Afghanistan - Müssen wir im Boot bleiben?
Die Bundeswehr in Afghanistan soll aufgestockt werden. Derzeit sind etwa 4500 Soldaten in dem Land stationiert - bis zu 850 weitere Soldaten sollen hinzukommen. Das sieht das neue Afghanistan-Mandat vor, über das nächste Woche der Bundestag abstimmen wird. Die Mehrheit der schwarz-gelben Koalition ist sicher - es wird wohl aber auch ein großer Teil der SPD-Fraktion diesem neuen Mandat zustimmen. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich meldet noch Diskussionsbedarf über das neue Mandat an. Seine Partei wolle ganz konkret wissen, ob der Beginn des Abzugs auch definitiv sei. Mit Klärung dieser Frage könnten auch Bedenken in der deutschen Öffentlichkeit ausgeräumt werden.
Leon Stebe: Lange Zeit hat sich die SPD offengelassen, ob sie dem neuen Mandat zustimmt. Was hat sich jetzt geändert, warum sind die meisten Sozialdemokraten doch dafür?
Rolf Mützenich: Wir sind immer noch offen und haben noch Diskussionsbedarf. In der nächsten Woche werden wir in fraktionsinternen Veranstaltungen , über die einzelnen Punkte noch mal diskutieren. Im Mandat, das die Bundesregierung jetzt vorgelegt hat, sind wesentliche Punkte, die wir seit September letzten Jahres fordern, beinhaltet. (Aber) wir haben noch Fragen, was zum Beispiel die Erhöhung des Kontingents um 350 bedeutet. Die Bundesregierung geht mit zwei Zahlen rein, 500 und dann noch mal 350... Wir wollen auch noch mal ganz konkret wissen, ob der Beginn des Abzugs, so wie wir es in der Begründung lesen, auch definitiv ist, wie das nachvollziehbar ist. Die nächsten Jahre werden schon entscheidend dafür sein, ob die Sozialdemokratie aus der Opposition heraus die Bundesregierung unterstützt. Wir wollen das. Wir sehen auch Verpflichtungen aus den letzten Jahren, aber wir haben auch weiterhin konkrete Forderungen.
Stebe: Wenn Sie zustimmen, dann nehmen Sie auch in Kauf, dass ein Großteil der Bevölkerung gegen den Afghanistan-Einsatz ist. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass dies ein Einsatz wird, der von immer weniger Menschen getragen wird? Das ist auch aus Sicht der deutschen Soldaten problematisch.
Mützenich: Das ist ein großes Dilemma... Vor dem haben wir schon in den letzten Jahren gestanden. Es ist auch schwer, es immer wieder zu erklären... Überall, wo wir innerhalb der Partei, aber auch in der Öffentlichkeit diskutieren, ist es schwierig... Aber ich glaube, es war richtig gewesen, dass wir auch sagen, wir brauchen einen konkreten Beginn des Abzugs und auch den endgültigen Abzug deutscher Kampftruppen aus Afghanistan. Insbesondere der Schutz der Bevölkerung, die Erhöhung der wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbauhilfe, alles das sind Fragen, die ..., wenn man ausführlich darüber diskutieren kann, auch bei den Menschen in Deutschland ankommen.
Stebe: Es gibt die Hoffnung, dass in einem Jahr schon die ersten Provinzen der Nordregion, dort wo Deutschland die Verantwortung trägt, an die afghanischen Behörden übergeben werden können. Ist das angesichts der Lage, wie wir sie jetzt erleben, wirklich realistisch?
Mützenich: Ich glaube schon. Es deutet sich auch mehr und mehr an, dass die afghanischen Sicherheitskräfte, insbesondere die Armee, in der Lage sind, auch für die Sicherheit, zum gegenwärtigen Zeitpunkt natürlich noch mit Unterstützung der internationalen Truppen, zu sorgen. Es besteht in Afghanistan der politische Wille, dies zu tun. Das sollten wir unterstützen. Deswegen haben wir uns auch so klar positioniert
Stebe: Gerade läuft die größte Militäroffensive seit dem Sturz der Taliban. Die USA-Armee hat den Schutz der Zivilbevölkerung über alles gestellt. Nun sind in Afghanistan wieder etliche zivile Opfer zu beklagen. Was läuft da falsch?
Mützenich: Das ist der Punkt, den wir immer gesagt haben. Dieser Konflikt ist nicht militärisch, sondern politisch zu gewinnen. Deswegen haben wir auch vor mehreren Jahren, zum Beispiel mit Kurt Beck, gefordert, wir brauchen eine Aussöhnungsprozess in Afghanistan. Das ist noch belächelt worden, damals auch mit sehr scharfen Äußerungen von den heutigen Verantwortlichen in der Regierung kommentiert worden. Plötzlich ist das sozusagen der Königsweg. Das glaube ich zum Beispiel nicht, aber es ist zumindest ein Element in der Befriedung Afghanistans. Was bisher immer noch fehlt, ist die diplomatische Einbindung der Nachbarn Pakistan, der zentralasiatischen Staaten Russland, China, Indien. Ich glaube, dass das letztlich auch mit dazu beitragen kann, dass Afghanistan nicht mehr zum Instrument auswärtiger regionaler Akteure wird.
Stebe: Jetzt weigern sich alle Politiker einen konkreten Abzugstermin für die Soldaten zu nennen. Aber was ist die Perspektive? Wäre es denn denkbar, die internationale Schutztruppe zieht aus Afghanistan ab, ohne dass die Taliban spürbar geschwächt sind?
Mützenich: Wir haben uns schon da ganz konkret erklärt. Wir haben uns an dem orientiert, was Barack Obama an Notwendigkeiten beschrieben hat. Das sind auch die neuen Chancen, die der amerikanische Präsident angeboten hat. Er hat den Beginn des Abzugs (2011) in seiner Westpoint-Rede kommentiert. Er hat auf der anderen Seite noch mal gesagt, dass natürlich auch ein Abzugstermin insgesamt da sein muss. Wir glauben, es ist verantwortbar, dies innerhalb eines Korridors von 2013 bis 2015 zu tun, insbesondere weil die afghanische Regierung gesagt hat, sie will in diesem Zeitraum in ganz Afghanistan die Verantwortung für die Sicherheit übernehmen.