Das Russland-Problem der SPD
Inmitten des Handelskriegs zwischen Russland und dem Westen plant die SPD in Mecklenburg-Vorpommern einen deutsch-russischen Unternehmertag. Die Union schäumt - und selbst die Wirtschaft geht auf Distanz.
In Mecklenburg-Vorpommern ticken die Uhren anders, wenn es um Russland geht. Das hat Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) Ende April bewiesen, als er trotz Ukraine-Krise an der Feier zu Ehren von Altkanzler Gerhard Schröder in Sankt Petersburg teilnahm. Und das demonstriert er auch jetzt als Schirmherr des "Russlandtags", einem deutsch-russischen Unternehmertreffen, das am 1. Oktober in Rostock-Warnemünde stattfinden soll.
Schon das Motto "Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland: Erfahrungen und Perspektiven" wirkt angesichts des Sanktions-Pingpongs, das sich der Westen und Moskau liefern, merkwürdig deplatziert. Doch Sellering schert das wenig. Dass seine Veranstaltung, bei der Schröder als Gastredner eingeplant ist, die Russlandpolitik des Westens untergraben könnte, sieht er nicht. Eine Absage des Unternehmertags hält er zwar für denkbar, allerdings nur, "wenn es zu Sanktionen kommt, die solche Veranstaltungen betreffen". Dieser Fall wird jedoch kaum eintreten. Entsprechend deutlich fallen die Reaktionen aus.
"Es würde völlig aus dem Bild fallen, wenn jetzt eine Jubelveranstaltung mit Russland in Mecklenburg-Vorpommern stattfindet", warnt der Vorsitzende der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Karl-Georg Wellmann (CDU) im Gespräch mit Handelsblatt Online. Die Landesregierung solle die Veranstaltung auf Eis zu legen. Wellmanns Parteifreund Roderich Kiesewetter hofft, dass die in Schwerin mitregierende CDU den Ministerpräsidenten zur Räson bringt. "Jedenfalls darf sich die Union nicht an solch einer pro-russischen, offensichtlich Gewalt legitimierenden Veranstaltung nicht beteiligen", sagte Kiesewetter Handelsblatt Online.
Eine Unionsbeteiligung ist allerdings ohnehin nicht erkennbar. Vielmehr scheint der "Russlandtag" ein stark sozialdemokratisch geprägtes Treffen zu sein. Mitveranstalter ist Schröders alter Weggefährte Wolfgang Clement mit dem Ostinstitut Wismar, in dessen Vorstand der Ex-Bundeswirtschaftsminister sitzt. Und auch Frank Schauff, der viele Jahre für den SPD-Bundesvorstand als außenpolitischer Referent gearbeitet hat und heute Direktor der Vertretung aller europäischen Unternehmen in Moskau (Association of European Businesses) ist, gehört der Führung des Instituts an.
Als Partner der Veranstaltung tritt auch die Rostocker Industrie- und Handelskammer auf, auch wenn deren Präsident Claus Ruhe Madsen wegen der Zuspitzung des Ukraine-Konflikts nun vorsichtig auf Distanz zu dem geplanten Unternehmertag geht. Zwar sei es wichtig, miteinander im Dialog zu bleiben. "Allerdings müssen die Durchführung und die Inhalte der Veranstaltung entsprechend der jeweiligen aktuellen politischen Entwicklungen angepasst werden", sagte Madsen Handelsblatt Online.
Wichtige Firmen in russischem Eigentum
Dabei ist Bedeutung des geplanten Unternehmertags für die Wirtschaft des Bundeslandes nicht zu unterschätzen. Der russische Markt hat für Firmen aus Mecklenburg-Vorpommern einen vergleichsweise hohen Stellenwert. Etwa 100 Firmen unterhalten nach IHK-Angaben Wirtschaftsbeziehungen zu Russland.
Im Außenhandel (Ausfuhren und Einfuhren) Mecklenburg-Vorpommerns stand Russland demnach im Jahr 2013 an vierter Stelle mit einem Volumen im Wert von 637 Millionen Euro. Laut IHK ging der deutsch-russische Handel bereits 2013 zurück, die Exporte aus Mecklenburg schrumpften im Vergleich zum Vorjahr um 7,4 Prozent. Erwartet wird, dass sich durch die Sanktionen dieser Trend noch verstärkt.
Für das Bundesland steht viel auf dem Spiel, zumal, wie IHK-Präsident Madsen betont, die Wirtschaftsbeziehungen der Region zu Russland über Jahrzehnte hinweg entwickelt worden seien. Darauf wies auch Ministerpräsident Sellering hin, als er im Mai zu seiner Petersburg-Reise in einer Regierungserklärung Stellung bezog.
Manche Kontakte nach Russland bestünden schon seit DDR-Zeiten, andere seien in den nun fast 24 Jahren seit der Deutschen Einheit neu hinzu bekommen, sagte der SPD-Politiker. Einige Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern befänden sich außerdem in russischem Eigentum. Das gilt, wie Sellering sagte, nicht nur für die Nordic Werften in Wismar, Warnemünde und künftig auch Stralsund, sondern auch für den Holzverarbeiter Ilim Timber in Wismar.
Daneben gibt es auch Kontakte in der Ernährungs- und der Gesundheitswirtschaft. "Und nicht zuletzt", so Sellering, "ist Lubmin Anlandepunkt der Ostseepipeline von Nord Stream, die Deutschland in den letzten Jahren verlässlich direkt mit Erdgas beliefert hat und deren Bau und - in geringerem Maße - auch deren Betrieb für Arbeitsplätze bei uns in Mecklenburg-Vorpommern gesorgt hat." Altkanzler Schröder ist seit Jahren Vorsitzender des Aktionärsausschusses von Nord Stream. Russland sei daher ein wichtiger Handelspartner, betonte der Ministerpräsident. "Und das soll auch in Zukunft so bleiben."
SPD und Linkspartei auf einer Linie
In diese Richtung argumentiert auch der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Schweriner Landtag, Norbert Nieszery. "Der Russlandtag ist für unsere Firmen und die Landesregierung eine gute Gelegenheit, mit russischen Unternehmen im Gespräch zu bleiben und neue Kontakte aufzubauen. Deshalb sollte er nach jetzigem Stand auch stattfinden", sagte Nieszery Handelsblatt Online. "Sanktionen und Kontakte schließen sich nicht aus", fügte der Sozialdemokrat hinzu. "Ich halte es vielmehr für geboten, gerade in Krisenzeiten nicht sämtliche Brücken einzureißen und nicht wieder in die Muster des Kalten Krieges zurückfallen." Das sei auch der Kurs der Bundesregierung und der EU, so Nieszery.
Rückendeckung kommt von der Bundes-SPD. Bundestagsfraktionsvize Rolf Mützenich machte deutlich, dass Deutschland "nachdrücklich" die europäische Haltung und weiterer Länder gegenüber Russland unterstütze. Er sagte jedoch auch, dass sowohl Gespräche als auch gezielte Sanktionen "Teil einer abgestimmten und gut begründeten europäischen Außenpolitik" seien.
"Die offiziellen Vertreter der deutschen Wirtschaft akzeptieren dieses Vorgehen", sagte Mützenich Handelsblatt Online. "Deshalb gehe ich davon aus, dass im Rahmen des Russlandtages die europäische Haltung von allen Rednern mitgetragen wird. Solche Dialogformen bieten eine Chance, die gezielten Desinformationen in vielen russischen Medien zu korrigieren und in persönlichen Gesprächen die Rolle der Putin-Administration zu hinterfragen."
Damit liegt die SPD auf einer Linie mit der Linkspartei. "Wirtschaftliche Verflechtungen können helfen Zuspitzungen zwischen Ländern zu verhindern", sagte der Außenexperte der Linksfraktion im Bundestag, Stefan Liebich, Handelsblatt Online. "Deshalb finde ich Sanktionen und Absage von Treffen falsch und würde es daher begrüßen, wenn die Landesregierung bei ihrer Haltung bliebe."
Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour ist dagegen überzeugt, dass der geplante Russlandtag den Bemühungen der Bundesregierung um eine kohärente Politik der EU gegenüber Russland "schweren Schaden zufügen" würde. "Ministerpräsident Sellering läuft mit seinem Vorhaben Gefahr, die Außenpolitik seines Parteifreunds Steinmeier vollends unglaubwürdig zu machen und muss die Veranstaltung deshalb unbedingt absagen", sagte Nouripour Handelsblatt Online.
Nordost-CDU drückt sich um klare Ansage
Solche Forderungen dürften aber kaum Gehör finden. Der CDU-Außenpolitiker Kiesewetter forderte daher seine Parteifreunde in Schwerin auf, den Unternehmertag zu verhindern, sollte die Landesregierung nicht bereit sein, bei der Veranstaltung Russland aufzufordern, sich an das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die uneingeschränkte Souveränität der Ukraine zu halten und damit seine Militärberater umgehend aus der Ukraine abzuziehen wie auch die Unterstützung der Separatisten sofort einzustellen. "Ist sie dazu nicht bereit, sollten wir öffentlich Druck aufbauen, dass dieses Treffen abgesagt wird", sagte Kiesewetter.
Überdies erwartet Kiesewetter von der Landesregierung, sie solle von dem als Gastredner für die Veranstaltung eingeladenen Altkanzler Schröder einen gleichlautenden Appell an Kremlchef Wladimir Putin einfordern. Dazu werde Schröder natürlich nicht bereit sein, fügte der CDU-Politiker hinzu. "Somit ist Schröder mit entsprechender Begründung offiziell auszuladen."
Doch die CDU im Heimatland von Bundeskanzlerin Angela Merkel drückt sich um eine klare Ansage. Der Russlandtag sei eine Veranstaltung auf Initiative des Ministerpräsidenten. "Ich gehe davon aus, dass die Staatskanzlei berücksichtigt, dass die wirtschaftlichen Interessen Mecklenburg-Vorpommerns mit der außenpolitischen Linie der Bundesrepublik Deutschland nicht kollidieren", sagte ihr rechtspolitischer Sprecher Andreas Texter Handelsblatt Online. Der Ministerpräsident stehe sicherlich insbesondere mit seinen sozialdemokratischen Bundesministern in Kontakt und wisse um die Tragweite der außenpolitischen Beziehungen. "Ich bin optimistisch, dass dies morgen in der Kabinettssitzung ausreichend diskutiert und eine vertretbare Entscheidung getroffen wird", sagte der CDU-Abgeordnete.