"Jeder Atomtest ist eine neue Stufenleiter der Eskalation"
Annette Nolting: Wird Kim Jong Il die Verurteilung seines Atomtests durch den UN-Sicherheitsrat beeindrucken?
Rolf Mützenich: Wahrscheinlich erstmal nicht. Wie es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist, wird er wahrscheinlich noch deutlicher seine Meinung in der Öffentlichkeit nicht nur sagen, sondern wahrscheinlich auch mit Waffentests dokumentieren. Aber es kommt insbesondere darauf an, ob die Volksrepublik China dieses Mal bereit ist, eine kräftige Resolution mit zu unterstützen, entsprechende Maßnahmen an seiner Grenze, aber auch gegenüber dem Regime zu machen. Das ist erstmal der wichtigste Punkt. Und es scheint ja so zu sein, dass die Volksrepublik China sich auch gedemütigt fühlt.
Nolting: Das heißt aber gleichzeitig auch, dass derzeit eigentlich niemand Interesse daran hat, Nordkorea politisch zu destabilisieren?
Mützenich: Nein, natürlich nicht, weil die Gefahr riesengroß ist. Nicht nur das Waffenarsenal ist ein großes Problem, auch die politischen Verhältnisse sind das. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, in Südkorea haben wir zurzeit eine sehr instabile Situation. Der neue Präsident war auch nicht gerade ein Anhänger einer Entspannungspolitik in Richtung Nordkorea. Ich finde, auch Japan ist nicht sehr hilfreich in allen Bezügen gewesen. Ich glaube, insbesondere die historische Dimension Japans in der Region muss aufgearbeitet werden von diesem Land - also ein sehr kompliziertes Geflecht von Situationen. Aber insbesondere Nordkorea ist verantwortlich für die Eskalation.
Nolting: Ja, nun ist aber Nordkorea weder mit scharfen noch mit freundlichen Worten, weder mit Sanktionen noch Gesprächen eingebettet worden. Man hat Gespräche geführt. Und trotzdem legt dieses Land seine Atomwaffenpläne nicht ad acta. Es hat nicht geholfen. Deshalb bleibt natürlich die Frage, ob die Weltgemeinschaft einfach eine falsche Strategie oder gar keine entwickelt hat.
Mützenich: Das ist nun mal die Mühsal der Diplomatie, gerade gegenüber einem solchen Regime. Dies war leider auch zu erwarten gewesen. Insbesondere mit dem Präsidentenwechsel in den USA haben viele Experten innerhalb der Region befürchtet, dass nun Nordkorea gegenüber Obama auftrumpfen wird. Die entscheidende Frage wird sein, wie in Washington möglicherweise Konsequenzen daraus gezogen werden. Und ich hoffe, dass man weiterhin eben versucht, zu direkten Gesprächen mit Nordkorea bereit zu sein. Das war ein wichtiger Punkt gewesen. Und man darf ja auch nicht vergessen, dass die letzte Administration in Washington ein Hin und Her in ihrer Diplomatie gemacht hat. Nordkorea wurde am Anfang zur Seite gelegt. Es wurden keine diplomatischen Angebote gemacht. Erst mit den Sechs-Parteien-Gesprächen gab es einen gewissen Fortschritt. Und dies hat ja auch gezeigt, dass Nordkorea beeinflussbar ist. Es ist auf diesen Prozess eingegangen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt sehen wir eben, dass der Eskalation wieder das Wort geredet wird. Und umso mehr glaube ich, müssen wir behutsam mit diplomatischen Schritten vorangehen. Aber insbesondere muss innerhalb der Vereinten Nationen zu einer gemeinsamen Strategie gegriffen werden. Und dazu scheint ja, wie wir besprochen haben, die Volksrepublik China zum jetzigen Zeitpunkt bereit zu sein.
Nolting: Das klingt jetzt zwar zynisch, aber es gäbe ja unterm Strich noch die Möglichkeit, den nordkoreanischen Diktator Kim Jong Il so lange agieren zu lassen, bis er kein Plutonium mehr hat.
Mützenich: Ich kann das nicht einschätzen, wie viel Reserven insgesamt vorhanden sind. Aber jeder Atomtest ist sozusagen eine neue Stufenleiter in der Eskalation. Und dies dürfen wir eigentlich aus meiner Sicht nicht provozieren, sondern wir müssen andere Schritte an dieser Stelle gehen. Ich glaube, es ist möglich. Die unterschiedlichen Partner in der Region müssen sich auf ihre Fragen konzentrieren, das ist zwar richtig, aber auf der anderen Seite geht es aus meiner Sicht zurzeit alleine um die Beherrschung dieser nordkoreanischen Krise. Und deswegen, finde ich, sollten innenpolitische Debatten, wie sie in Südkorea oder in Japan geführt werden, auch zurückgestellt werden.
Nolting: Ich danke Ihnen recht herzlich. Rolf Mützenich war das, Außen- und Abrüstungsexperte der SPD im Bundestag.