"Sie kann sich nicht herausstehlen"
SPD-Außenexperte Rolf Mützenich verlangt von der schwarz-gelben Koalition eine schnelle Ansage über den künftigen deutschen Afghanistan-Einsatz. Die Regierung könne nicht bis nach der Afghanistan-Konferenz im Januar warten, sagte Mützenich.
Marietta Schwarz: 30.000 Soldaten mehr will Barack Obama nach Afghanistan schicken. Dann sollen die Truppen aber auch relativ schnell ihre Arbeit am Hindukusch erledigen und nach 18 Monaten mit dem Abzug beginnen. In den USA erntete der Präsident postwendend viel Kritik für diese Ansage.
Aus der NATO und von den Verbündeten dagegen war Einverständnis, auch Lob zu hören, auch von Bundeskanzlerin Merkel, und das, obwohl diese Ankündigung des US-Präsidenten Deutschland unter Zugzwang setzt, denn Truppenaufstockung bedeutet auch mehr Bundeswehrsoldaten am Hindukusch. Von 2000 oder 2500 ist die Rede.
Heute entscheidet der Bundestag über eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats um ein Jahr. Man lässt es also erst mal ruhig angehen mit dem Afghanistan-Problem, und ob das der richtige Weg ist, darüber spreche ich mit Rolf Mützenich, dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Mützenich.
Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Schwarz.
Schwarz: Herr Mützenich, Kanzlerin Merkel begrüßt Ankündigung von Obama. So ist es seit gestern überall zu lesen. Reicht begrüßen aus?
Mützenich: Nein. Wir müssen darüber diskutieren und ich glaube, wir müssen uns auch auf eine intensive Debatte hier in Deutschland einlassen über das, was wir in Afghanistan tun, und da ist insbesondere die Bundesregierung gefordert, weil sie kann sich nicht herausstehlen, indem sie sagt, erst nach dem 28. Januar, nach der Afghanistan-Konferenz in London, will sie Klarheit schaffen. Ich glaube, wir brauchen schon vorher eine klare Ansage der Bundesregierung, was dann ihre Ziele, Strategien und auch Instrumente sind, um auf der Afghanistan-Konferenz den deutschen Beitrag sichtbar zu machen, aber auch auf der anderen Seite eine klare Perspektive für Afghanistan zu zeigen.
Schwarz: Der Bundestag stimmt heute über die Verlängerung des Mandats ab, aber eigentlich geht es doch längst um etwas anderes, nämlich die Mandaterweiterung oder nicht?
Mützenich: Nein. Heute muss der Bundestag natürlich auch deswegen abstimmen, weil wir dürfen keine Rechtsunklarheit lassen. Als vor 14 Monaten der letzte Deutsche Bundestag ein Mandat erteilt hatte, konnte ja niemand voraussehen, dass Präsident Obama vor zwei Tagen die Rede hält.
Damals wollte der alte Bundestag dem neuen Bundestag nicht vorgreifen, sonst wäre diese Debatte in den September gefallen. Also das ist schon eine richtige Zeitfolge. Aber kurzum: Die Bundesregierung muss jetzt in den nächsten Wochen deutlich machen, was der deutsche Beitrag, aber insbesondere auch der europäische Beitrag ist.
Schwarz: Und was ist der?
Mützenich: Ich denke, insbesondere eine politische Debatte darüber, was wir in Afghanistan wollen, was dort die Ziele sind, wie wir sie am besten erreichen, sowohl natürlich auch mit einer Sicherung, auf der anderen Seite, aber auch eine bessere zivile Ausrichtung, ein besserer Polizeiaufbau. Ich denke, diese Fragen liegen auf dem Tisch. Da kommt es viel auch auf die Koordination an, viel auch auf die deutsche Rolle, und ich würde mich gar nicht allein auf diese militärische Frage verengen wollen. Das ist auch nicht unser Auftrag.
Ich muss zugeben, ich stehe in einem gewissen Dilemma gegenüber der Rede von Präsident Obama. Ich glaube, wir bekommen keinen besseren amerikanischen Präsidenten. Deswegen hat er alle Unterstützung notwendig für die Fehler, die auch sein Vorgänger gemacht hat. Das wäre ein wichtiger europäischer Beitrag.
Auf der anderen Seite dürfen wir nicht aus dem Blick lassen, diese Rede war innenpolitisch sehr stark ausgerichtet, teilweise auch motiviert, und nur aus diesem Blickwinkel erklärt sich auch die zumindest Option auf den beginnenden Rückzug.
Schwarz: Aber, Herr Mützenich, jetzt müssen wir noch mal auf Deutschland zu sprechen kommen. Sie sagen, wir müssen diskutieren, das machen wir natürlich jetzt schon seit vielen, vielen Jahren. Jetzt noch mal die ganz konkrete Frage: Wie steht denn Ihre Partei, die SPD, zu einer Aufstockung deutscher Truppen in Afghanistan?
Mützenich: Wir haben immer deutlich gemacht, dies steht in einem Gesamtzusammenhang, und noch während des Wahlkampfes hat auch der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt, der sehr stark darauf orientiert gewesen ist, natürlich über die Frage der Truppen zu diskutieren, aber auf der anderen Seite eben auch die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen, die notwendig sind. Ich glaube, das wird in unserer deutschen Debatte immer vergessen.
Wir leben manchmal nach Überschriften, nach Soldaten, nach bestimmten Ereignissen, aber ich glaube, es ist viel notwendiger, über diese Gesamtstrategie nachzudenken, und leider fehlte das auch teilweise in der Obama-Rede, nämlich insbesondere auch die regionalen Akteure einzubeziehen.
Da geht es nicht alleine um Pakistan, um die Stabilisierung an dieser Stelle, sondern insbesondere auch die regionalen Nachbarn, auch den Iran anzusprechen, dass er ein gemeinsames Interesse mit der internationalen Weltgemeinschaft hat, hier in Afghanistan für Stabilität mitzusorgen, aber insbesondere auch die Adresse an Karzai: Er muss natürlich auch Leistungen bringen. Und der dritte Schritt wäre aus meiner Sicht eine doch viel stärkere, über Kabul hinausgehende politische Strategie, mit den regionalen Akteuren vor Ort in Afghanistan auch zu Verabredungen zu kommen.
Schwarz: Ein Gesamtkonzept, das kann man gut nachvollziehen. Es bleibt trotzdem die Frage: Aufstockung deutscher Truppen ja oder nein?
Mützenich: Nein, ich glaube nicht. Ich möchte Ihnen das noch mal sagen. Ich glaube, das wird sehr stark verengt. Es gibt zwar jetzt eine Truppenstellerkonferenz. Der NATO-Generalsekretär wabert mit unterschiedlichen Zahlen durch die Medien. Ich habe das auch nicht so verstanden, dass Präsident Obama ausdrücklich an jeden einzelnen seinen Auftrag erteilt hat.
Die Bundesregierung muss klar sagen, was sie an dieser Stelle will, und ich glaube, es gibt innerhalb des Mandats, das wir beschlossen haben, noch genügend Spielraum. Aber wir warten ab, und wir wollen insbesondere die Ausbildungskomponente an dieser Stelle gegenüber den afghanischen Streitkräften, aber auf der anderen Seite auch den Polizeiaufbau und die Stärkung ziviler Strukturen vorantreiben, und da warten wir darauf, was die Bundesregierung jetzt zu sagen hat. Das ist nicht die Rolle der Opposition.
Schwarz: Ist die SPD sich da einig in dem Kurs?
Mützenich: Ich glaube schon. Wir hatten eine sehr interessante Debatte bei uns in der Fraktion am Dienstag über einen wichtigen Entschließungsantrag, den wir heute zur Abstimmung stellen. Da stehen diese Schritte drin. Und das war doch ein sehr großer Konsens. Wir hatten, glaube ich, nur ganz wenige Enthaltungen an dieser Stelle.
Schwarz: Rolf Mützenich war das, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Mützenich, vielen Dank für das Gespräch.
Mützenich: Vielen Dank für die Einladung, Frau Schwarz.