Debatte zur aktuellen Lage im Nahen Osten

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es gibt keinen Zweifel: Deutschland trägt weiterhin Verantwortung für Israel. Ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn Deutsche das Wort "Israel" in den Mund nehmen, es einen anderen Klang hat, als wenn dies andere tun; das ist gar keine Frage. Von dieser Schuld, von dieser Verantwortung werden wir uns nie wieder freimachen können.

Ich habe daher immer mit großer Skepsis die Diskussionen verfolgt, die wir nach der deutschen Einheit hatten, nämlich ob es eine normale Außenpolitik geben kann. Ich glaube, eine normale Außenpolitik, insbesondere gegenüber dieser Region, gegenüber Israel, aber auch unter Berücksichtigung dessen, was dort passiert ist, wird es niemals geben können. Auf der anderen Seite sage ich gleichzeitig: Man wird diese Schuld selbst durch gute Reden nicht zur Seite drängen, auch nicht dann, wenn man bestimmte Positionen übernimmt und Partei ergreift. Selbst in diesem Zusammenhang wird man Schuld nicht abtragen können. Das kann man nur, indem man Verantwortung übernimmt und konkrete politische Wege aufzeigt, um die Existenz Israels in der Region sicher zu machen. Ich glaube, da haben wir als Deutsche und da hat die deutsche Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten eine Menge bewegt. Es kommt darauf an, dass wir bei den Handlungsspielräumen und Handlungsmöglichkeiten, die wir haben, immer wieder das historische Verständnis unserer Schuld in Erinnerung rufen. Ich glaube, Kollege Gysi, es mangelt nicht an politischen Plänen, es mangelt nicht an politischer Schrittfolge, sondern es mangelt in dieser Region an politischem Willen, auch an dem Willen zum Kompromiss. Das ist genau das, was wir brauchen, und nicht neue Pläne.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ein zweiter Aspekt, den ich gerne ansprechen möchte, ist die Frage: Hilft es uns wirklich weiter, Schwarz-Weiß-Bilder zu malen? Hilft es uns wirklich weiter, über Schuld zu diskutieren? Oder müssen wir nicht einfach feststellen: "Diese Situation ist nicht schwarz-weiß, sondern leider grau. Sie hat ganz unterschiedliche Facetten, Verantwortungen und Akteure?"  Deswegen hilft diese -  das sage ich ganz bewusst - Ideologisierung der Außenpolitik nicht weiter. Hier sollten wir gerade in Deutschland aufpassen.

(Beifall bei der SPD)

Wir stehen offensichtlich vor einer Zeitenwende, in der wir keine Ideologisierung der Außenpolitik von der anderen Seite des Atlantiks mehr haben. Die designierte Außenministerin hat gestern im Senat ausgeführt, dass sie keine ideologische Außenpolitik mehr betreiben will, sondern der Diplomatie, der Politik eine Chance geben will. Deswegen bitte ich darum, die Schwarz-Weiß-Malerei zu unterlassen und zu überlegen, was wir mit diplomatischen Mitteln und einem neuen Realismus erreichen können.

Ich richte mich deshalb ganz konkret an den Bundesaußenminister: Herzlichen Dank, dass Sie vor einigen Tagen für die humanitäre Waffenruhe eingetreten sind,

(Beifall bei der SPD)

dass Sie eine Reise in diese Region gemacht, dort konkrete Angebote und Vorschläge für das Grenzmanagement unterbreitet haben und jetzt wieder dorthin reisen wollen.

Der dritte Aspekt, den ich ansprechen möchte, ist folgender: Man kann immer wieder über die europäische Außenpolitik schimpfen. Das tun wir auch; das ist keine Frage. Aber sollten wir nicht vielleicht lieber darüber diskutieren, wer zurzeit nicht in der Region ist, wer keine Verantwortung übernimmt?

(Beifall des Abg. Detlef Dzembritzki (SPD))

Ich bin in den 70er-Jahren mit Fernsehbildern groß geworden, auf denen, als Krieg im Nahen Osten herrschte, der amerikanische Präsident in den Hauptstädten vor Ort die Gangway der Flugzeuge rauf- und runtergelaufen ist und die ganze Zeit zu vermitteln versucht hat. Das haben wir in den letzten sieben Jahren nicht mehr erlebt. Aber das brauchen wir wieder. Deswegen ist mein Appell an die neue amerikanische Regierung, sich vom ersten Tag an diesem Kernkonflikt im Nahen Osten zu widmen und Lösungsvorschläge zu machen. Man kann vielleicht nicht in allen Dingen ehrlicher Makler sein, weil man auch Verantwortung für Israel übernimmt, aber nur eine neue amerikanische Administration unter Präsident Obama und Außenministerin Clinton wird ausloten, was hier möglich ist. Ich glaube, das Motto "Entspannungspolitik in Zeiten neuer Spannungen" ist für diese Region genau richtig. Wir brauchen Entspannungspolitik, wir brauchen Diplomatie, wir brauchen Kraftanstrengungen, um die vorliegenden Pläne umzusetzen. Ich glaube, wenn die deutsche Bundesregierung das unterstützt, tun wir eine Menge dafür.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Der vierte Aspekt: Langfristig werden wir die Hamas, die Hisbollah und den Iran in dieser Region nur dann politisch schwächen können, wenn der palästinensische Staat Wirklichkeit wird. Das ist, glaube ich, das richtige politische Mittel, um die Kräfte, die zu Gewalt bereit und auch fähig sind, zu schwächen. Wir brauchen einen lebensfähigen palästinensischen Staat. Ich glaube, es war ein großer Fehler, dass wir nicht auf den Vorschlag, vermittelt insbesondere von Saudi-Arabien und der Arabischen Liga, eingegangen sind. Es war ein historischer Vorschlag, als sich alle arabischen Staaten bereit erklärt haben, mit Israel   in den Grenzen von 1967   Frieden zu schließen. Das wird für Israel schwer sein; gar keine Frage. Vielleicht wird es auch nicht genau diese Grenzziehung sein. Dies ist mir und auch den moderaten arabischen Staaten bewusst. Aber dass über diesen Vorschlag der arabischen Staaten zu wenig gesprochen und dass insbesondere zu wenig gehandelt worden ist, ist die große Nachlässigkeit insbesondere der USA, vielleicht auch Israels. Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Mut aufgebracht worden wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Zum Schluss  - wenn ich dies noch sagen darf -: Ich weiß, dass die Hamas ein gewaltbereiter Akteur ist. Leider herrscht in dieser Region immer Gewalt; nicht nur die Hamas hat Gewalt in diese Region getragen. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Hamas bei den letzten Wahlen eine politische Mehrheit gehabt hat. Auch mit diesem Faktum müssen wir umgehen.

Ich glaube, wir täten gut daran, zu versuchen, mit den konkreten Schritten, die Sie vorgeschlagen haben, Herr Steinmeier, ein neues Verhältnis zu unterschiedlichen Akteuren aufzubauen. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall eine gute Reise, und ich hoffe, Sie haben Erfolg.

Ganz herzlichen Dank.
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 14. 01. 2009
Thema: 
Zur Situation im Gazastreifen