Deutschlands Politik in Afghanistan

Interview mit Bettina Nutz
Veröffentlicht: 
WDR 5 Morgenecho, 11.05.2009
Thema: 
Zum Treffen von Bundeskanzlerin Merkel mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai.

Bettina Nutz: Gestern empfing Bundeskanzlerin Merkel den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai. Ein umstrittener Mann an der Spitze eines terrorgebeutelten Landes, der immer weiter in die Isolation gerät. Wie sind die Ergebnisse der Begegnung zu bewerten? Muss Berlin mehr Druck auf Karsai ausüben? Was wird aus dem umstrittenen Ehebruch-Gesetz? Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen in Afghanistan: während sich über 50 Kandidaten beworben haben und die Wahl im August damit zu einer Farce in Sachen Demokratie zu werden droht, wie genau müsste der Westen die Wahlen und den Wahlkampf sicherer machen? Wie sollte Deutschland überhaupt perspektivisch mit Afghanistan umgehen?

Also, Deutschland wird sich weiter engagieren. Präsident Hamid Karsai ist über die Sicherheitslage in seinem Land sehr besorgt, die Kanzlerin auch.
Dr. Rolf Mützenich, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Abrüstung und Nahost, Guten Morgen!

Rolf Mützenich: Guten Morgen.

Nutz: Hamid Karsai ist der Gesprächspartner der Bundesregierung. Sind Sie zufrieden mit dem, was Karsai bisher in Afghanistan geleistet hat?

Mützenich: Nun, es ist mit Sicherheit eine Aufbauleistung geschehen. Auf der anderen Seite müssen wir lernen, dass Afghanistan kein zentral regierter Staat ist. Es ist historisch ganz anders gewachsen. Ich würde auch nicht sagen, dass es eine föderale Struktur hat, im Vergleich zu Deutschland, sondern es ist noch viel zerpflückter und unterschiedlicher in den Gewichtungen. Aber Karsai hat schon versucht, mit seiner Regierung eine Stabilisierung zu erreichen. Andererseits müssen wir versuchen, auch stärker in den Provinzen zu arbeiten.

Nutz: Muss man das deutsche Engagement in Afghanistan nicht vielleicht stärker an Forderungen binden, um dort mehr verändern zu können?

Mützenich: Das tun wir ja. Wir stellen ja Forderungen, was beispielsweise den Aufbau einer in dem Rahmen möglichen Zivilgesellschaft bedeutet. Wir wollen ja auch den Sicherheitsaufbau, der Polizeiaufbau ist eben angesprochen worden, Verwaltung, Richter, aber ich glaube, dass wir insbesondere darauf achten müssen, dass es einen gleichmäßigen Aufbau gibt. Wir müssen natürlich ganz konkret gegen die Korruption vorgehen, die offensichtlich bis in höchste Regierungsämter in Afghanistan reicht.

Nutz: Hamid Karsai wird ja manchmal spöttisch als der "Oberbürgermeister von Kabul" bezeichnet und weniger als der Präsident Afghanistans.

Mützenich: Es war ja in der Geschichte immer so, dass diejenigen, die angeblich die Macht in Kabul hatten, doch nicht über die Grenzen hinaus gekommen waren. Da unterscheidet er sich nicht sehr stark. Es waren immer Kompromisse. Wir sprechen heute von War Lords oder auch den Gouverneuren in den Provinzen. Da gib es schon eine klare Teilung der Machtkompetenzen. Auf der anderen Seite ist, nach meinem Dafürhalten, schon versucht worden, von Kabul aus auch die Entscheidungen zu treffen, die vielleicht in den Provinzen helfen, beim Straßenaufbau oder Sozialaufbau und vielen anderen Dinge. Aber es ist doch sehr ungleichgewichtig. Insbesondere die internationale Gemeinschaft hatte bisher kein gemeinsames Konzept.

Nutz: Wie glauben Sie könnte man dieses Ungleichgewicht, also, dass man wirklich mehr in die Provinzen guckt und dort dann auch etwas tut, wie könnte man das erreichen?

Mützenich: Insbesondere so, wie es auch Deutschland aber auch andere Länder übernommen haben. Wir sind ja auch erst vor wenigen Jahren aus Kabul in die Provinzen und die einzelnen Regionen hinausgegangen. Dass man mit dortigen Entscheidungsträgern versucht, gemeinsame Konzepte zu entwickeln, die sich auch auf die historischen Entwicklungen beziehen, ist, glaube ich, ganz wichtig, dass man sozusagen auch die Provinzen in den Fokus nimmt. Das heißt, auch Einbindung ? auch Einbindung von Gruppen, die bisher zu Gewalt gegriffen haben ? man muss zumindest den Dialog suchen. Das ist schwer, gerade in dieser Umgebung. Ich glaube, gerade die internationale Gemeinschaft innerhalb der NATO und den Vereinten Nationen versucht ja grade dieses Konzept etwas stärker aufzubauen.

Nutz: Aber dieses Konzept wird wahrscheinlich einhergehen, wir haben es in den vergangenen Wochen erlebt, mit zunehmender Konfrontation mit den Taliban. Erwarten Sie da härtere Auseinandersetzungen?

Mützenich: Das glaube ich schon, weil die Taliban sich nämlich nicht nur militärisch herausgefordert fühlen sondern insbesondere auch politisch. Wir sind mittlerweile in einem internationalen Umfeld mit der neuen Regierung in Washington, die ja auch einen regionalen Ansatz versucht und das ist natürlich schon eine Herausforderung. Ich finde, das ist genau der richtige Weg, der dort gegangen wird. Pakistan ist im Fokus. Auf der anderen Seite ist der Iran als Nachbar auf der einen Seite, aber auch als Leidtragender der Situation in Afghanistan. Wir brauchen Indien mit am Tisch, der Kashmir-Konflikt spielt da eine große Rolle und das ist ja auch genau das, was die internationale Gemeinschaft beantworten muss. Neben der regionalen Stabilisierung insbesondere in der Umgebung ein stabiles Umfeld zu schaffen, in dem Afghanistan, das ja über 35 Jahre lang Bürgerkrieg erlebt hat ? das muss man sich mal vorstellen ? überhaupt wieder ein Umfeld findet, auch zu einer Stabilisierung zu kommen.

Nutz: Im August werden in Afghanistan Präsidentschaftswahlen stattfinden. Ich glaube, über 50 Kandidaten stellen sich zur Wahl. Haben Sie die Erwartung oder die Hoffnung, dass sich nach diesen Wahlen dort etwas ändert, etwas verbessert?

Mützenich: Man muss immer Hoffnung haben. Man muss natürlich auch insbesondere seine Konzepte auf diese Ereignisse abstimmen. Wir werden sehen, wer sich durchsetzt, welche unterschiedlichen Kandidaten sich da möglicherweise auch gemeinsam stützen ? oder auch nicht stützen. Das kann ich nicht voraus sehen. Karsai ist mit Sicherheit einer der Favoriten in diesem Rennen. Auf der anderen Seite sind die Wahlen ja nicht das Ein und Alles und das darf ja auch kein Selbstzweck sein. Die Partizipation ist schon wichtig. Der Rechtsstaat, der Aufbau auch von Frauenrechten und viele andere Dinge, die auch in dem Beitrag eben angesprochen wurden, sind wichtig aber ich glaube, es geht insbesondere um eine Stabilisierung des internationalen Umfelds und da muss man hart arbeiten.

Nutz: Die Lage in Afghanistan und das Treffen gestern zwischen dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai in Berlin mit der Kanzlerin Angela Merkel. Dazu war das Dr. Rolf Mützenich, er ist Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Abrüstung und Nahost. Vielen Dank!