SPD-Iran-Experte Mützenich: Chatamis Rückzug könnte Chancen der Opposition verbessern

Interview mit Rudolf Geissler
Veröffentlicht: 
SWR 2 Tagesgespräch, 17.03.2009
Thema: 
Zu den im Juni bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Iran

Der Iran-Experte der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, hält den Kandidaturverzicht des Teheraner Reformpolitikers Chatami nicht für eine Nachteil der Opposition bei den Präsidentschaftswahlen im Juni. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Mützenich, möglicher Weise sei gerade der frühere Regierungschef Mussawi, dem Chatami jetzt den Vortritt lasse, der bessere Herausforderer von Amtsinhaber Ahmadinedschad. Denn die "Achillesferse" für den amtierenden Präsidenten sei die schlechte wirtschaftliche und soziale Situation im Lande. Mit Mussawi trete eine Kandidat an, der auch konservativere Kreise anspreche und deshalb vielleicht mehrheitsfähiger sei in seinem Bestreben, die innere Entwicklung des Iran zu verbessern. Der Westen sei allerdings gut beraten, "nicht in den Iran hinein zu signalisieren, wer uns am besten passt", warnte Mützenich. Nützlicher sei es, Nahoststaaten wie etwa Saudi-Arabien darin zu unterstützen, Teheran "an eine regionale Befriedung heran zu führen" und auf diesem Weg auch zu einer Lösung des Atomstreits zu kommen.

Rudolf Geissler: Der iranische Reformpolitiker Chatami, auf den der Westen große Hoffnungen gesetzt hat, will überraschender Weise nun doch nicht mehr Präsident seines Landes werden. Er verzichtet auf eine Kandidatur bei den bevorstehenden Wahlen im Juni. Ist damit klar in Ihren Augen, dass der Amtsinhaber Ahmadinedschad wieder das Rennen machen wird, oder sehen Sie das noch offen?

Rolf Mützenich: Nein, noch nicht unbedingt. Ahmadinedschad hat ja auch offiziell noch gar nicht erklärt, dass er wieder kandidieren möchte. Die Möglichkeit ist bis Anfang Mai gegeben. Ich rechne mit Ahmadinedschad und dies wird natürlich noch mal ein interessantes Rennen werden.

Geissler: In den Medien wird seit gestern Abend schon gerätselt, ob Chatami jetzt wirklich strategisch taktisch gehandelt hat, sich also zurück zieht um die Stimmen der Opposition nicht zu zersplittern oder aber ob er buchstäblich aus Angst gehandelt hat, weil er sich körperlich bedroht sieht durch die Anhänger der Konservativen. Was denken Sie, ist das Motiv?

Mützenich: Ich glaube, es ist beides. Chatami ist natürlich insbesondere eine Projektionsfläche für die konservativen und radikalen Elemente im Iran. Dies hat er in den letzten Tagen immer wieder leider erleben müssen. Auf der anderen Seite ist es natürlich ein Trauma für die Reformer, dass sie sich haben immer bei Wahlen spalten lassen. Und ich glaube, dass Chatami durchaus in der Lage ist zu sagen, wir sollten uns besser auf einen Kandidaten insgesamt einigen und auch das hat wahrscheinlich seine Gründe im Rückzug jetzt.

Geissler: Ist denn die Linie von Mussawi, also dem Kandidaten, der dann wohl in der Opposition die meisten Chancen hat, ist die denn identisch mit der von Chatami?

Mützenich: Nun, das glaube ich eher nicht. Mussawi kommt doch aus einem stärkeren, konservativen Establishment. Auf der anderen Seite ist er ein Kritiker Ahamdinedschads und ich glaube, die Wahlen werden hauptsächlich darum gewonnen, wie die innere Entwicklung des Irans, insbesondere die wirtschaftliche und soziale Situation in der nächsten Zukunft gestaltet werden kann. Also wer gibt sozusagen die meiste Hoffnung ab, dass sich hier etwas zum positiven für die Menschen ändert. Das ist auch die Achillesferse für Ahmadinedschad und möglicherweise ist Mussawi oder sogar vielleicht noch ein anderer Kandidat besser in der Lage, Ahmadinedschad an dieser Front herauszufordern.

Geissler: Ist das wirklich so, denn: Dass der Westen auf gemäßigte Politiker setzt, weil sie möglicherweise auch nachgiebiger sind im Atomstreit, das ist verständlich. Andererseits, wenn es stimmt, dass Präsident Ahmadinedschad, wenn er denn auch kandidiert wieder, die Rückendeckung der Militärs und der geistlichen Führer hat, ist er da nicht eigentlich der berechenbarere Verhandlungspartner, weil er den Draht zur ganzen Machtelite hat?

Mützenich: Nein, das glaube ich nicht. Man muss natürlich auch immer wieder sehen: Ahmadinedschad ist ein Teil dieses Systems, was sehr kompliziert ist. Auch die Ämter, auch insbesondere das Amt des Präsidenten ist nicht unbedingt das einflussreichste Amt. Es gibt ganz verschiedene Institutionen und Ahmadinedschad hat durchaus auch Kritiker innerhalb des religiösen Establishments, das muss man einfach sehen. Es gibt dort auch eine Diskussion um seine Führung in der Außenpolitik. Ich glaube, der Westen ist gut beraten, nicht in den Iran hinein zu signalisieren, wer uns am besten passt, sondern wir sollten einfach dieser doch eingeschränkten Partizipiationsmöglichkeit es überlassen, wie die Menschen dort wählen. Das ist keine Demokratie, mit Sicherheit nicht, aber die Wahlen werden spannend werden.

Geissler: Rechnen Sie damit, unter dass denn der Iran unter einer möglichen zweiten Amtszeit Ahmadinedschads mit den USA ernsthaft verhandeln wird über den Atomstreit, oder wird er auf Zeit spielen?

Mützenich: Er wird natürlich auf Zeit spielen, so wie wir das in der letzten Zeit auch gesehen haben. Der Iran ist nun näher an bestimmten Möglichkeiten, die Atomenergie, auch zu militärischen Zwecken zu missbrauchen. Auf der anderen Seite müssen wir sehen: der religiöse Führer hat zum Schluss das entscheidende Wort, und es kommt natürlich auf beide Seiten an, es kommt nicht immer nur auf eine Seite an. Und wir werden sehen, ob sozusagen möglicherweise die Afghanistankonferenz, zu der die amerikanische Außenministerin Clinton Iran einladen möchte, ein Türöffner ist, um den Iran an eine regionale Befriedung heranzuführen und vielleicht kann man an dieser Stelle auch andere Themen dann in Zukunft behandeln.

Geissler: Zum Atomstreit haben Sie mal gesagt, Washington müsse dem Iran klar machen, was der Preis ist, wenn er nicht auf neue Angebote eingeht. Welchen Preis meinen Sie?

Mützenich: Es geht natürlich insbesondere darum, dass der Sicherheitsrat, das höchste Gremium der internationalen Gemeinschaft, den Iran aufgefordert hat, die Urananreicherung zu suspendieren, sozusagen als Vertrauensbeweis für ernsthafte Verhandlungen. Das ist schon wichtig. Und ich glaube, wir sollten auch überlegen, dem Iran deutlich zu machen, dass er weiter in eine Isolation sich hineinbegibt. Und wir sehen ja zur Zeit in der Region eine sehr interessante Konstellation, dass insbesondere Saudi Arabien versucht, die arabischen Staaten zu einigen. Nicht nur im Hinblick auf den israelisch-palästinensischen Konflikt, sondern insbesondere gegenüber dem Iran. Und der Iran kommt natürlich in eine Situation, wo er zum Schluss wieder relativ alleine in der Region steht. Und das müssen natürlich auch iranische Politiker kalkulieren. Und ich finde, wir wären gut beraten, uns sehr stark auch mit den regionalen Akteuren dort abzusprechen, wie es weiter geht im Atomkonflikt.

Geissler: Das heißt, letztlich würde dann die Frage von Sanktionen nicht unbedingt von Russen oder Chinesen abhängen, die im Sicherheitsrat da bisher ja eher geblockt haben?

Mützenich: Nein, natürlich nicht. Wir müssen ja insbesondere sehen: Die Sanktionen werden auch umgangen, insbesondere im Persischen Golf durch bestimmte Staaten und wenn die natürlich an dieser Schraube mitdrehen, ist das durchaus auch eine Schwierigkeit für den Iran.