"Das erschüttert die Glaubwürdigkeit des Präsidenten"
Der fehlgeschlagene Anschlag auf Afghanistans Präsident Karsai zeigt nach Ansicht des SPD-Politikers Rolf Mützenich, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, dass die Polizei im Lande noch nicht ausreichend aufgebaut werden konnte. Christoph Heinzle von der ARD betonte, auch Deutschland müsse sich an die eigenen Nase fassen: Eine Diskussion über die richtige Strategie habe erst viel zu spät eingesetzt.
Elke Durak: Afghanistans Präsident Karsai hat den gestrigen Anschlag während der Militärparade persönlich überlebt. Ob das politisch aber auf Dauer so bleibt, ist vielleicht nach diesem Wochenende fraglicher denn je. An diesem Wochenende hatte die afghanische Führung eine Parade angesetzt. Es gab Schüsse und Angriffe. Die paradierenden Soldaten rannten auseinander.
Ich will darüber sprechen mit unserem Kollegen Christoph Heinzle von der ARD und auch mit Rolf Mützenich. Er gehört der SPD und dem Bundestag an, ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. - Herr Heinzle, zunächst einmal zur Situation in Afghanistan und Kabul selbst. Ein kurzer Rückblick noch mal für diejenigen, die das gestern nicht so genau mitbekommen haben. Was ist geschehen?
Christoph Heinzle: Es war die große Parade, die größte, die das Land zu bieten hat - einmal im Jahr aus Anlass der Feier des Sieges der afghanischen Mudschahedin über die Sowjetarmee und die letzte kommunistische Regierung. Alles war aufgeboten, um den neuen Staat, die neue Polizei, die neue Armee vor allem zu präsentieren. Dort wurde Feuer eröffnet auf die Ehrentribüne, auf der sich neben Hamid Karsai auch das diplomatische Korps versammelt hatte, viele Militärführer, auch der Kommandeur der ISAF beispielsweise, Abgeordnete. Das Feuer kam - das weiß man inzwischen - aus einem dreistöckigen Haus am Rande des Paradeplatzes, etwa 300 Meter von der Ehrentribüne entfernt, wurde aus Gewehren eröffnet auf die Ehrentribüne. Es gab aber wohl auch Granatenbeschuss. Getötet wurde von den ganz hochrangigen Gästen niemand, aber immerhin ein Abgeordneter, ein Schiiten-Führer, und auch ein Junge, der wohl im Kreuzfeuer des Schusswechsels, der sich dann entwickelte, getötet wurde. Es starben wohl auch drei der sechs Angreifer. Die Taliban haben sich zu dem Angriff bekannt und dieses Bekenntnis hält man in Kabul zumindest für glaubwürdig.
Durak: Das sind sozusagen die Ermittlungsergebnisse bis zu dieser Stunde. Wie ist das ganze von den Medien, von der Öffentlichkeit aufgenommen worden? Welche Reaktionen hat es gegeben?
Heinzle: Man war natürlich erschüttert und entsetzt, dass ausgerechnet eine solche Veranstaltung, die ja über Wochen und Monate vorbereitet wird, wo der ganze Teil dieser Stadt - der Paradeplatz liegt am Rande der Altstadt Kabuls - abgesperrt wird und auch die Zufahrtsstraßen blockiert werden, um den Ehrengästen den Zugang zu ermöglichen, wo also alles aufgeboten ist, was man in Kabul an Sicherheit aufbieten kann, zum Ziel wird, erfolgreich zum Ziel wird, auch wenn der Präsident selbst unverletzt entkam und andere hochrangige Funktionsträger ebenso. Dass man aber so nah heran kam, das gibt vielen zu denken und gibt Anlass zu Kritik an den Sicherheitsbehörden und es gibt Anlass zu Spekulationen. Da es heute zur konkreten Untersuchung, zu weiteren Hintergründen keine Auskunft gibt von den afghanischen Behörden - auch Hamid Karsai selbst schweigt -, gibt es Spekulationen: War es doch eine andere Terrorgruppe? Hatten die möglicherweise Insider bei den Sicherheitsbehörden, in Polizei oder Armee? Offenbar trugen sie Uniformen der Sicherheitsbehörden. Also viel Spekulation aus Ermangelung weiter Fakten und klarer Untersuchungsergebnisse.
Durak: Also möglicherweise interne Machtkämpfe?
Heinzle: Das ist zumindest nicht ausgeschlossen. Der Wohnungsbauminister Afghanistans, der mit auf dieser Tribüne saß, mutmaßte heute, sagte aber dazu, das sei eher so sein Gefühl als ein Beleg, dass auch durchaus einer der Gäste auf der Ehrentribüne (aus dem Kabinett zum Beispiel) dahinter stecken könnte, denn warum sonst hätte man denn dieses Zentrum der Ehrentribüne mit diesen Schüssen verfehlt, mutmaßte er. Wie gesagt viel Spekulation dabei, aber das zeigt auch, dass dort vielen Gruppen und Leuten offenbar viel zugetraut wird.
Durak: Ich will auch Rolf Mützenich mit ins Spiel bringen. Herr Heinzle, Sie bleiben ja auch bei uns hier in dem Gespräch. Rolf Mützenich, SPD, Mitglied des Bundestages, auch des Auswärtigen Ausschusses, Kenner der Szene Naher und Mittlerer Osten. Herr Mützenich, dieser Anschlag: selbst wenn er nicht von den Taliban käme, ist er mehr als nur eine militärische Niederlage? Die behaupte ich jetzt einfach mal, denn was anderes ist es, wenn der Präsident auf der Tribüne sitzt, beschossen wird und seine paradierenden Soldaten rennen wie die Hasen auseinander.
Rolf Mützenich: Das ist ein schwerwiegender Angriff gewesen. Das hat Herr Heinzle ja auch sehr anschaulich geschildert. Und ich denke wir brauchen auch die nächsten Tage und vielleicht noch das eine oder andere an neuen Informationen. Zu hören, dass die militärische Lage nie sicher gewesen ist, das ist klar. In Kabul hatte man an der einen oder anderen Stelle etwas anderes unterstellt, aber selbst da hat es immer wieder Anschläge gegeben. Aber der Punkt ist natürlich schon: Dies ist etwas, was sowohl für die internationale Truppe, aber auch für den Polizeiaufbau schon wichtig ist, dass es offensichtlich nicht gelingt, zum jetzigen Zeitpunkt eine solche Parade mit solch hochrangigen Gästen umfassend zu schützen.
Durak: Herr Heinzle, wenn ein Mann, ein afghanischer Mann, der Präsident ist, derartig desavouiert wird - ich spreche noch mal die davonlaufenden Soldaten an -, spielt das irgendeine Rolle für seine politische Stellung?
Heinzle: Ja, natürlich! Diese Stellung wird weiter geschwächt und sie ist ja schon geschwächt, denn die Sicherheitslage hat sich nicht erst mit dem Angriff gestern verschlechtert, sondern über die letzten zwei, drei Jahre und das wird durchaus neben den internationalen Kräften gerade dem Präsidenten vorgeworfen und vorgehalten. Dazu noch ein schleppender Wiederaufbau, vor allem in den wiederum sicherheitsmäßig instabilen Teilen des Landes. Das wird Hamid Karsai angekreidet. Er ist sicherlich nicht mehr so populär, wie er das vor vier, fünf, sechs Jahren gewesen ist, wo er noch als Fackelträger des neuen Afghanistans gefeiert wurde und auch seine Erfolge auf internationalem Parkett sehr wohl wahrgenommen wurden. Also das erschüttert schon die Glaubwürdigkeit dieses Präsidenten.
Persönlich erschüttert war er. Das sah man gestern Abend bei seiner kurzen Fernsehansprache. Allerdings weiß er auch seit Beginn, seit er ins Amt kam, dass diese Art Lebensrisiko zu diesem Job dazugehört. Trotzdem will er wohl weiter machen und im nächsten Jahr wieder zur Wahl antreten. Da hat er es sicherlich schwerer, als er es in der Vergangenheit hatte.
Durak: Herr Mützenich, hat der Westen irgendeine Alternative, als Karsai bis zum bitteren oder positiven Ende zu unterstützen?
Mützenich: Ich glaube man kann das nicht nur auf die Person beziehen, sondern unser Punkt - und ich glaube da haben wir in den letzten Monaten schon den Versuch unternommen, auch mit allen Staaten, die daran beteiligt sind, einschließlich der Vereinten Nationen, uns eine Strategie vorzunehmen, die natürlich ein militärisches Standbein hat - ist der, dass wir auf der anderen Seite insbesondere politische Initiativen brauchen. Ich glaube es war gut, dass man auf dem NATO-Gipfel in Bukarest darüber gesprochen hat. Ich glaube es ist richtig, dass zum Beispiel von Seiten der neuen pakistanischen Regierung jetzt Anstrengungen unternommen werden im Hinblick auf Verabredungen, mit lokalen Kräften an der Grenze zu Afghanistan zu sprechen.
Was wir insbesondere brauchen - und das erwarte ich auch von einer neuen US-Regierung: wir brauchen ein politisches Konzept, was die regionalen Akteure zu Afghanistan einbindet. Wir brauchen insbesondere den Iran, der eine fast glaube ich 1000 Kilometer lange Grenze mit Afghanistan hat, der vom Drogenschmuggel sehr stark belastet ist. Ich glaube wir haben dort gemeinsame Interessen, die wir brauchen und die wir auch gemeinsam von Europa und den USA entwickeln müssen.
Durak: Haben Sie eine ähnliche Meinung?
Heinzle: Da würde ich gerne noch einen ganz kleinen anderen Akzent setzen. Ich denke diese Strategieüberlegung ist wichtig und richtig. Sie kommt allerdings sehr, sehr spät, muss man sagen.
Mützenich: Stimmt!
Heinzle: Dass in Afghanistan die Dinge nicht so laufen, wie man das erhofft und erwartet hat, das wissen wir jetzt seit mindestens drei Jahren. Die Strategiediskussion hat so richtig eigentlich erst in den vergangenen Monaten angefangen, ohne wirklich schon Ergebnisse zu haben. Es ist eher fünf vor zwölf als früher. Man hätte viel stärker versuchen müssen, diese wie man jetzt sieht nicht allzu fähige afghanische Regierung und ihre Verwaltung in Stand zu setzen, die Armee und die Polizei stärker aufzubauen. Da muss sich auch Deutschland gerade bei der Polizei an die eigene Nase fassen.
Noch einmal zur Person Karsai. Der hat viele Leute mit reingeholt bis in die Regierung - und das ist heute noch so -, wo man wirklich die Stirn in Falten legen muss und sagen muss, diese Menschen haben nicht nur Blut an den Händen, sondern ihre Finger auch in Geschäften, die man eigentlich in Afghanistan nicht sehen möchte. Da haben doch viele internationale Akteure lange die Augen zugemacht und eher Karsai unterstützt, als da wirklich auf Veränderung zu drängen und dies dann auch mit Maßnahmen - mit Geld, mit Projekten - zu unterstützen.
Durak: Deshalb ja auch die Frage: gibt es eine Alternative, Herr Mützenich?
Mützenich: Nein. Ich gebe Herrn Heinzle ja Recht und das ist genau der Punkt, wo wir auch in den vergangenen Jahren vielleicht zu wenig, nicht nachlässig, glaube ich, aber zu wenig insbesondere auf die Bündnispartner eingewirkt haben. Aber was machen sie mit einem Bündnispartner in Washington, der sich dort nicht bewegt, der möglicherweise auch einen anderen Fokus auf die Region hat, andere Interessen dort mitbewegt. Deswegen habe ich ja eben angesprochen: Ich glaube es ist eine große Aufgabe, mit der neuen US-Administration im Januar nächsten Jahres endgültig über eine neue Strategie auch mit den regionalen Akteuren nachzudenken, auch gegenüber Karsai ein anderes Bild zu zeichnen - insbesondere von diesem Kabinett und von den einzelnen Akteuren. Dies ist aber keine Schwarz-Weiß-Malerei, sondern ich glaube auch, dass die Erwartungshaltung, die wir gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern erweckt haben, rechtzeitig und schnell Erfolge für Afghanistan zu bekommen, mit Sicherheit falsch ist.
Durak: Herr Mützenich, eines was Herr Heinzle eben sagte, führt uns aber zurück auch ins deutsche Parlament, in die Beschlüsse und vor allem deren Umsetzung. Weshalb klappt es nicht oder hat es nicht geklappt mit der Polizeiausbildung? Weshalb sind so wenige dort? Weshalb wird zu wenig getan?
Mützenich: Ich glaube das war ein großes Manko, sowohl dass die Bundesregierung sich an dieser Stelle nicht genug bewegt hat, und dann war die Überlagerung auf die europäische Ebene mit Sicherheit nicht hilfreich gewesen. Wir hatten in der vergangenen Woche im Auswärtigen Ausschuss eine lange Diskussion darüber, auch über die Angebote, über die Anforderungen von Seiten der Union, über die Ränkespiele einzelner unterschiedlicher nationaler Interessen und dann auch Wirkungen. Ich hoffe, dass das erkannt worden ist und dass insbesondere die Bundesregierung an dieser Stelle mehr tut. Das ist insbesondere erforderlich, weil wir werden das nicht mit Soldaten schaffen, sondern eigentlich können das nur die Afghanen vor Ort mit Sicherheitskräften, die denn auch in der Lage sind, sowohl zu arbeiten, aber auch unabhängig sind. Das ist schwer und ich glaube das werden sie nicht in den nächsten Wochen bewerkstelligen können. Das hat ja auch dieser Angriff unter anderem wohl auch gezeigt.
Durak: Herr Heinzle, ein letztes Wort von Ihnen in dieser kleinen Runde. Herr Mützenich hat gesagt, mehr politische Zusammenarbeit mit Regionalfürsten. Könnten die Karsai, die Zentralregierung jetzt so geschwächt sehen, dass sie mehr an die Macht streben?
Heinzle: Das glaube ich nicht, dass die Gefahr unmittelbar droht. Aber insgesamt ist die Regierungsautorität eben nicht im ganzen Land vertreten. Das gilt für die sicherheitsinstabilen Gegenden im Osten und im Süden. Das gilt insbesondere für das Grenzgebiet hin zu Pakistan. Dieses Vakuum lässt sich nicht auflösen, trotz unbestrittener militärischer Erfolge von ISAF und US-geführter Anti-Terror-Koalition. Es kommt einfach zu wenig nach. Man schafft es nicht, afghanische Regierungsstrukturen, Sicherheitsstrukturen, Polizei, Gouverneure so aufzubauen, dass die Bevölkerung dort Vertrauen fasst. Das ist der Schlüssel für die künftige Entwicklung - nicht nur das und vielleicht weniger das, was in Kabul selbst passiert, sondern das, was in den Provinzen passiert. Dort und vor allem im Süden wird sich die Zukunft Afghanistans entscheiden und dort muss auch die internationale Gemeinschaft militärisch ebenso wie was den Wiederaufbau angeht erheblich mehr tun als bisher und dann auch erheblich offener den eigenen Bevölkerungen gegenüber sein, ihnen zu erklären, was dort nötig ist und warum.
Durak: Danke schön Christoph Heinzle, ARD-Korrespondent auch für Afghanistan, und Rolf Mützenich, SPD, Mitglied des Bundestages und des Auswärtigen Ausschusses. Danke meine Herren für das kleine Dreiergespräch.
Mützenich: Danke für die Einladung.