"Zum Schluss werden wir entscheiden"

Interview mit Silvia Engels
Veröffentlicht: 
Deutschlandfunk, 17.08.2006
Thema: 
SPD-Politiker Mützenich mahnt Bundesregierung in Libanon-Debatte zur Achtung des Parlaments

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich hat die Bundesregierung in der Debatte um eine deutsche Beteiligung an der UNO-Mission im Nahen Osten vor voreiligen Festlegungen gewarnt. Zum Schluss werde das Parlament entscheiden. "Ich hoffe, das weiß die Bundesregierung auch", betonte er.

Silvia Engels: Im Studio ist nun Rolf Mützenich. Er ist für die SPD im Auswärtigen Ausschuss, und er leitet den Gesprächskreis Naher und Mittlerer Osten. Er kennt sich in der Region folglich sehr gut aus und vor allem war er gerade dort, wo Außenminister Steinmeier nicht hingefahren ist, nämlich in Syrien. Guten Morgen, Herr Mützenich!

Rolf Mützenich: Guten Morgen Frau Engels!

Engels: Sie sind gerade erst zurückgekehrt von Ihrer Reise. Machen Sie nun eine eigene Außenpolitik in Syrien auf?

Mützenich: Nein. Wir machen weder eine eigene, noch machen wir eine Nebenaußenpolitik auf, sondern wir sind in enger Abstimmung auch mit dem Auswärtigen Amt dort in die Region gereist. Und ich glaube es ist gut, dass die unterschiedlichen Ebenen versuchen, das zu tun, was sie machen können. Wir als Parlamentarier haben die Freiräume, auch mit denen zu sprechen, mit denen man nicht unbedingt direkt von Seiten der Regierung sprechen kann.

Engels: Mit wem haben Sie denn in Syrien sprechen können, und welche Signale haben Sie erhalten bezogen auf diesen Nahost-Konflikt?

Mützenich: Die Programmpunkte waren hauptsächlich mit Mitgliedern des dortigen Parlaments, aber auch mit der Regierung und es ging natürlich hauptsächlich um die Frage der Einschätzung, was ist im Libanon passiert, was wird im Libanon passieren und wie kann die deutsche Haltung an dieser Stelle mit dazu beitragen, einen Friedensprozess wieder in Gang zu bringen, der ja eben seit den letzten Jahren auf Eis gelegen hat?

Engels: Haben Sie denn in irgendeiner Form Signale von Ihren Gesprächspartnern bekommen, dass Syrien helfen will, die Umsetzung der UN-Resolution 1701 möglich zu machen? Da würde es ja vor allen Dingen darum gehen, Druck auf die Hisbollah-Milizen auszuüben. Da ist ja der Kontakt zwischen Damaskus und der Hisbollah nach wie vor sehr eng.

Mützenich: Der ist sehr eng. Man muss natürlich Iran auch letztlich mit bedenken. Aber auf der anderen Seite glaubt man in Syrien zurzeit, in einer relativ starken Position zu sein, weil man Hisbollah unterstützt hat, weil man glaubt, auf Hisbollah Einfluss nehmen zu können. Andererseits, glaube ich, sollte man auch keiner Fehlkalkulation unterliegen. Hisbollah ist durchaus erst einmal auch eine libanesische, aus ihrer Sicht Widerstandsbewegung, und der Kern, den natürlich Syrien betrachtet, sind die Golanhöhen. Solange dieses Problem mit Israel nicht gelöst ist, wird man durchaus auch ein Interesse daran haben, an der Grenze zu Israel eine weitere Unruhe zu haben.

Engels: Sind das die Hintergründe, wie sich auch diese Rede von Präsident Assad erklären lässt, die ja mit zur Absage von der Visite Außenminister Steinmeiers geführt hatte. Dort hatte er noch einmal heftig Israel und die USA angegriffen, und daraufhin hatte eben Steinmeier seinen Besuch abgesagt. Wie interpretieren Sie diese Rede?

Mützenich: Ich glaube schon. Natürlich muss Assad Stärke an dieser Stelle beweisen. Er hat mit Sicherheit auch aus unserer Sicht zu Recht eine falsche Wortwahl gewählt. Auf der anderen Seite, er steht auch mit dem Rücken an der Wand, weil: Zurzeit ist Nasrallah der Held der arabischen Welt, und jeder arabische Führer tut gut daran, sich mit Nasrallah, und wenn es nur auf Fotos ist, letztlich zeigen zu lassen.

Engels: Dem Hisbollah-Führer.

Mützenich: Mit dem Hisbollah-Führer. Ich glaube, dass an dieser Stelle Assad durchaus auch weiß, welchen Spielraum er letztlich hat, aber wie gesagt: Die Golanhöhen sind für ihn letztlich das Faustpfand, aber unter Umständen auch eine Sicherung seines Regimes.

Engels: Welche Möglichkeiten, welcher Spielraum bleibt denn nun der deutschen Außenpolitik. Da war ja der Wille von Außenminister Steinmeier, in irgendeiner Form Assad tatsächlich eine Möglichkeit zu geben, sich vielleicht etwas zu bewegen, aber das wurde ja nun deutlich abgelehnt. Wie kann überhaupt Einfluss genommen werden auf Damaskus?

Mützenich: Ich glaube, die Einschätzung von Außenminister Steinmeier im Hinblick auf Syrien ist vollkommen richtig. Man sollte dieses Land fordern, weil es auf der anderen Seite auch Teil des Problems ist. Es besteht auch Gesprächsbereitschaft in Syrien. Es gab auch einmal Verhandlungen zwischen Syrien und Israel über die Golanhöhen, und man war kurz vor einem Ergebnis gewesen. Daran gilt es anzuknüpfen, und die deutsche Außenpolitik kann letztlich eigentlich nur in dieser Region zuhören, versuchen Botschaften zu transportieren und an der einen oder anderen Stelle Vorschläge zu machen. Wir müssen unser Sonderverhältnis zu Israel beachten, aber bei meinen Gesprächen hatte ich oft den Eindruck, dass dies eher noch zu unserer zusätzlichen Glaubwürdigkeit dazu gehört und das auch von den arabischen Gesprächspartnern durchaus positiv bewertet wird.

Engels: Herr Mützenich, dann blicken wir nach Deutschland. Die Koalitionsrunde hat gestern Eckdaten einer möglichen deutschen Beteiligung an einer UN-Truppe bekannt gegeben. Danach ist neben humanitärer Hilfe und Wiederaufbau vor allem die Grenzsicherung durch die Marine vorgesehen. Findet das Ihre Zustimmung, und ist das überhaupt realitätsnah? Nützt das etwas?

Mützenich: Ich kenne ja noch nicht die konkreten Vorstellungen der Bundesregierung. Es gibt keinen Kabinettsbeschluss. Es gibt keinen Antrag an das Parlament. Ich muss mich auch letztlich nur auf die Verlautbarungen verlassen. Wir werden sehen, was die einzelnen Bestandteile ausmacht. Heute wird ja auch noch bei den Vereinten Nationen überhaupt ganz konkret über den Auftrag noch mal gesprochen werden und über die Möglichkeiten, die die Bundesregierung und damit auch die Bundeswehr bringt. Ich glaube, wir tun gut daran, in einer Umgebung dieses Konflikts dann tätig zu werden. Wenn es sich auf Marine beschränkt, kann es letztlich auch nur ein beschränkter Beitrag sein. Wir müssen natürlich davon ausgehen, dass jede Konfrontation, sei es an der syrisch-libanesischen Grenze, die ja durchaus unübersichtlich ist, und an anderer Stelle zwischen Israel und dem Libanon, für die Bundeswehr und damit auch für Deutschland eine schwierige Entscheidung ist.

Engels: Fühlen Sie sich als Parlamentarier übergangen, wenn im Hintergrund schon solche konkreten Planungen laufen, wie die Bundesregierung sie offenbar vorantreibt?

Mützenich: Nein. Wir kennen das ja als Parlamentarier, und da gewöhnt man sich an diesen Prozess. Aber zum Schluss werden wir entscheiden, und das ist das Parlament. Ich hoffe, das weiß die Bundesregierung auch.

Engels: Dann blicken wir noch kurz zum Schluss auf die Region selbst. Sie haben es angesprochen. Dort eine Grenzsicherung in irgendeiner Form zu versuchen, wird schwierig werden. Nun berichtet die "Washington Post", gerade die Hisbollah verlange von der libanesischen Armee, nicht zu aufmerksam nach versteckten Waffenlagern zu suchen, wenn sie in den Südlibanon einrückt. Kann überhaupt irgendjemand diese Hisbollah entwaffnen?

Mützenich: Man muss immer vorsichtig sein vor irgendwelchen Behauptungen an dieser Stelle. Nein, ich glaube auch, dass die Hisbollah nicht mit Gewalt - und das wäre ja Gewalt - entwaffnet werden kann. Das kann nur ein innerlibanesischer Prozess, ein politischer Prozess letztlich bedeuten. Da geht es viel um ethnische Repräsentanz, um religiöse Repräsentanz innerhalb des Kabinetts, innerhalb des Parlaments und der Verfassungsorgane, und ich hoffe, dass wir das mit befördern können, dass Libanon auf dem Weg der Demokratie und der Verständigung bleibt.

Engels: Rolf Mützenich. Er sitzt für die SPD im Auswärtigen Ausschuss und leitet den Gesprächskreis Naher und Mittlerer Osten. Ich bedanke mich für den Besuch im Studio.

Mützenich: Vielen Dank, schönen Tag.