"Abrüstung bestes Mittel zur Kriegsverhütung"
Knut Pries: Abrüstungspolitiker vertreten ein Anliegen, das populär ist, aber zunehmend ins Hintertreffen gerät. Ist die Ausweitung des Atomwaffenbesitzes auf ein Dutzend Staaten und mehr noch zu verhindern?
Rolf Mützenich: Davon bin ich überzeugt. Die meisten Staaten sind nach wie vor bereit, vertraglich auf Kernwaffen zu verzichten. Sie verlangen aber zu Recht von den Kernwaffenmächten verbindliche Abrüstungsverpflichtungen. Wenn beides funktioniert, hat die Abrüstung eine Zukunft.
Pries: Ein großes Wenn. Eine wachsende Minderheit der Staaten kommt doch bei der Kosten-Nutzenanalyse zum Schluss: Die Bombe lohnt sich.
Mützenich: Die Tendenz verstärkt sich, sicherheitspolitisch auf den Besitz von Atomwaffen zu setzen. Es ist ein großes Problem, dass die Rüstungskontrolle in vielen Weltregionen kaum mehr eine Rolle spielt.
Pries: Was also sagen Sie dem nuklear gestimmten Iraner?
Mützenich: Ich würde ihm sagen, dass Abrüstung per Vertrag noch immer das beste Mittel zur Kriegsverhütung, Schadensbegrenzung und Kostenminimierung ist und dass letztlich nur gemeinsame Sicherheit auch nationale Sicherheit gewährleistet. Abrüstung lohnt sich, und ich bin zuversichtlich, dass jenseits von Herrn Ahmadinedschad auch viele Menschen und Gruppen im Iran das so sehen. Ich kann dazu auch keine Alternative erkennen. Nur: Wir müssen nicht nur den Iran überzeugen, sondern auch andere Länder in der Region - einschließlich Israel.
Pries: Ein Gleichgewicht des Schreckens hat den Atomkrieg verhindert. Wäre das Tabu mit mehr Besitzern aufrechtzuerhalten?
Mützenich: Das war nicht nur eine Sache des Gleichgewichts. Nach der Kubakrise, als sie in den atomaren Abgrund geschaut hatten, waren die Großmächte bereit, Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge zu schließen. Was die wechselseitige Abschreckung anlangt: Sie wird mit einer noch größeren Zahl von Staaten nicht funktionieren.
Pries: Ist die Erwartung, die Nuklearstaaten könnten das Machtinstrument Kernwaffen noch aus der Hand geben, nicht Illusion?
Mützenich: Nein. Die Kernwaffenmächte haben sich 1995 in den "13 Punkten" zur Abrüstung verpflichtet. Nur deswegen haben die anderen der Entfristung des Atomwaffensperrvertrags zugestimmt. Die Atommächte kommen ihrer Verpflichtung derzeit jedoch nicht nach.
Pries: Die USA haben von den 13 Punkten ausdrücklich Abstand genommen..
Mützenich: Das stimmt. Es geht aber nicht nur um die USA. Auch Russland, Großbritannien und Frankreich modernisieren ihre Arsenale. Und China wird in 20 Jahren eine Atommacht anderen Kalibers sein als heute.
Pries: Die Blix-Kommission kritisiert die Unbeweglichkeit der Atommächte. Was gibt es dagegen für Hebel?
Mützenich: Hans Blix hat die Unterstützung des UN-Generalsekretärs und einer breiten Fachöffentlichkeit. Vor allem muss das Thema wieder auf die internationale Tagesordnung gesetzt werden. Die Bundesregierung hat angekündigt, sie werde das betreiben: in der G-8, in der Gruppe der "nuklearen Lieferländer" und bei den Vorbereitungen für die nächste Überprüfungskonferenz zum Atomwaffen-Sperrvertrag. Das kann man nur begrüßen.
Pries:Anders als den US-Deal mit Indien, das sich dem Kontroll-Regime verweigert?
Mützenich: Ich bin mal gespannt, ob diese Vereinbarung, die George Bush so großspurig angekündigt hat, überhaupt Realität wird. Im Kongress besteht jedenfalls großes Interesse, Indien an den Atomwaffen-Sperrvertrag heranzuführen.
Pries: In Japan wird der Verzicht auf Atomrüstung in Frage gestellt. Muss man Sorge haben, dass sich auch in Deutschland eines Tage der Ruf nach der Bombe erhebt?
Mützenich: Glaube ich nicht. Die Rahmenbedingungen sind andere. In Japan gibt es einen stärker werdenden Nationalismus, das Land scheut konsequente Vergangenheitsbewältigung und ist nicht bereit, seine Sicherheit auf regionale Zusammenarbeit zu stützen.