Demokratiebewegung in Russland unterstützen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der Tat: Solch wichtige, möglicherweise sogar epochale Ereignisse wie jetzt in Russland brauchen Bilder. Wir haben der Debatte, oft aber auch der veröffentlichten Meinung entnommen, dass diese Ereignisse mit dem arabischen Frühling vergleichbar seien. Es sind durchaus wichtige Demonstrationen, die dort stattgefunden haben. Aber ich warne davor, an dieser Stelle Parallelen zu ziehen. Die sozioökonomischen Bedingungen, die Geschichte und die Kultur sind dort andere. Gemeinsam ist den Demonstranten allerdings, dass sie für eine freiere und demokratischere Gesellschaft eintreten.
Insbesondere fordern sie, dass vom Staat bzw. von der Regierung der Respekt gegenüber dem Einzelnen gewährleistet wird. In dieser Hinsicht stimmt der Vergleich; das ist in der Tat richtig.
Allerdings glaube ich - auch darauf möchte ich hinweisen -, dass wir die Entwicklung in Russland wachen Auges beobachten müssen. Dies gilt im Hinblick auf die Demonstranten, aber insbesondere im Hinblick auf die Regierung und die Mächte im Kreml, die sich in den letzten Jahren immer wieder gegen die russische Gesellschaft gerichtet haben. Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass es auch bei den Demonstrationen den einen oder anderen Teilnehmer gegeben hat, der sich für einen russischen Sonderweg eingesetzt hat.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!)
Das ist nicht gut für Europa, und das ist nicht gut für Russland.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich finde, zu einer Debatte, in der es im Grunde genommen darum geht, dass wir uns um die russische Gesellschaft Sorgen machen müssen, gehört auch, einen solchen gerechtfertigten Hinweis zu geben.
(Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Der springende Punkt ist: Die Menschen wollen gut bzw. besser regiert werden, und sie wollen in einer solchen Situation geachtet werden. Ein freies Parlament wie der Deutsche Bundestag muss darauf hinweisen. Warum gibt es diese Erwartungshaltung? Ich finde, wir sollten eine differenzierte Debatte über Russland führen. Ich bekenne für mich persönlich ganz offen: Ich habe gehofft, dass mit Präsident Medwedew jemand die Präsidentschaft übernimmt, der sich für eine freiere, offenere und respektvollere Gesellschaft und für einen Staat, der sich gegenüber seinen Bürgern respektvoller verhält, einsetzt. Er hat diese Hoffnung enttäuscht.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Er hat auch mich persönlich enttäuscht. Ich glaube, einer der Gründe, warum die Demonstranten sagen: "Wir fühlen uns hinters Licht geführt", ist, dass die Verabredung zwischen Medwedew und Putin zwar erst vor wenigen Wochen öffentlich geworden ist, dass es aber hieß: Das haben wir schon vor langer Zeit verabredet. So kann man mit einer Gesellschaft nicht umgehen, die freier leben will.
Ich finde, diese Kritik ist gerechtfertigt, und deswegen muss man hinter dieser Politisierung der russischen Gesellschaft letztlich auch das erkennen, was sie bedeutet: Die Menschen wollen freier, gerechter und respektvoller behandelt werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen verlangen wir von dieser Stelle aus, dass die Wahlergebnisse überprüft und korrigiert werden. Ich erinnere auch daran: Es sind noch nicht alle Wahlergebnisse bekannt. Es sind ja auch Regionalwahlen durchgeführt worden. Ein ganz wichtiger Punkt ist, ob auch hier solche Wahlmanipulationen stattfinden und die Ergebnisse korrigiert werden. Die nächste Frage wird sein:
Wie wird die Präsidentschaftswahl durchgeführt?
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Genau!)
Ich muss sagen: Ich war wirklich bitterlich enttäuscht - ich habe nicht viel erwartet, aber ich war dennoch enttäuscht - über das, was Putin in der Fernsehdiskussion gesagt hat. Dieser Ministerpräsident, dieser Präsidentschaftskandidat muss Kritik akzeptieren. Er muss sie sozusagen auch fordern, weil das letztlich zu der Entwicklung in Russland gehört,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
und das verlangen wir vonseiten des Deutschen Bundestages auch.
Deswegen finde ich es richtig, der Bundesregierung zu sagen: Fordern auch Sie ihn, und sagen Sie ihm dies deutlich! Ich finde, das kann man nicht nur hinter verschlossenen Türen machen. Er muss lernen, mit Kritik umzugehen und mit Menschen, die Kritik äußern wollen, zu leben. In den heutigen Äußerungen gab es dafür leider kein Zeichen, was man nach den Demonstrationen hätte erwarten können.
Deswegen müssen wir ganz klar sagen: Ja, wir wollen, dass die Demonstranten, die verhaftet und verurteilt worden sind, unverzüglich freigelassen werden. Auch das müssen die Bundesregierung und nach meinem Dafürhalten auch die EU-Beauftragte Lady Ashton deutlich machen.
Ich finde, dass es der Bundesregierung in den letzten zwei Jahren leider nicht gelungen ist, das zu übernehmen, was ihre Vorgängerregierungen zumindest versucht haben, nämlich sowohl in der russischen Gesellschaft als auch gegenüber der dortigen Regierung ein Verhältnis zur russischen Politik zu entwickeln, auf dessen Grundlage wir eine stärkere Transparenz und Zusammenarbeit hätten einfordern können. Genau das muss ich dem Bundesaußenminister als Versagen in den letzten zwei Jahren attestieren. Er hat es nicht geschafft, auf die Signale
von Präsident Medwedew einzugehen, als es um einen neuen Sicherheitsvertrag für das Gebiet von Wladiwostok bis Vancouver ging. Wir hätten Medwedew fordern und ihm sagen müssen: Hier muss mehr auf den Tisch.
Das hat die Bundesregierung versäumt.
Leider haben wir uns jetzt aus wichtigen Abrüstungsverträgen verabschiedet.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!)
Auch das war kein gutes Signal an die russische Politik. Ich finde, die Bundesregierung muss gegenüber der russischen Regierung nicht nur stärker demokratische Verhältnisse einfordern, sondern insbesondere an ihre Verantwortung für die internationale Politik appellieren.
Sie haben jetzt vielleicht noch ein bisschen Zeit, dies zu tun. Ich wünsche mir das zumindest. Vonseiten des Deutschen Bundestages werden wir das weiter einfordern.
Vielen Dank.