Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am ISAF-Mandat
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am Anfang will ich Herrn Link - ich sehe ihn im Moment nicht, aber er wird sicher gleich wieder anwesend sein - ganz herzlich zu seiner Ernennung zum Staatsminister gratulieren und ihm die gute Zusammenarbeit unserer Fraktion anbieten.
Die Entsendung von Soldaten ist niemals reine Routine hier im Deutschen Bundestag gewesen. Aber der heutige Beschluss über das Mandat, das die Bundesregierung vorgelegt hat, ist schon ein bedeutender Einschnitt. Wir haben erstmals eine Reduzierung der Zahl von Soldaten in dem Mandat für Afghanistan, und eine weitere Absenkung im Laufe des Jahres ist in dem Mandat zumindest angedeutet. Außerdem erfolgt diese Mandatierung, was uns als Sozialdemokraten ganz besonders wichtig ist, im Rahmen internationaler Verabredungen.
Wenn man für eine multilaterale Politik eintritt, für eine Politik, die sich an Regeln und Normen orientiert, dann muss man sagen: Dieses Mandat ist richtig, insbesondere weil es zum Teil auch auf einer internationalen Konferenz entstanden ist.
Die Außergewöhnlichkeit dieses Mandates besteht auch darin, dass der Deutsche Bundestag zumindest in dieser Form wahrscheinlich noch zweimal wird entscheiden müssen. Auch dies ist ein fundamentaler Wandel, der Aussagen über die Bedeutung des heutigen Beschlusses zulässt. Gleichzeitig darf - diese Auffassung teile ich - die Aufmerksamkeit für Afghanistan und für die Region auch nach 2014 nicht nachlassen. Das liegt nicht nur im Sicherheitsinteresse Europas, sondern auch im Interesse der gesamten internationalen Politik. Ich glaube, dass das auch über die Fraktionen hinweg Konsens findet.
Wenn wir heute in dieser Form über die Entsendung entscheiden, ist das in der Tat ein fundamentaler Wandel. Aber wir sollten heute insbesondere über die außenpolitischen Implikationen dieses Mandates reden, weil sich dahinter ebenfalls ein fundamentaler Wandel verbirgt, der nur dann klar wird, wenn man sich noch einmal daran erinnert, was es in den letzten Jahren bedeutet hat, für die internationale Afghanistan-Politik einzutreten.
Manches wurde falsch angelegt, und manches wurde unterschätzt. Das haben wir von Anfang an gesagt. Heute besteht in der internationalen Gemeinschaft Konsens darüber, dass es keine militärische Lösung für Afghanistan gibt, sondern nur eine politische Lösung. Wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion haben dies von Anfang an gesagt, und mittlerweile ist dies auch Konsens. Das ist nicht selbstverständlich. Wenn wir uns noch einmal die Jahre der Bush-Administration anschauen, dann können wir sagen, dass militärische Lösungen im Vordergrund standen. Eine kleine militärische Intervention in Afghanistan sollte das Problem des internationalen Terrorismus lösen. Das war zu kurz gedacht.
Das ist auch der fundamentale Wandel, der sich hinter dieser außenpolitischen Wende verbirgt. Es gab zur Frage des Staatsaufbaus keinen Beitrag im Zettelkasten der damaligen amerikanischen Regierung. Auch das hat sich in der Vergangenheit gewandelt. Es war wichtig, dass dies auf der Londoner Konferenz auch so gesagt wurde. Heute ist daran erinnert worden, dass mit allen Bürgerkriegsparteien zu sprechen ist. Auch dies war unser Ansatz. Jetzt ist in Katar ein sogenanntes Verbindungsbüro der Taliban eröffnet worden. Was ist das für ein Kontrast zu den Jahren 2006 und 2007, als die britische Regierung erstmals mit den Taliban konkrete Verabredungen in der Region Helmand getroffen hatte und dies militärisch von den US-Streitkräften hintergangen wurde.
Der fundamentale Wandel in der Außenpolitik besteht unter anderem auch darin, dass diese Region jetzt die volle Konzentration der internationalen Gemeinschaft bekommt. Afghanistan und Pakistan wurden in den Jahren 2002 und 2003 schlagartig nicht mehr beachtet, weil der Irak plötzlich in den Fokus genommen wurde. Der eine oder andere weiß noch, von wem die Regierung Bush damals ermutigt wurde, den Irak in den Fokus zu nehmen und sich vom Engagement in Afghanistan abzusetzen. Ich glaube, darüber müssen wir auch im Bereich der Innenpolitik reden.
Es gibt also einen fundamentaler Wandel, der mit einem Namen verbunden ist: mit dem Namen von Präsident Obama. Er hat es ermöglicht, dass auf der Londoner Konferenz die verbindlichen Verabredungen getroffen worden sind. Es ist insbesondere in den letzten Tagen deutlich geworden, was es bedeuten könnte, wenn die amerikanische Administration nach dem November dieses Jahres nicht mehr gemeinsam mit uns darüber bestimmen würde, was Aufgabe der internationale Afghanistan-Politik ist. Deswegen, glaube ich, ist es heute so wichtig, dass dieser Beschluss außenpolitisch gewürdigt wird.
Ich sage allen: Der außenpolitisch fundamentale Wandel macht sich in diesem Mandat nach meinem Dafürhalten heute sehr deutlich bemerkbar. Wenn wir diesem Mandat als Sozialdemokraten mehrheitlich zustimmen, dann hat es etwas damit zu tun, dass wir uns weiterhin daran beteiligen wollen, wie dieses Mandat ausgestaltet wird. Wir gehen davon aus, dass es eine weitere Absenkung der Truppenstärke geben wird. Wir haben dieses Mandat sehr aufmerksam gelesen und dem zugehört, was in den beratenden Ausschüssen gesagt worden ist.
Wir wollen uns daran beteiligen, festzulegen, wie die Sicherheit und wie die Zukunft des Landes Afghanistan, insbesondere im Hinblick auf die Korruptionsbekämpfung, aussieht. Wir wollen auch mit darüber bestimmen - ich glaube, dies ist auch für die Fraktion der Grünen ganz wichtig -, wie in Zukunft mit den Taliban Verabredungen getroffen werden. Wir wollen doch nicht Afghanistan sozusagen in dem Zustand verlassen, der möglicherweise in den vergangenen Jahren vorgeherrscht hat. Man wird es nur schaffen können, zukünftige Bedingungen für dieses Mandat festzulegen, wenn man ihm heute zustimmt, auch was die Frage der Sicherheitskräfte und vieles andere bedeutet.
Ich nenne noch einen entsprechenden Punkt, der mir ganz wichtig ist. Es ist die Frage, wie die Nachbarn mit diesem regionalen Konflikt umgehen. Ich weiß, dass von Deutschland keine unmittelbaren Einflüsse auf Indien und Pakistan ausgeübt werden können. Wir haben aber zum Beispiel Einfluss auf die USA, die wiederum Einfluss auf Indien nehmen können, um Verabredungen dahin gehend zu treffen, dass Afghanistan nicht länger der Ort ist, wo sich die Gegensätze zwischen Indien und Pakistan so deutlich bemerkbar machen. Auch solche Überlegungen stecken nach meinem Dafürhalten ganz fundamental hinter diesem Mandat.
Die Fraktion Die Linke hat in ihrem Antrag auf die gezielten Tötungen hingewiesen. Wenn ich das einmal so sagen darf: Das ist nicht Ihr Alleinstellungsmerkmal. Es gab heute bereits eine diesbezügliche Wortmeldung.
Viele andere Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag versuchen seit mehreren Jahren, durch Anfragen an die Bundesregierung mehr über dieses Thema zu erfahren und darüber zu reden. Ich stelle mich dieser Diskussion; das wissen Sie ganz genau. Dahinter verbergen sich auch moralische und ethische Fragen sowie insbesondere Fragen des Völkerrechts.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Mützenich, wollen Sie die Gelegenheit wahrnehmen, eine Frage zu beantworten?
Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Ja, aber vielleicht kann der Kollege Gehrcke dann fragen, wenn ich meine Ausführungen dazu gemacht habe.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Nein, das kann er nicht, weil dann Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Dann nutze ich diese Zwischenfrage, um meine Redezeit zu verlängern, Frau Präsidentin.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das dachte ich mir.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zuruf von der SPD: Das war doch abgesprochen!)
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Die Behauptung, dass das zwischen uns beiden abgesprochen wäre, weise ich natürlich entschieden zurück. Ich wusste ja gar nicht, was Sie sagen werden. Nur einmal zur Klarstellung: Ich möchte wissen, ob Sie folgende deutliche Aussage meinerseits akzeptieren: Ich lege überhaupt keinen Wert darauf, dass dieser Antrag und diese Überlegung, sich nicht weiter an gezielten Tötungen zu beteiligen, ein Alleinstellungsmerkmal der Linken sind. Ich wäre über jede Kollegin bzw. über jeden Kollegen, die bzw. der ähnlich abstimmt und ähnlich in der Öffentlichkeit argumentiert, außerordentlich dankbar. Können Sie diese Aussage akzeptieren?
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Lieber Kollege Gehrcke, das kann ich akzeptieren. Ich wollte Ihnen nur deutlich machen, wo aus meiner Sicht der Unterschied zu Ihrer Argumentation liegt. Der Kollege Schäfer hat eine Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik erwähnt, die die Frage des Kriegsvölkerrechts sehr ausführlich behandelt hat. Ich wundere mich sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, dass Sie diese Frage in Ihrem Antrag an keiner einzigen Stelle erwähnt haben. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz macht es sich nicht so einfach, wie Sie es sich in Ihrem Antrag gemacht haben, sondern es nimmt eine viel differenziertere Position ein. Wenn ich die Gelegenheit nutzen darf, will ich Ihnen zugleich sagen: Ich glaube, dass Sie letztlich zu kurz gesprungen sind. Es handelt sich eben nicht nur um ein Problem gegenüber Afghanistan. Was die US-Politik angeht, ist es auch ein Problem gegenüber dem Jemen. Zugleich ist es ein Problem anderer Länder: Es ist ein Problem Russlands, Israels, Kolumbiens und vieler anderer Länder mehr.
Deswegen möchte ich Sie gerne einladen: Lassen Sie uns versuchen, im Auswärtigen Ausschuss ein noch viel stärkeres Momentum zu schaffen. Dies könnte möglicherweise mithilfe einer Diskussion geschehen, die die Bundesregierung anstoßen könnte. In der Tat unterstütze ich Ihren Gedanken, Herr Kollege Gehrcke. Ich finde auch, dass eine mutige und prinzipienfeste Bundesregierung das Ganze gegenüber ihren Partnern thematisieren müsste. Es reicht nicht, nur zu sagen: Wir machen das nicht mit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich glaube - darüber sind wir uns einig -, das gehört zu dieser Politik dazu. Für die Sozialdemokraten sage ich daher: Für uns war es nie einfach gewesen, ein Mandat für Afghanistan zu beschließen. Am Anfang stand bei uns eine Vertrauensabstimmung; das wissen Sie. Viele Kolleginnen und Kollegen haben in Form von persönlichen Erklärungen Bedenken geäußert. Ich glaube aber, die Mehrheit meiner Fraktion wird heute dennoch diesem Mandat zustimmen. Das geschieht aber eben nicht, weil unser Abstimmungsverhalten ein Vertrauensvotum für diese Bundesregierung sein soll. Vielmehr ist es ein Votum für die Hoffnung, dass die Weichen für Afghanistan in die richtige Richtung gestellt werden.
Vielen Dank.