal wieder stärker widmet. Wir brauchen deutsche Außenpolitik gerade für Afghanistan.
Engels: Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Ich danke für das Gespräch.
Mützenich: Danke für die Einladung.