"Merkel lässt sich zu viel Zeit"

Interview mit Markus Bickel
Veröffentlicht: 
FAZ.net, 22.01.2010
Thema: 
Zur Debatte um den Afghanistan-Einsatz

Wenige Tage vor der Londoner Konferenz kommt die SPD an diesem Freitag zusammen, um über die Strategie für Afghanistan zu beraten. Mit Rolf Mützenich, dem außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, sprach Markus Bickel.

Markus Bickel: Herr Mützenich, der Sprecher des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, kritisiert die "Schlammschlacht" der Parteien im Kundus-Untersuchungsausschuss. Geht es der SPD letztlich nicht nur darum, Verteidigungsminister zu Guttenbergs zu stürzen?

Rolf Mützenich: Nein. Wir wollen lediglich wissen, auf welcher Grundlage der Verteidigungsminister zu sehr unterschiedlichen Bewertungen über die Notwendigkeit des Kundus-Einsatzes gekommen ist. Das ist das Aufklärungsbedürfnis, das wir im Untersuchungsausschuss haben: Wenn er möglicherweise damals falsch gelegen hat, dann kann er das auch wieder korrigieren. Das hat überhaupt nichts mit den Soldaten oder einer öffentlichen Debatte über die Bundeswehr zu tun, deren Arbeit in Afghanistan ich sehr schätze.

Bickel: Die SPD schlingert zwischen Ablehnung und Zustimmung zu einem erneuerten Afghanistan-Mandat. Wollen sich die Sozialdemokraten aus der Verantwortung stehlen?

Mützenich: Nein, im Gegenteil, wir wollen uns an der gesellschaftlichen Debatte beteiligen, und ich glaube, dass wir dort eine sehr gute Position gefunden haben: Wir haben stets für eine klare Abzugs- und Endperspektive plädiert. Wenn wir uns in dem von Frank-Walter Steinmeier aufgezeigten Korridor von 2013 bis 2015 bewegen, sind wir auf einem guten Weg. Die Bundesregierung wäre klug beraten, diese Gedanken in ihre Konzepte aufzunehmen.

Bickel: Zum ersten Mal seit Beginn der Operation Enduring Freedom hat die SPD-Fraktion Ende letzten Jahres gegen den Einsatz vor der somalischen Küste gestimmt. Ist das nicht ein Zeichen, dass man sich auch aus Afghanistan verabschieden will?

Mützenich: Nein, ich fand das sehr konsequent, weil wir selbst während unserer Regierungsverantwortung über OEF immer kontrovers diskutiert haben. Der Bekämpfung der Piraterie unter dem Mandat von ?Atalanta? hingegen haben wir zugestimmt, weil wir das für völkerrechtskonform halten. Dass wir nicht mehr für das OEF-Mandat gestimmt haben, hängt damit zusammen, dass wir nicht glauben, dass es zu dem Einsatz in Afghanistan passt.

Bickel: Die Vereinigten Staaten verstärken ihre Truppen in Afghanistan. Muss die Bundeswehr auch mit mehr Soldaten präsent sein?

Mützenich: Man muss erstmal ein Konzept entwickeln, das haben wir als Opposition getan. Es ist nun Aufgabe der Bundesregierung, ihrerseits Vorschläge zu unterbreiten, das dauert viel zu lange. Deshalb begrüße ich, dass die Bundeskanzlerin sich endlich dazu bereit erklärt hat, noch vor der London-Konferenz die deutsche Position dem Bundestag vorzulegen. Ich bin gespannt, was sie dort verkünden wird.

Bickel: Die Bundeswehr befindet sich seit gut einem Jahr im Krieg in Afghanistan. Ist es da nicht sinnvoll, auch die Kampftruppen aufzustocken?

Mützenich: Es wäre sinnvoll, dass die Bundesregierung beantwortet, ob wir innerhalb des jetzigen, vom Bundestag beschlossenen Mandats von 4500 Soldaten den Anforderungen gerecht werden. Allein 400 davon waren ja nur für die Wahlen bereit gestellt worden. Außerdem haben wir einen zeitlich befristeten Tornado-Einsatz. Ich glaube, es gibt Regionen, wo die Bundeswehr nicht mehr so stark präsent sein muss, in anderen dafür um so stärker.

Bickel: Das heißt, die Verlagerung von Bundeswehrsoldaten wäre sinnvoll - beispielsweise weniger in Mazar-i-Scharif, mehr in Kundus?

Mützenich: Das kann ich nicht beantworten, weil ich als Abgeordneter nicht auf der Kommandohöhe stehen will. Aber von der Bundesregierung wünsche ich mir in dieser Frage schon konkrete Auskünfte.

Bickel: Der Afghanistan-Einsatz wurde von Rot-Grün beschlossen. Auch zu Zeiten Steinmeiers als Außenminister wurde die Zahl der Ausbilder nicht erhöht, weder Feldjäger noch Bundespolizisten wurden nachhaltig aufgestockt. Warum nicht?

Mützenich: Wir haben während unserer Regierungszeit mit Sicherheit auch Fehler gemacht. Man muss sich vor allem fragen, ob die Verlagerung der Polizeiausbildung auf die europäische Ebene damals wirklich so zielführend war. Auf der anderen Seite muss die jetzige Bundesregierung sagen, weshalb es nicht gelingt, die Ministerpräsidenten, die ja hauptsächlich CDU-Ministerpräsidenten sind, zur Bereitstellung von mehr Polizisten zu bewegen.

Bickel: Auch die Bundeswehr stellt Feldjäger zu Ausbildungszwecken. Müssen diese im Zweifel nicht auch in der Lage sein zu kämpfen?

Mützenich: Ich halte es für wichtiger, dass wir die Afghanen darin unterstützen, selbständig Sicherheitsverantwortung zu übernehmen. Deshalb sollten sich die Ausbilder darauf konzentrieren.

Bickel: Teilen Sie die Kritik, die Bischöfin Käßmann am Militäreinsatz in Afghanistan geäußert hat?

Mützenich: Ich bin dankbar, dass Bischöfin Käßmann, aber auch andere aus den Kirchen, sich endlich zu Wort gemeldet haben. Das brauchten wir, weil wir auch eine gesellschaftliche Debatte wollen. Ich habe nie die Forderung erhoben, dass die Kirchen sich beim Thema Krieg und Frieden zurückhalten sollten. Dennoch muss Frau Käßmann sich im Gegenzug auch die Frage gefallen lassen, welchen Maßstab sie anlegt. Wenn ich zum Beispiel eine neue Umfrage von ARD und BBC lese, wonach die Afghanen ein sehr realistisches Bild ihrer Situation zeichnen, aber auch von Fortschritten sprechen, muss das in der innenpolitischen Debatte hier ebenfalls eine Rolle spielen. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, was die Afghanen selbst empfinden - und da hat Bischöfin Käßmann einen gewissen Nachholbedarf. Dennoch, die Debatte ist notwendig, und es ist wichtig, dass sie sich weiter daran beteiligt.

Bickel: Ist es richtig, ein Datum für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu nennen?

Mützenich: Ich glaube, es ist klug, dass Steinmeier einen zeitlichen Korridor benannt hat, weil wir natürlich auch den Verantwortlichen in Afghanistan und den angrenzenden Ländern klar machen müssen, dass die internationale Gemeinschaft nicht unbefristet dort sein kann. Ich bin gespannt darauf, wie die Bundeskanzlerin darauf reagieren wird.

Bickel: Gibt man den Taliban damit nicht das Signal, sie müssten nur lange genug aushalten, um wieder an die Macht zu gelangen?

Mützenich: Wir müssen uns klarmachen, dass die Aufständischen in ganz anderen zeitlichen Dimensionen denken als in Demokratien üblich. Auf der anderen Seite muss ein Endpunkt genannt werden, so wie wir es jetzt innerhalb eines Korridors getan haben. Russland, China, Iran oder Pakistan können sich als wichtige Länder der Region nicht auf ein unbegrenztes Engagement anderer verlassen, sondern müssen mit dazu beitragen, dass Sicherheit in Afghanistan herrscht - ebenso wie die Verantwortlichen im Lande selbst.

Bickel: Wenn es zu einem Anschlag in Deutschland käme, würde die SPD dann nicht reagieren wie die spanischen Sozialisten nach dem Anschlag von Madrid 2004 - und einen schnellen Rückzug aus Afghanistan fordern?

Mützenich: Wir wissen, dass insbesondere Polizei und Geheimdienste effektiv zusammenarbeiten müssen, um Anschläge zu verhindern. Das ist bislang gelungen, auch wenn wir in manchen Situationen einfach nur Glück hatten. Aber ich kann nicht in Abrede stellen, dass die Bevölkerung in Demokratien sich von solchen Ereignissen auch beeinflussen lässt. Das soll keine Kritik an den Spaniern sein, sondern eher die Aufforderung, die weltweite Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten weiter zu verstärken, um solche Anschläge möglichst zu verhindern. Hundertprozentige Sicherheit wird es aber leider nie geben.