Tunesien unterstützen

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es war ein Tag des Schreckens, der Verzweiflung und letztlich auch der Verunsicherung nicht nur in den betroffenen Ländern, sondern auch hier. Deswegen möchte ich auch ganz bewusst im Anschluss an Ihre Rede, liebe Frau Kollegin, davor warnen, in der Öffentlichkeit einfache Antworten zu präsentieren. Es gibt nicht die einfachen Antworten auf die Herausforderungen. Ich finde, wir tun gut daran, auch zu überlegen, wa¬rum aus Deutschland - das wird nicht durch Saudi-Arabien und viele andere gefördert - letztlich so viele Menschen zum IS und zu al-Qaida gehen, um dort zu kämpfen. Deswegen wäre es, glaube ich, gut, wenn von diesem Pult aus nicht nach einfachen Antworten gesucht wird oder sie sozusagen ausgesprochen werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Deswegen sage ich: Es sind feige Morde. Wir trauern mit den Hinterbliebenen, deren Familien und Freunden.

In der Tat - es ist gut, dass der Innenminister hier auch darauf hingewiesen hat -, wir können keine absolute Sicherheit in Deutschland erklären; aber wir tun letztlich alles dafür. Deswegen muss natürlich auch die Außenpolitik darauf reagieren. Ich würde gerne einige Argumente auch dafür finden.

Sie haben, Herr Innenminister, zu Recht darauf hingewiesen: Der Attentäter in Tunesien hat nicht nur auf die Touristen geschossen, sondern er hat ganz bewusst - mir fallen leider keine anderen Worte ein - auf das Herz der tunesischen Wirtschaft geschossen, indem er genau auf das gezielt hat, worauf 30 Prozent der Berufstätigen in Tunesien letztlich angewiesen sind: auf den Tourismus. Umso beeindruckender war, was wir in den letzten Stunden und Tagen gehört haben: dass am Attentatsort offensichtlich insbesondere Zivilisten, Tunesierinnen und Tunesier, versucht haben, den Attentäter zu stoppen. Das zeigt, wie verzweifelt auch die tunesische Gesellschaft auf diese terroristischen Herausforderungen reagiert.

Umso mehr müssen wir versuchen, uns in die Lage Tunesiens zu versetzen: Tunesien liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Libyen, einem aktuellen Bürgerkriegsherd, und zu Algerien, einem Land, in dem jahrelang ein Bürgerkrieg gewütet hat. Trotzdem hat sich Tunesien in der Vergangenheit bereit erklärt, Flüchtlinge aus Libyen aufzunehmen. Sie sind immer noch da, und die Menschen tragen die Last: eine hohe Arbeitslosigkeit von insgesamt 16 Prozent und eine Jugendarbeitslosigkeit zwischen 30 und 50 Prozent. Es wurde gesagt: 3 000 junge Menschen aus Tunesien sind offensichtlich zum IS gegangen, um dort zu kämpfen.

Trotzdem versucht dieses Land, eine Demokratie zu bauen und damit letztlich Vorbild und Vorreiter in der arabischen Welt zu sein. Dies zeigt, dass trotz aller Verheerungen Länder aus der arabischen Welt in der Lage sein können, eine Gesellschaft zu bauen, die zu Besserem in der Lage ist. Ich finde, es gehört an diesen Ort, in den Deutschen Bundestag, dass wir uns bei dieser Gesellschaft, bei den Menschen Tunesiens ganz herzlich bedanken mit Respekt und Empathie.

(Beifall im ganzen Hause)

Wenn ich sage: "Wir müssen natürlich über die außenpolitischen Herausforderungen sprechen", will ich auf der anderen Seite auch durchaus sagen: Eben weil dort versucht wird, eine Demokratie, eine Zivilgesellschaft zu bauen, ist es ein deutlicher Hinweis, dass auch eine Partei, die sich muslimisch nennt, bereit gewesen ist, auf die politische Macht in Tunis zu verzichten nach der Wahlniederlage, die sie erlitten hat. Ich glaube, dass das stilbildend sein kann und Vorbild sein sollte für andere arabische Länder oder Länder, in denen der politische Islam zurzeit in der Regierung ist.

Deswegen sage ich noch einmal: Ja, Herr Innenminister, es ist richtig, dass die Bundesregierung die tunesischen Sicherheitskräfte unterstützt. Es kommt letztlich darauf an, dass die Demokratie gesichert wird. Aber Sicherheit heißt mehr: Sicherheit heißt Rechtsstaatlichkeit, heißt Unabhängigkeit der Justiz und heißt Gewissenhaftigkeit von Polizei und Militär. Wir wissen, dass die Umbrüche in der arabischen Welt von Tunesien ausgegangen sind. Da war der junge Tunesier, der sich verbrannt hat; er wollte ein deutliches Zeichen gegen die Korruption bei der Polizei setzen. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Sicherheitskräfte nicht nur gestärkt werden, sondern sie sich in der Praxis auch anders verhalten.

Aus diesem Grunde haben wir Projekte in Tunesien unterstützt, auch viele Entwicklungshilfeprojekte. Frank-Walter Steinmeier ist für die Bundesregierung oft in dem Land gewesen. Es war gut, dass die Europäische Union in der EU-Nachbarschaftspolitik bei Tunesien einen Schwerpunkt gesetzt hat. Darin müssen wir Frau Mogherini stärken. Es wäre gut, wenn dieses Land eine ständige Aufmerksamkeit bekäme und eine europäische Außenpolitik sich gerade auch in Tunesien wiederfände. Deswegen treten wir dafür ein, über eine präventive, über eine politische Aussagekraft in diesem Zusammenhang die EU-Komponente Tunesiens stärker deutlich zu machen. Es war ein richtiges Partnerland. Deswegen glaube ich, die Menschen haben es allemal verdient, dass wir nicht nur heute über sie sprechen, sondern in Zukunft auch.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 02.07.2015
Thema: 
Plenarrede anlässlich der Aktuellen Stunde zur Sicherheitslage nach den islamistischen Anschlägen