Zur Lage in Iran nach den Präsidentschaftswahlen
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir heute in den Iran schauen, dann machen wir uns Sorgen um die Menschen und deren Zukunft; denn zu oft waren politische Konflikte im Iran auch blutige Konflikte. Deswegen bin ich dankbar, dass die Bundesregierung frühzeitig reagiert hat und die Einhaltung der Menschenrechte, die Gewährung der Demonstrationsfreiheit und die Achtung des Rechtes auf freie Medienberichterstattung eingefordert hat. Das war notwendig und rechtzeitig. Ich glaube, dass andere europäische Regierungen gut daran tun, ebenso zu handeln. Mit Blick auf die jüngste Vergangenheit müssen wir wahrnehmen: Das, was im Iran passiert, ist das Spiegelbild einer iranischen Gesellschaft, die wir in den letzten Jahren leider zu wenig wahrgenommen haben. In den Medien und bei uns, in der Politik, haben immer Ahmadinedschad und religiöse Eiferer eine Rolle gespielt, nicht aber der Respekt gegenüber den Iranerinnen und Iranern, die mit Mut - teilweise der Verzweiflung - versucht haben, für ihre individuellen Rechte und insbesondere für dieses große Land Iran einzutreten. Die Kundgebungen und Demonstrationen zum jetzigen Zeitpunkt führen uns die Bedeutung dieser Menschen vor Augen. Wir sollten ihren Einsatz weiterhin mit großem Respekt verfolgen und unterstützen.
Ich möchte an die Adresse des Kollegen Paech sagen: Ich finde es zweifelhaft, dass Sie mit einer Art Absolution Ahmadinedschad den Wahlsieg zusprechen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie gehen damit sogar weiter als der religiöse Führer, der sozusagen nach einem Fingerzeig Gottes immerhin gesagt hat: Lassen wir doch irdische Institutionen darüber befinden, ob bei der Wahl das eine oder andere richtig gelaufen ist. Ich glaube, dass jede einzelne Stimme im Iran gehört werden muss. Wir müssen diese Wahlen und die Menschen schützen. Das tun wir am besten mit dieser Debatte. Ich weiß, dass wir nicht unmittelbar auf die Situation im Iran einwirken können und wollen. Deswegen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Menschen im Iran mit Mut und Selbstbewusstsein tagtäglich versuchen, auf die Situation einzuwirken. Es ist richtig, diese Bemühungen von hier aus zu unterstützen.
Die Kundgebungen, die zurzeit in Teheran, Isfahan und an anderer Stelle stattfinden, sind nach meinem Dafürhalten eine Reaktion auf die bemerkenswerten Reden und Taten des amerikanischen Präsidenten. Er hat nicht nur den islamischen Gesellschaften seine Hand ausgestreckt, indem er sagte, dass er ihnen mit Respekt begegne, sondern auch dem Iran angeboten, direkt über das Atomprogramm zu sprechen. Zugleich hat er die gemeinsamen Interessen mit dem Iran betont: im Hinblick auf Afghanistan, die Stabilisierung im Irak und die Situation im Kaukasus. All das sind nach meinem Dafürhalten Anhaltspunkte für eine realistische Politik. Ich bitte die Institutionen im Iran, die so vielfältig sind und nicht nur den Präsidenten repräsentieren, etwa das Parlament, den Schlichterrat oder den nationalen Sicherheitsrat, die ausgestreckte Hand anzunehmen. Zum anderen sollten wir Präsident Obama von Europa aus unterstützen.
Mit Blick auf den Besuch der Bundeskanzlerin bei Präsident Obama in der nächsten Woche richte ich deshalb den Appell an die Bundesregierung, diese Nahostpolitik zu unterstützen, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten, und die Realitäten so anzunehmen, wie sie sich darstellen.
(Beifall bei der SPD und der FDP)
Natürlich ist es auch ein Machtkampf innerhalb des Systems - darüber würde ich an dieser Stelle ebenfalls gern sprechen -: da sind die Menschen, die um ihre Stimme kämpfen, und da gibt es wahrscheinlich auch eine Auseinandersetzung zwischen religiösen Gruppen und einer sozusagen neuen politischen Elite, die im achtjährigen iranisch-irakischen Krieg großgeworden ist, die möglicherweise um wirtschaftliche Pfründe kämpft. Das sind kritische Momente, die wir mit aller Sensibilität beachten müssen. Dennoch geht es heute darum, dass aus den Wahlen das wird, was die Menschen wollen.
Zu oft machen solche Regimes - davor warne ich auch in Richtung Teheran - Minderheiten, ethnische Minderheiten oder religiöse Minderheiten, zum Sündenbock, möglicherweise auch zum Sündenbock für Aufruhr. Die Frage der Verfolgung zum Beispiel der Bahai- Gemeinde und anderer ethnischer Minderheiten in diesem Vielvölkerstaat ist so wichtig, dass wir auch von dieser Stelle aus sagen müssen: Sie sind in diesen Tagen, in diesen Minuten genauso bedroht. Wir werden dies aufmerksam beobachten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.