Ursachen der Flucht bekämpfen
Die Bekämpfung der Fluchtursachen ist nach Meinung von Experten die derzeit wichtigste Aufgabe. Bei einem Forum der SPD zur Flüchtlingsfrage ließ Landrat Wolfgang Schuster durchblicken, dass er durch den neuerlichen Zuzug auch Chancen für die Region sehe.
"Wenn Politik einfach wäre, säßen wir heute Abend nicht zusammen, um über Fluchtursachen und deren Beseitigung zu debattieren", rief Landrat Wolfgang Schuster in seiner Eigenschaft als SPD-Unterbezirksvorsitzender den rund 50 Gästen des Themenabends "Die Welt in Bewegung" in der Wetzlarer Kulturstation zu.
Mehr Kopfzerbrechen über den demografischen Wandel als über Flüchtlinge
Er habe sich die angespannte Situation bei der Unterbringung von Flüchtlingen nicht ausgesucht, aber es entspreche seinem Amtsverständnis, dass die damit verbundenen Herausforderungen im Rahmen der geltenden Gesetze angenommen und gelöst werden. Im Lahn-Dillkreis mit seinen rund 240 000 Einwohnern seien gegenwärtig 2300 Menschen (darunter 500 unbegleitete Personen) untergebracht, jede Woche kommen rund 100 neue hinzu, "am letzten Montag waren es 130", sagte er.
Neben den Integrationsproblemen sieht Schuster mittelfristig auch Chancen für die Region: "Der demografische Wandel macht mir mehr Kopfzerbrechen als die Flüchtlinge. Jeder vierte Arbeitsplatz bei uns wird wegen der Überalterung nicht neu besetzt werden können." Als Vertreter der "großen Politik" begrüßte der Kreis-Chef den aus Köln stammenden SPD-Bundestagsabgeordneten Rolf Mützenich, der auch stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion und Sprecher für Außenpolitik und Menschenrechtsfragen seiner Partei ist.
Dafür, warum gerade jetzt so viele Menschen in Europa das rettende Ufer sehen, gab der Referent ein Beispiel: "Ich hatte vor drei Jahren Kontakt zu einer aus Syrien nach Beirut geflohenen palästinensischen Familie. Sie lebten mit 17 Personen in einer Zweieinhalbzimmer-Wohnung und verfügten über 450 Dollar pro Monat. Die Miete hat sich seitdem um ein Drittel erhöht und das Ersparte ist aufgebraucht. Sie sind jetzt nach Belgien gekommen." Um Druck herauszunehmen, müsse die Lebenssituation der so genannten Binnenflüchtlinge stabilisiert werden. Von den 60 Millionen Flüchtlingen weltweit suchen nur 20 Millionen ihr Heil außerhalb der Landesgrenzen. Allein acht Millionen Binnenflüchtlinge gebe es in Syrien. Zu deren Unterstützung habe der Bundestag gerade eine Milliarde Euro bewilligt.
Das Asylrecht im Grundgesetz gibt den rechtlichen Rahmen vor
Der rechtliche Rahmen staatlichen Handelns sei mit dem deutschen Asylrecht (Art. 16 GG) und mit der Genfer Flüchtlingskonvention abgesteckt. "Und da tun sich einige europäische Partner sehr schwer, den damit eingegangenen Verpflichtungen auch Taten folgen zu lassen", monierte der Sozialdemokrat. Sein Plädoyer zielt auf eine Stärkung der Vereinten Nationen: "Wir sind hier elementar auf funktionierende UN-Strukturen angewiesen. Sie verfügen über Erfahrung und Kompetenz beim Krisenmanagement. Leider vergessen einige, ihre Mitgliedsbeiträge bei der UNO zu bezahlen." Für die humanitäre Direkthilfe, wie sie derzeit auf der Balkanroute geboten ist, brauche es gut aufgestellte und regional vernetzte Organisationen wie das Rote Kreuz oder das Technische Hilfswerk. Einen wichtigen Pluspunkt in der deutschen Außenpolitik sieht der SPD- Mann darin, dass Deutschland als "Mittelgewicht" auf der internationalen Bühne zwischen verfeindeten Parteien moderiere und für Deeskalation sorge: "Es war wichtig und richtig, dass Außenminister Steinmeier sowohl mit Teheran als auch mit Riad den Gesprächsfaden geknüpft hat. Der syrische Bürgerkrieg ist zu einem Stellvertreterkrieg geworden. Es wird kein baldiges ?Ausbluten? geben, alle direkt und indirekt Beteiligten müssen sich jetzt zusammenraufen, um das Elend zu beenden."
Wie schwer das in der politisch-diplomatischen Praxis oft ist, illustrierte der Außenpolitiker mit einem Beispiel: Zu einem Libyen-Gipfel in Berlin hätten die acht verfeindeten libyschen Delegationen getrennt anreisen wollen. Die deutschen Gastgeber hätten aber auf einer gemeinsamen Flugbuchung bestanden und statt eines Hotelaufenthaltes in getrennten Suiten habe es eine mehrstündige gemeinsame Bootsfahrt auf der Spree gegeben.
In der anschließenden Diskussion kritisierte Joscha Wagner (Jusos) die Fortsetzung von Waffen-Exportgeschäften unter der Verantwortung von Wirtschaftsminister Gabriel (SPD). Andere Themen waren die gescheiterte Afghanistan-Mission der Bundeswehr sowie der Umgang mit dem NATO-Partner Türkei und die Frage der Hinfälligkeit des PKK-Verbotes hierzulande.