Russlands Befürchtungen zur Raketenabwehr entkräften
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will in den wenigen Minuten meiner Rede auf nur ein Thema eingehen, von dem ich glaube, dass es in den nächsten Jahren die Konfliktformation in Europa beherrschen und wahrscheinlich auch zu neuen Spannungen führen wird. Es geht um die Raketenabwehr, die zwar unter dem NATO-Dach entwickelt wird, aber eigentlich ein nationales Vorhaben der USA ist.
Ich will, Herr van Essen, die Bemerkung machen, dass es grundsätzlich erst einmal unwahrscheinlich ist, dass ein Rüstungsvorhaben allein zur Kooperation führt. Im Gegenteil: Rüstungsvorhaben führen in der Regel - das ist die Erfahrung aus dem Kalten Krieg - zu Unsicherheit und können das Sicherheitsdilemma zwischen Staaten verstärken.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen ist es Aufgabe der Bundeskanzlerin und der gesamten Bundesregierung, Russland eben nicht nur einzuladen, sondern auch die Bedrohungswahrnehmung Russlands, gerade auch in den Institutionen der NATO, zu erklären und darauf entsprechend zu reagieren.
(Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD])
Ich finde, hier haben Sie in den letzten Monaten und Jahren zu wenig getan. Im Gegenteil: Sie haben erstens die Sichtweise Russlands nicht eingebracht, die nach meinem Dafürhalten von zweierlei geprägt ist: Die Sowjetunion hat während des Kalten Krieges die Erfahrung mit "Star Wars" und der theoretischen Fähigkeit eines Erstschlages gemacht. Das befördert die Unsicherheit im russischen Sicherheitsapparat. Hinzu kommt nach dem Ende des Kalten Kriegs die Erfahrung: Die NATO ist an die Grenze Russlands herangerückt und hat in diesem Gebiet ihre Raketenabwehr stationiert. All das befördert Unsicherheit. Diese Unsicherheit haben Sie innerhalb der NATO nicht ausreichend thematisiert.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Damit sind Sie nicht genügend auf die russischen Fragen eingegangen. Das ist ein großes Versäumnis, das man der Bundeskanzlerin wird vorhalten müssen.
(Beifall bei der SPD)
Ich hoffe, dass Sie zumindest mit einer gewissen Empathie für Russland nach Chicago fahren und den Mitgliedsländern der NATO diese Unsicherheit Russlands auf dem NATO-Gipfel deutlich machen.
Dabei geht es ganz konkret um die Frage: Wird es uns gelingen, den Unsicherheitsfaktor Raketenabwehr durch eine rechtsverbindliche Begrenzung einzuhegen? Ich fordere die Bundesregierung dazu auf, diese Frage mutig anzugehen. Das haben Sie in der Vergangenheit nicht getan, insbesondere dann nicht, als der damalige russische Präsident Medwedew einen Vorschlag über ein neues europäisches Sicherheitskonzept eingebracht hat. Sehr reflexartig hat man innerhalb der NATO-Staaten, aber auch der Bundesregierung darauf reagiert, und man hat sogar Vokabeln der Lächerlichkeit eingebracht.
Nicht geschafft haben Sie, eine alte Tradition deutscher Bundesregierungen fortzusetzen, nämlich sowohl die Bedenken aufzunehmen als auch sozusagen Brücken zu bauen. Das verlange ich von einer deutschen Bundesregierung gegenüber der russischen Regierung. Das haben Sie aber nicht bzw. zu wenig getan.
(Beifall bei der SPD)
Das zweite Beispiel ist der Georgien-Konflikt. Damals haben wir einen wirklich schweren Konflikt in Europa erlebt. Worum ging es? Wir haben sofort die Instanz suspendiert, die eigentlich zur Konfliktbearbeitung in der Lage gewesen wäre, nämlich den NATO-Russland-Rat, und es war schwer, wieder an die guten Erfahrungen anzuknüpfen.
(Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD])
Drittens lässt sich die Bundeskanzlerin - das muss man ihr vorwerfen - in den USA, auch im Kongress, gerne feiern und hält wohlfeile Reden, aber sie geht nicht auf die Bedingungen ein, unter denen möglicherweise ein solcher Konflikt auch eingehegt werden kann. Insbesondere überzeugt sie nach meinem Dafürhalten den amerikanischen Kongress nicht davon, dass wir Verträge brauchen, um dieses Sicherheitsdilemma entscheidend zu bearbeiten.
(Beifall bei der SPD)
Ich meine, Sie müssen nach Chicago reisen, um ein neues Wettrüsten und auch letztlich neue Kriegsführungsstrategien zu verhindern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist die Aufgabe der Bundesregierung in Chicago. Dazu haben Sie leider heute nichts gesagt.
Der Bundesaußenminister, der in seinem Wahlkampf gerne über Abrüstung philosophiert hat, hat nach drei Jahren nichts vorzuweisen, was flankierend in diesen Prozess eingebracht werden kann. Er reist gerne, aber das reicht für einen Außenminister nicht aus.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Er muss Themen besetzen, und das wäre ein wichtiges Thema gewesen. Leider hat er in diesen Zusammenhängen versagt.
Ich finde es schade, dass die Bundesregierung so nach Chicago gehen muss. Sie bringt nichts voran. Sie schafft eher Unsicherheiten. Das steht nicht in der Tradition ehemaliger Bundesregierungen.
Vielen Dank.