Deutsche Außenpolitik wieder berechenbar machen

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Bundesaußenminister, ich finde, dass in den letzten Wochen nicht ganz fair mit Ihnen umgegangen worden ist. Sie haben eine Menge Pfeile auf sich gezogen und damit offensichtlich von dem Komplettversagen der gesamten Bundesregierung abgelenkt, die nämlich auch den außenpolitischen Herausforderungen nicht gerecht geworden ist. Deswegen glaube ich - das ist vielleicht ein Trost für Sie -: Das Komplettversagen der gesamten Bundesregierung ist blamabel für die deutsche Außenpolitik.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die schlimmen Fehler, die in den vergangenen Wochen gemacht worden sind, Herr Bundesaußenminister, sind das eine. Große Sorgen macht mir aber, dass Sie auf Trends, die es innerhalb der deutschen Gesellschaft gibt, offensichtlich nicht rechtzeitig und allenfalls mit Desinteresse eingehen.

Ich würde gerne auf eine Allensbach-Umfrage eingehen, über die im Juli 2011 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtet wurde. Ich zitiere: "Auch die Überzeugung, es sei notwendig, Deutschland in internationale Bündnisse einzubinden, scheint allmählich zu erodieren." Ich denke, das muss uns allen, auch dem gesamten Deutschen Bundestag, große Sorgen machen, Herr Minister. Insofern stellt sich die Frage: Was tun Sie gegen diesen Trend? Wie erläutern Sie den Bundesbürgern, dass es wichtig ist, sich innerhalb von Institutionen und Regeln zu bewegen, was letztlich zum Wohle Deutschlands gehört?

Diese Herausforderungen stellen sich. An diesen Herausforderungen sind Sie aber zumindest in den letzten zwei Jahren gescheitert. Es geht nicht um die Reden, die Sie gegen die Renationalisierung halten; es geht vielmehr um das Handeln.

In der Europapolitik - das wird sich auch gleich in der Generaldebatte zeigen - hat nicht nur der Bundesaußenminister, sondern die gesamte Bundesregierung versagt, was die Rolle Europas angeht. Die Bundeskanzlerin hat 2009 den Abgeordneten im US-Kongress gesagt - einige von uns waren seinerzeit dabei -: Deutschland steht in dieser Welt in festen Bündnissen und Partnerschaften; deutsche Sonderwege sind grundsätzlich keine Alternative deutscher Außenpolitik. Diese Rede wird in Washington immer wieder gelesen, und Ihr Handeln wird daran gemessen. Was Libyen angeht, waren wir nicht an der Seite unserer Partner. Das ist nicht nur Ihr Versagen, sondern das Versagen der gesamten Bundesregierung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich nenne ein drittes Beispiel. Die Bundeskanzlerin hat sehr früh eine Option beiseitegeschoben, die im Hinblick auf die geplante UN-Resolution im September in den Vereinten Nationen wichtig gewesen wäre, nämlich den Druck auf die israelische Regierung zu erhalten, damit es wieder zu Friedensverhandlungen kommt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Bundeskanzlerin schiebt diese Option beiseite. Sie erschweren die Einigung bei den Konsultationen mit den europäischen Außenministern am Wochenende, weil Deutschland in dieser Frage nicht richtig gehandelt hat. Das ist das Komplettversagen. Herr Bundesaußenminister, Sie haben eben in Ihrer Rede auf Afghanistan Bezug genommen. Sie wissen, dass die Sozialdemokratische Partei der Politik, die seinerzeit in London kreiert worden ist, bisher gefolgt ist. Bestandteil dieser Politik war aber auch, dass Sie gesagt haben, bis 2015 würden die Kampftruppen aus Afghanistan zurückgezogen, und wir würden im nächsten Jahr damit beginnen. In Ihrer Rede heute hörte sich das anders an.

Sie gefährden den innenpolitischen Konsens, wenn Sie das nicht einhalten, was Sie vor einigen Monaten im Deutschen Bundestag gesagt haben. Daran werden wir Sie messen.

Ich finde, das Komplettversagen der Bundesregierung muss benannt werden. Wir haben viele verantwortliche Minister, die der deutschen Außenpolitik in den vergangenen Monaten Schaden zugefügt haben. Ein Beispiel ist Herr Niebel. Ich empfand es als einen Skandal, als er in der Zeit auf die Frage, ob die Lieferung von Panzern an Saudi Arabien mit der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung übereinstimme, geantwortet hat: "Die Stabilisierung einer Region trägt durchaus dazu bei, die Menschenrechte zu wahren " - Von welchen Menschenrechten in Saudi Arabien reden Sie eigentlich? Was sollen denn dort Panzer positiv bewirken?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das ist der eigentliche Skandal. Ich hätte mir von der Bundeskanzlerin deutlichere Worte dazu gewünscht. Das betrifft auch die Begründung für die Lieferung, die nachher wie ein Kartenhaus zusammengefallen ist. Sie haben gesagt, die israelische Regierung habe Sie ermutigt, die Panzer nach Saudi Arabien zu liefern.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt gar nicht!)

Weil einige mutige Kollegen aus Ihren Reihen nachgefragt haben, hat sich herausgestellt, dass das gar nicht stimmt. Das erinnert an eine Situation, die wir schon einmal erlebt haben. Man beruft sich auf Israel zur Rechtfertigung einer politischen Handlung. Es gab schon einmal eine ähnliche Begebenheit bei der CDU/CSU, nämlich als es um jüdische Vermächtnisse gegangen ist. Es ist ein Skandal, dass Argumente angeführt werden, die in der Realität keine Grundlage haben. Das zeigt das Komplettversagen der gesamten Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Herr Bundesaußenminister, ich hätte mir unabhängig von der Libyen-Entscheidung gewünscht, dass Sie deutlich gemacht hätten, wie die Haltung der Bundesregierung in den Vereinten Nationen zu der Schutzverantwortung, der Responsibility to Protect, ist. Sie sind im Sicherheitsrat, und der Sicherheitsrat wird die Rolle der Schutzverantwortung im Rahmen des Völkerrechts ausgestalten müssen. Nach der Libyen-Entscheidung stellt sich insbesondere die Frage, welche Instrumente man den Vereinten Nationen an die Hand gibt, um dieser Schutzverantwortung gerecht zu werden. Die Delegation an andere Institutionen ist offensichtlich falsch. Deshalb müssen wir eine Diskussion anstoßen - das ist insbesondere Ihre Aufgabe -, wie mit der Schutzverantwortung umgegangen wird und welchen Beitrag deutsche Außenpolitik in der Zukunft dazu leisten will. Diesen Grundsatzfragen widmen Sie sich überhaupt nicht. Ich hätte mir gewünscht, dass das heute in Ihrer Rede eine Rolle gespielt hätte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss möchte ich Ihnen sagen: Ich schätze Ihren Versuch in den letzten Monaten, die Lage auf dem Balkan zu beruhigen und die Spannungen durch Kooperation, durch Gespräche und das Zusammenführen der Kontrahenten zu entschärfen. Das reicht aber nicht, insbesondere dann nicht, wenn an der Grenze zum ehemaligen Jugoslawien ein Mitgliedstaat der Europäischen Union zündelt und den Chauvinismus in dieser Region wieder aufleben lässt. Es gehört Mut dazu, dem entgegenzutreten.

Das weiß ich. Aber, Herr Bundesaußenminister, ich verlange von Ihnen, den Mut aufzubringen, mit der ungarischen Regierung darüber zu reden, welche Bedeutung sie der Minderheitenpolitik im Rahmen der Europäischen Union beimisst. Das gilt auch für die Medienpolitik. Das anzusprechen, gehört zu einer mutigen deutschen Außenpolitik. Ich finde, die Bundeskanzlerin hätte sich dazu äußern müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die einzige Kontinuität besteht in den Widersprüchen der von Ihnen betriebenen deutschen Außenpolitik. Matthias Naß von der Zeit hat von seinen Reisen in die verschiedenen Hauptstädte im Juli das Resümee mitgebracht: "Ratlos stehen die Freunde vor der neuen deutschen Unberechenbarkeit."

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege.

Dr. Rolf Mützenich (SPD): Herr Bundesaußenminister, es ist nicht der Kompass, der Ihnen fehlt; denn der Kompass ist lediglich ein Instrument. Was Ihnen fehlt, sind Einsichten, Ernsthaftigkeit und Mut. Das ist bedauerlich, aber wohl nicht mehr zu ändern.

Vielen Dank.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 07.09.2011
Thema: 
Plenarrede zur Haushaltsdebatte