Iran: Sanktionsspirale beenden - Kriegsgefahr stoppen - Neuen Anlauf zum umfassenden Dialog
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In erster Linie schaden nicht internationale Sanktionen dem iranischen Volk, sondern eine inkompe-tente Regierung. Ich glaube, dass wir dies an erster Stelle sagen müssen. Herr Kollege van Aken, insbesondere Korruption, Gruppenegoismus und Repression schaden dem iranischen Volk.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich finde, eine solche Aussage sollte vom Deutschen Bundestag getroffen werden. Ein Land mit außergewöhnlichen Menschen und einer bedeutenden Kultur und Geschichte hat besseres verdient als diese Regierung und dieses Regime.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Deswegen will ich noch einmal sagen: Sanktionen sind kein Selbstzweck, wie Sie es hier behauptet haben. Sanktionen gehören aber immerhin zum diplomatischen Werkzeugkasten. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat mehrere Sicherheitsratsresolutionen auf der Grundlage von Berichten der Internationalen Atomenergiebehörde beschlossen. Diese spricht von offenen Fragen, die darauf hindeuten, dass das Atomprogramm offensichtlich keine friedliche Nutzung beinhaltet. Die Fragen beziehen sich einmal auf die Zeit bis zum Jahr 2003 - Herr Kollege van Aken, das gehört zur Redlichkeit -, aber auch darüber hinaus. Der jüngste Bericht nimmt die Entwicklung von Forschungen an einem Sprengkörper in den Fokus, fragt natürlich insbesondere - das sollten wir, die wir uns insbesondere mit Blick auf die Raketenabwehr Sorgen machen, auch tun -, warum der Iran möglicherweise weitreichende Raketen entwickelt. All das gehört zu einer redlichen Debatte.
Deswegen sage ich zu den Sanktionen: Zu den Sanktionen gehören Verhandlungen und Anreize. Herr Kollege van Aken, ich hätte mich gefreut, wenn Sie gesagt hätten: Das ist der Konsens des gesamten Deutschen Bundestages. Was tut die Bundesregierung seit 2001 denn anderes? In den Zeiten der rot-grünen Koalition ist erstmals eine solche Initiative mit den Regierungen anderer Länder entwickelt worden. Alle nachfolgenden Regierungen haben diese Vorgehensweise, das diplomatische Mittel in den Fokus zu stellen, aufgenommen, um eine notwendige Verhaltensänderung im Iran zu erreichen. Auch wir Sozialdemokraten - das haben wir von dieser Stelle aus immer gesagt, und die Zeit der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder ist dafür ein gutes Beispiel - lehnen militärische Eingriffe ab.
Die wirklich interessante Debatte findet derzeit in Israel statt. Sie verlieren kein Wort dazu, dass gerade israelische Wissenschaftler und Politiker sagen: Militärische Drohungen oder militärische Eingriffe führen möglicherweise genau zum Gegenteil. Das sollten wir in dieser Debatte aber genauso betonen wie die Tatsache, dass wir diese Diplomatie benötigen.
Ebenfalls übersehen haben Sie die Situation, die wir im März dieses Jahres erlebt haben. Es fand ein verbaler Schlagabtausch statt, der sich immer stärker aufgeschaukelt hatte und bei dem sich angesichts der militärischen Drohungen - nicht nur vonseiten der israelischen Regierung, sondern bis in die USA hinein - das Fenster der Diplomatie beinahe geschlossen hätte. Nach meinem Dafürhalten war es Präsident Obama, der es mit einem diplomatischen Meisterstück geschafft hat, dieses Fenster der Diplomatie für die nachfolgenden Wochen und Monate wieder für Gespräche zu öffnen.
Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar, dass sie alles dafür unternimmt - sowohl in Istanbul, aber auch heute in Bagdad -, möglicherweise mit neuen Vorschlägen diejenigen Elemente in die Verhandlungen hineinzubringen, die wir brauchen. In diesem Zusammenhang sollten wir festhalten, dass der entscheidende Träger der sogenannten politischen Gewalt im Iran, der religiöse Führer, im März zumindest darauf hingewiesen hat, dass in diesen Verhandlungen möglicherweise ein neues Momentum liegt.
Deswegen bitte ich Sie: Reden Sie nicht alles schwarz; man kann das Ganze ja in einem gewissen Sinne grauzeichnen. Nach meinem Dafürhalten haben wir zum jetzigen Zeitpunkt auf jeden Fall die Chance, uns mit friedlichen, diplomatischen Mitteln, die sich gegenseitig verstärken, aufeinander zuzubewegen. In diesem Zusammenhang ist die Bringschuld vonseiten des Iran unerlässlich, auf die offenen Fragen, die Herr Amano in dem Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde angesprochen hat, entsprechende Antworten zu geben. Das habe ich eben wiederholt. Ein entscheidender Punkt ist jedoch - das ist unsere gemeinsame Haltung hier im Deutschen Bundestag -, dass wir den Iran auffordern, die Infragestellung Israels und die Leugnung des Holocaust ebenso zurückzunehmen,
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
denn das würde die Möglichkeit für friedliche und diplomatische Gespräche befördern.
Es besteht ebenso wenig Dissens darüber, dass auch der Iran legitime Sicherheitsinteressen hat, die berücksichtigt werden müssen. Darauf deutet insbesondere die lange Geschichte hin, sowohl im Hinblick auf die Beziehungen zu den USA, aber auch innerhalb des regionalen Umfelds in den Beziehungen zu anderen, damals noch starken Ländern. Diese Hintergründe können eine Belastung für politische Gespräche bedeuten. Deswegen wäre es richtig, nicht immer wieder das Wort vom Regime Change im Munde zu führen ? wie es derzeit auch im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf von einer Partei, die sich darum bemüht, ab November wieder den Präsidenten zu stellen, getan wird ?, sondern davon abzulassen. Das würde den Weg zu konstruktiven Gesprächen ebenso frei machen wie die Idee, ein regionales Si¬cherheitssystem in diese Region mit einzubringen.
Ich will zum Schluss meiner Rede noch auf einen aktuellen Fall in Deutschland hinweisen. Hier sollten wir uns gegenüber der iranischen Regierung, aber auch gegenüber dem Regime insgesamt positionieren: Die Bedrohung hier lebender Iraner ist nicht hinnehmbar.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Weder eine Fatwa noch eine "rechtliche Verfolgung" gegenüber dem iranischen Musiker Shahin Najafi und die gestern stattgefundenen Demonstrationen vor der Deut-schen Botschaft in Teheran sind hinnehmbar. Sie sind genauso zu verurteilen wie andere Dinge, die hier aufgekommen sind. Ich finde, dass die Bundesregierung zusammen mit der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen alles dafür unternehmen sollte, dass die Sicherheit des hier lebenden Iraners gewährleistet wird.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.