Verlängerung des UNIFIL-Mandats

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Herr Verteidigungsminister, Sie haben in den letzten Tagen und Wochen notwendige sicherheitspolitische Debatten angestoßen. Aber Sie waren manchmal, glaube ich, relativ voreilig oder sind über das Ziel hinausgeschossen. Ich möchte Sie zitieren, als Sie in Washington über die Auslandseinsätze gesprochen haben: "Was heute eine Ausnahmesituation ist, muss zur Selbstverständlichkeit werden."

Herr Verteidigungsminister, ich sage Ihnen für die SPD-Fraktion: Auslandseinsätze sind für uns keine Selbstverständlichkeit. Sie stellen eine Ausnahme Momenten dar, in denen die Sicherheit nicht anders hergestellt werden kann und Diplomatie und Prävention versagt haben. Das ist die Schlussfolgerung, die wir Sozialdemokraten in der Regierung in den letzten Jahren verantwortungsvoll mitgetragen haben. Das leitet sich auch aus der Charta der Vereinten Nationen ab.

(Beifall bei der SPD)

Ich halte Ihre Auffassung für fatal. Die Außenpolitik Deutschlands wird nicht dadurch normaler, dass man sich auf das Militärische bezieht, im Gegenteil. Ich glaube, die Schlussfolgerungen aus der historischen Verantwortung Deutschlands müssen andere sein. Ein Verteidigungsminister, der sagt, dass es sich bei Auslandseinsätzen nicht um eine Ausnahmesituation, sondern um eine Selbstverständlichkeit handele, muss natürlich sicherstellen, dass die Bundeswehr für alle Auslandseinsätze ausreichend gerüstet ist und insbesondere für eine entsprechende psychologische Begleitung der Soldatinnen und Soldaten, die wir in Auslandseinsätze schicken, sorgen.

Ich sage Ihnen als Abgeordneter - ich glaube, ich spreche hier für das gesamte Haus -: Auslandseinsätze sind eine Gewissensentscheidung. Sie können für den einzelnen Abgeordneten nicht zu einer Selbstverständlichkeit werden. Das wird nach meinem Dafürhalten zumindest für meine Fraktion auch in Zukunft so sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei der damaligen Abstimmung über den UNIFILEinsatz haben wir uns gefragt: Können wir diesen Einsatz verantworten? Meine Fraktion ist damals mehrheitlich zu der Schlussfolgerung gekommen - im Gegensatz zum Kollegen Westerwelle, der Oppositionsführer war -, UNIFIL zu unterstützen, weil es sich hier um verantwortungsvolle Politik im Nahen Osten handelt. Die SPD-Bundestagsfraktion steht mehrheitlich weiterhin zu diesem Einsatz. Herr Kollege Westerwelle, Sie waren damals gegen diesen Einsatz.

(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Nein!)

Ich kann mich noch gut an die Debatte von vor drei Jahren erinnern. Ich glaube, es war Ihrem innenpolitischen Tunnelblick gegenüber der damaligen Regierung geschuldet, dass Sie gesagt haben: Wir schicken im Rahmen dieses Mandates keine deutschen Soldaten. - Ich habe das damals für falsch gehalten. Jetzt stehlen Sie sich aus der Verantwortung, die Sie übernommen haben,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

indem Sie plötzlich sagen. Ja, wir machen das, und zwar bis zum 30. Juni 2010. - Aber das ist ein willkürlicher Termin; denn erst im September nächsten Jahres wird der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wieder über die Verlängerung entscheiden. Was Sie machen, weicht von der bewährten Praxis aller Vorgängerregierungen ab. Das ist keine Kontinuität. Sie stehlen sich aufgrund Ihrer früheren Haltung, die jetzt nur noch mit Ihrer damaligen innenpolitischen Blickrichtung nachvollziehbar ist, aus der Verantwortung. Ich zumindest glaube, Sie drücken sich um eine klare Entscheidung. Sie überantworten dem Bundestag nur die Zustimmung zu einem halben Mandat. Das wird der Aufgabe der Bundesregierung und der Aufgabe eines Außenministers, der in der Kontinuität stehen will, nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann mich auch an die Debatte erinnern, als die Bundeskanzlerin hier vor drei Jahren erklärt hat, dass sich die Bundesregierung an UNIFIL beteiligen wolle, weil es dabei um die Sicherheit Israels gehe. Alleine mit der Begründung, UNIFIL diene der Sicherung israelischer Interessen im Nahen Osten, hat sich damals die Bundeskanzlerin bereit erklärt, an UNIFIL teilzunehmen. Ich frage die Bundesregierung: Erlischt diese Verpflichtung am 30. Juni 2010? Warum erlischt sie nicht am 2. Juli 2010? Können wir dieses Datum wirklich so setzen, wie Sie das gemacht haben? Ich glaube, dabei ist Willkür im Spiel.

Mich interessiert, ob Sie vor wenigen Tagen mit den israelischen Kolleginnen und Kollegen möglicherweise über diese Frage gesprochen haben. Wir zumindest hören aus Israel, dass es dort Fragen und Verunsicherung gibt, und zwar zu Recht. Israel hat erkannt, dass das UNIFIL-Mandat ein gutes Mandat gewesen ist, dass es Israel in dieser Situation geholfen hat, den brüchigen Waffenstillstand zwischen dem Libanon und Israel zu sichern.

Auch gegenüber dem Libanon war das ein ganz wichtiges Mandat gewesen. Sie übergehen das und werden insbesondere der Verpflichtung, die die Bundeskanzlerin noch vor kurzem im US-amerikanischen Kongress ausgesprochen hat, mit dem hier vorgelegten Antrag nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Außenminister, Sie sind mit den Worten angetreten: Ich arbeite im Sinne der europäischen Partner. Wir haben das immer unterstützt; das habe ich hier auch vor 14 Tagen erklärt. Aber was sagen Sie denn eigentlich in Italien, Spanien, Frankreich und Belgien? Haben Sie gesagt, dass unser Einsatz am 30. Juni 2010 endet? Haben Sie in Paris erklärt, dass dann die Franzosen mehr Soldaten schicken müssen? Diese entscheidenden Fragen müssen Sie im Zusammenhang mit einer glaubwürdigen Außenpolitik gegenüber den europäischen Partnern klären. Das haben Sie heute nach meinem Dafürhalten nicht getan.

Ich will Ihnen eines sagen: Für uns - deswegen habe ich das an den Anfang gestellt - müssen Auslandseinsätze immer in eine politische Strategie eingebettet sein. Wir haben damals dem UNIFIL-Mandat zugestimmt, weil wir es als Chance gegenüber dem Staate Libanon gesehen haben, ihm Integrität und Souveränität zu signalisieren. Israel hat die Seeblockade aufgehoben. Es hat damals ganz wichtige Entwicklungen gegeben, zum Beispiel als der damalige Außenminister Steinmeier die Tür nach Syrien etwas weiter aufgestoßen hat. Das hat geholfen, dass es Botschafteraustausche zwischen dem Libanon und Syrien gegeben hat. Ich finde, das sind hervorragende Fortschritte, die wir jetzt nicht einfach aufs Spiel setzen dürfen, insbesondere wenn es um UNIFIL geht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich erinnere an Folgendes: Auch die arabischen Staaten und Regierungen haben erkannt, dass Syrien ein ganz wichtiger Partner ist. Der saudi-arabische König hat alles daran gesetzt, mit dem syrischen Präsidenten Assad zu einem zumindest pfleglicheren Umgang zu kommen, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Gerade gegenüber dem Libanon wäre es wichtig, dass sich Deutschland klar für ein Mandat ausspricht, um diese Politik im Nahen Osten zu unterstützen. Ich habe gesagt: Insbesondere Israel wird eine Menge Fragen stellen, wenn ihm klar wird, dass dieses Mandat für uns am 30. Juni 2010 endet. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Die Bundesregierung hat mit diesem Antrag schlecht gearbeitet. Ihr Antrag wird den außenpolitischen Herausforderungen nur unvollkommen gerecht. Sie ziehen auch nicht die richtigen Schlussfolgerungen. In Ihrem eigenen Antrag steht, dass UNIFIL bisher "ein wesentlicher Stabilisierungsfaktor" für das gesamte Umfeld, aber gerade auch für den Libanon gewesen ist. Deswegen wäre es besser gewesen, Sie hätten gesagt: Wir müssen das UNIFILMandat weiter wahrnehmen, auch aus Respekt gegenüber dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Zudem hätten Sie deutlich sagen müssen: Wir unterstützen die libanesische Regierung. Das ist eine neue Regierung. Es ist ein Wagnis, das in diesem Land eingegangen worden ist. Ich glaube, wir sind das dem Libanon schuldig, der damals ein Failing State gewesen ist. Die Libanesen versuchen, sich wieder aus diesem Sumpf zu befreien und alles zu offerieren, dass Deutschland in dieser sehr schwierigen Situation hilft. Deswegen wäre ein klares und deutlicheres Signal besser als eine willkürliche Befristung gewesen.

Zum anderen - das ist meine Bitte an Sie -: Wenn Sie in der Kontinuität der deutschen Außenpolitik aller Vorgängerregierungen stehen, dann kümmern Sie sich stärker um Syrien! Versuchen Sie, Syrien stärker am Friedensprozess im Nahen Osten zu beteiligen, Syrien stärker zu integrieren. Da muss man sich vielleicht gegen die Kanzlerin durchsetzen. Das hat der frühere Außenminister Frank-Walter Steinmeier getan. Ich glaube, es wäre gut, insbesondere die türkische Regierung in dieser schwierigen Situation, in der sie sich sowohl gegenüber Israel als auch gegenüber dem Iran und dem gesamten Umfeld befindet, durch wichtige Beiträge zu unterstützen. UNIFIL wäre das richtige außenpolitische Instrument gewesen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen zum Mandat für UNIFIL. Der Sicherheitsrat hat einen klaren Beschluss gefasst. Ich bitte Sie, Ihren Antrag nachzubessern. Versuchen Sie das in den Beratungen im Auswärtigen Ausschuss und im Verteidigungsausschuss. Ich sehe konstruktiven Gesprächen mit meiner Fraktion entgegen.

Vielen Dank.
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 26.11.2009
Thema: 
Erste Beratungen zur Fortsetzung des Bundeswehreinsatz im Libanon