"Nicht reflexartig zu Sanktionen greifen"

Interview mit Christoph Dinkelaker
Veröffentlicht: 
Zenith online, 25.06.2009
Thema: 
Zur Situation im Iran

Christoph Dinkelaker: Herr Mützenich, wie bewerten Sie die Botschaft der Demonstrationen, die in den vergangenen Tagen in Teheran und in anderen Städten stattfanden? Als Protest gegen den Wahlbetrug oder als Protest gegen das System als solches?

Rolf Mützenich: Zunächst richtete sich der Protest in erster Linie gegen die allzu offensichtlichen Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung der Präsidentschaftswahlen in einzelnen Städten, wenn nicht sogar im gesamten Iran. Verständlicherweise war die Bevölkerung über die alles andere als objektive Auszählung der Stimmen erbost. Mittlerweile hat sich jedoch der Protest aus meiner Sicht - auch weil sich die Regierung in der gespannten Situation unklug verhalten hat - zumindest teilweise gegen das Regime entwickelt.

Dinkelaker: Sie waren mehrfach im Iran. Wer sind gegenwärtig aus Ihren Erfahrungen die entscheidenden Akteure in der iranischen Politik? Gibt es Akteure, die die Bundesregierung gezielt stützen oder fördern sollte?

Mützenich: Ich glaube, dass in Deutschland die Islamische Republik endlich als differenziertes Machtsystem mit unterschiedlichen Machtzirkeln wahrgenommen wird. Nach wie vor scheinen der religiöse Führer Khamenei sowie der Präsident Ahmadinedschad die entscheidenden Akteure zu sein. Auf der anderen Seite sind jedoch Gremien wie der Schlichtungs- und der Expertenrat wichtige Foren der politischen Willens- und Meinungsbildung. Nach meinem Dafürhalten war das politische System seit der Islamischen Revolution 1979 darauf angewiesen, in diesen Zirkeln Kompromisse zu erreichen. Mittlerweise wird diese Kompromissfindung schwieriger, weil neue Gruppen - etwa die Veteranen aus dem iranisch-irakischen Krieg, die Ahmadinejad unterstützen - mehr und mehr in dieses System hineindrängen. Dieser äußerst schwierige politische Prozess wurde von den Wahlen zusätzlich überlagert, dadurch wurden bestehende Konfliktlinien verschärft. Ansonsten spielen schwer durchschaubare informelle Machtzirkel eine wichtige Rolle, weiterhin sind die alten Wirtschaftseliten und die religiösen Stiftungen sehr einflussreich. Die Bundesregierung kann kaum unmittelbar auf Akteure einwirken. Aus meiner Sicht fahren die Bundesregierung und die EU den richtigen Kurs, sich im Sinne einer relativen Meinungsfreiheit im Iran deutlich zu äußern und die Unregelmäßigkeiten in Bezug auf die Wahlen anzusprechen. Bei dieser Strategie wird man sich weniger auf Akteure, sondern auf Bewegungen beziehen können.

»Obamas Reaktion ist angebracht«

Dinkelaker: Am Dienstag hat der Wächterrat eine Annullierung der Wahlen ausgeschlossen. Kanzlerin Merkel forderte eine Neuauszählung der Stimmen. Reicht dies aus oder sollte man entschiedener Neuwahlen fordern? Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die eher zurückhaltende Reaktion der USA?

Mützenich: Mittlerweile ist es relativ schwierig, den gesamten politischen Prozess allein auf die Wahlen zu beziehen, die eher als Instrument der politischen Dynamik anzusehen sind. Die Wahlen waren nicht frei, schon im Vorfeld wurde der Großteil der Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen nicht zugelassen. Selbst der Wächterrat hat am Montag massive Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung eingeräumt. Deutschland, die EU und die USA sind gut beraten, dem politischen System im Iran die Zeit und Möglichkeit zu geben, hinter den Kulissen zu einer friedlichen Lösung dieser Systemkrise zu kommen. Obamas zurückhaltende Reaktion scheint mir angebracht, da die Beziehungen zwischen den USA (sowie Großbritannien) und dem Iran historisch belastet sind. Jede offensive Einflussnahme und Unterstützung der Proteste durch die USA würden dem Regime die Möglichkeit geben, die Proteste als ?von außen gesteuert? darzustellen und sich dadurch zu konsolidieren.

Dinkelaker: Haben Sie Informationen über die Gespräche zwischen Außenminister Steinmeier und dem iranischen Botschafter?

Mützenich: Genauere Informationen über den Inhalt der Gespräche sind mir nicht bekannt. Dennoch halte ich es für wichtig, dass der iranischen Botschafter bereits zwei Mal einbestellt wurde, um auf die inakzeptable Behandlung ausländischer Korrespondenten hinzuweisen und außerdem auf unsere Sorge um die Demonstranten im Iran aufmerksam zu machen. Gleichzeitig muss man auch immer wieder betonen, dass wir - unabhängig von den gegenwärtigen Konflikten im Land - mit dem Iran gemeinsame Interessen in der Region verfolgen. Die Stabilisierung Iraks und Afghanistans sowie eine Regulierung der Flüchtlingsströme aus Afghanistan, die den Iran belasten, und die Drogenproblematik ohnehin sind Punkte, bei denen es große Übereinstimmungen mit dem Iran gibt. Von daher ist es gut, immer wieder über gemeinsame Interessen zu sprechen. Außerdem sagen wir deutlich, dass wir den Konflikt über das iranische Atomprogramm und weitere offene Fragen, die die internationale Atomenergiebehörde festgestellt hat, weiterhin friedlich lösen wollen. Dies sind auch wichtige Signale für den Iran.

Dinkelaker: Sind weitere Sanktionen gegen den Iran seitens der Bundesregierung, der EU oder den Vereinten Nationen eine geeignete Option?

Mützenich: Zunächst ist es wichtig zu schauen, ob und wie Sanktionen im Rahmen des Völkerrechts beschlossen und umgesetzt werden können. In diesem Zusammenhang nimmt der Sicherheitsrat eine wichtige Funktion ein, der ja auch bislang auf Basis der Berichte der internationalen Atomenergiebehörde gehandelt hat. So sollte aus meiner Sicht weiterhin verfahren werden, da es gegenwärtig keinen anderen Rahmen für die Atomenergiebehörde gibt.

Wir sollten aufpassen, nicht reflexartig zu Sanktionsinstrumenten zu greifen. Dagegen scheint die öffentliche Begleitung der Protestbewegung ein effektives Mittel, das für die Regierung in Teheran sehr schwierig zu handhaben ist. Das Regime hat sehr empfindlich auf diese Berichterstattung reagiert, da hierdurch das wahre Gesicht bestimmter Regimenaher Gruppen deutlich wurde. Deshalb sollte an dieser Stelle weiterhin der Hebel angesetzt werden.

»Die Wirtschaft braucht Selbstverpflichtungen«

Dinkelaker: Wie bewerten Sie in Bezug auf die starken Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Iran und Deutschland jüngste Vorwürfe gegen Nokia und Siemens, die durch die Lieferung von Überwachungstechnik das Regime unterstützten?

Mützenich: Das Beispiel des Iran hat schon in den vergangen Monaten und Jahren gezeigt, dass wirtschaftliche Kontakte immer sensibel sind. Auch die deutsche Wirtschaft muss dazu gedrängt werden, interessiert daran zu sein, dass die Technikexporte von den Empfängern nicht dazu genutzt werden, um womöglich gegen Menschenrechte zu verstoßen. Ich plädiere in diesem Zusammenhang dafür, dass auch in der Wirtschaft Selbstverpflichtungen existieren müssen. Der Staat hat nur wenige Handlungsmöglichkeiten - es sei denn, dass es innerhalb des Völkerrechts ein Sanktionsregime gibt, was jedoch an dieser Stelle kaum zu verwirklichen wäre. Da wir heutzutage Technologien haben, die auf verschiedenste Weisen eingesetzt werden können, kann man einen Missbrauch der Möglichkeiten nie ganz ausschließen.

Dinkelaker: Noch eine persönliche Frage: wie informieren Sie und Ihre Kollegen im Bundestag sich über die Entwicklungen im Iran? In erster Linie durch die Medien oder auch durch Exil-Iraner, politische Stiftungen, Blogs, etc.?

Mützenich: Hauptsächlich stützen wir uns momentan auf die Medienberichterstattung. Jedoch greifen wir zudem auf die neuen Medien wie das Internet zurück, das aufgrund seiner ständigen Aktualisierung ein wichtiges Informationsmedium darstellt. Gleichzeitig muss man sich im Klaren darüber sein, dass solche Netzinformationen auch manipuliert werden können. Deswegen glaube ich, dass eine zusammengefasste Berichterstattung von Korrespondenten unersetzbar ist. Deshalb plädieren wir ja auch für eine unabhängige Medienberichterstattung aus dem Iran selbst. Dies ist meiner Meinung nach auch im Sinne des Landes und im Sinne einer informierten Öffentlichkeit.