Mützenich: "Wir dürfen die Situation nicht schönreden"
Christian Beckmann: Der deutsche Verteidigungsminister Jung widerspricht dem Oberbefehlshaber der NATO in Afghanistan, der behauptet, dass die Taliban das Heft wieder in der Hand hätten. Wer hat Recht?
Rolf Mützenich: Man darf nicht drum herum reden, die Sicherheitslage ist problematischer geworden, sie ist zugespitzt. Das haben wir auch erwartet im Hinblick auf die Wahlen in Afghanistan am 20. August. Und natürlich sind die Taliban auch viel stärker unter Druck geraten. Auf der einen Seite durch die neue Strategie der amerikanischen Administration, auf der einen Seite auch dadurch, dass die pakistanische Regierung mittlerweile offensichtlich reagiert... Wir dürfen die Situation nicht schönreden.
Beckmann: Aber der Oberbefehlshaber der NATO meint, dass die Taliban wieder die Oberhand hätten. Das sieht so aus, dass die NATO um den Erfolg dieses Einsatzes schon fürchten müsste.
Mützenich: ... Die NATO fürchtet ja auch bereits seit mehreren Monaten, wenn nicht sogar Jahren um diese für sie offensichtlich sehr wichtige, teilweise für Einzelne existenzielle Situationen der NATO. Ich bin mir ganz sicher, dass auch ein NATO-Oberbefehlshaber unterschiedliche Facetten bedenkt. Und er muss insbesondere über die Sicherheitslage diskutieren... Ich bin sehr dankbar, dass die Obama-Administration bereit ist, insbesondere mit den regionalen Akteuren vor Ort zu versuchen, politisch die Situation zu beeinflussen. Und scheinbar ist hier auch eine Situation gegeben, da die afghanische Regierung - und sogar die NATO - bereit ist, mit Teilen von Taliban zu diskutieren.
Ich erinnere an die sehr heftige Diskussion über Kurt Beck..., wo man ihm sozusagen eine schwierige Gemengelage vorgeworfen hat, und jetzt macht es die NATO.
Beckmann: Dann sagen Sie auch, dass der Oberbefehlshaber der NATO nicht Recht habe mit seiner Aussage?
Mützenich: Ich glaube, das müssen die beiden untereinander klären... Die Situation ist schwieriger geworden, die militärischen Herausforderungen sind da. Aber insbesondere haben wir da eine neue Chance, auch politische Dinge zurechtzurücken, die mit der Bush-Administration so schwierig gewesen waren.
Beckmann: Haben die Taliban wirklich die Oberhand?
Mützenich: ... Das ist natürlich nur von hier aus für mich zu beurteilen, ich bin nicht unmittelbar vor Ort... Aber ich bin schon der Überzeugung, dass mindestens ein Viertel des Gebietes in Afghanistan in einer sehr schwierigen Situation auch im Hinblick auf die Wahlen ist. Das betrifft auch mittlerweile das Gebiet, wo die Bundeswehr versucht, die Kontrolle zu halten, mit anderen alliierten Truppen. Und das sind Dinge, die uns natürlich zu denken geben...
Beckmann: Will der Bundesverteidigungsminister jetzt also ein bisschen beruhigen?
Mützenich: Das mag sein... Auf der anderen Seite finde ich, man darf der Bevölkerung hier nicht etwas vormachen. Man muss weiterhin darauf hinweisen, dass die Situation sehr schwierig ist. Ich glaube, wenn man ein offenes Wort findet, kann man vielleicht auch mehr überzeugen. Und deswegen ist der Verteidigungsminister aus meiner Sicht auch gut beraten ..., die Dinge nicht schönzureden, sondern die Realitäten anzuerkennen, und insbesondere Lageanalysen auch von Militärs mit in seine Begutachtung hineinzunehmen.
Beckmann: Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General Kujat, sagt auch, man müsse jetzt die NATO-Schutztruppe - auch die Bundeswehr - besser ausstatten, aufgrund der erschwerten Sicherheitslage.
Mützenich: Ich glaube, dass diese Expertise überzeugt ..., genau das ist richtig. Ich finde, darum muss sich der Verteidigungsminister auch kümmern, dass die Schutzkomponente für die Truppe wesentlich stärker ist. Man darf sich nicht hier in Deutschland über militärische Großprojekte so stark den Kopf zerbrechen, sondern insbesondere, was die Herausforderungen für die Truppe vor Ort sind.