The EU under German Presidency: Middle East Policy
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
herzlichen Dank für die Einladung zu dieser beeindruckenden Konferenz. Mehr noch: Für mich ist es eine große Ehre hier auch sprechen zu dürfen. Die deutsche Ratspräsidentschaft steht derzeit im Mittelpunkt unserer politischen Arbeit. Deshalb würde ich gerne aus meiner Sicht etwas zu den Aufgaben im Nahen und Mittleren Osten sagen.
Deutschland ist zu einem wichtigen Akteur in dieser Region geworden. Der deutsche Außenminister hat während und nach dem Krieg zwischen Israel und der Hisbollah die Region sechsmal besucht. Er hat zugehört, Ideen vorgetragen und - wenn gewünscht - Botschaften transportiert. Das heißt: wir engagieren uns hier und wollen dies auch in Zukunft tun. Vielleicht auch stärker, als vielen politischen Entscheidungsträgern in Berlin lieb sein wird. Zugleich ist Deutschland erstmals mit einem militärischen Kontingent in der Region engagiert.
Was bedeutet die deutsche EU-Ratspräsidentschaft für die europäische Nahostpolitik? Folgende Punkte scheinen mir wichtig:
1. Das Existenzrecht Israels in anerkannten Grenzen steht nicht zur Debatte. Jedem, der dies anders sieht, werden wir widersprechen. Mehr noch: Wir engagieren uns für die Sicherheit Israels und seiner Menschen. Sicherheit ist aber kein einseitiger Zustand. Wir in Europa haben lernen müssen, dass nur gemeinsame Sicherheit langfristig ein belastbares System schafft. Militärische Stärke ist eine Seite; das Errichten friedlicher Strukturen ist die andere Seite.
2. Daraus schließe ich: Voraussetzung für die dauerhafte Sicherung der Existenz Israels und seiner Menschen ist auch die Beachtung palästinensischer Interessen. Die Schaffung eines palästinensischen Staates als Nachbar Israels kann nur in gemeinsamer Sicherheit gelingen. Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert hat am 27. November in seiner Rede seine Bereitschaft zu umfassenden Zugeständnissen an die palästinensische Seite unterstrichen. Jetzt müssen weitere Schritte folgen. Wir wollen dies unterstützen.
3. Deshalb sollten wir dringend unsere Haltung zur finanziellen Unterstützung Palästinas überdenken. Auch wir sind für die derzeitigen Zustände in den palästinensischen Gebieten verantwortlich ? allerdings: auch die palästinensischen Gruppen müssen kompromissbereit sein. Eine Regierung der nationalen Einheit könnte sowohl die Außenbeziehungen verändern als auch die innenpolitischen Verhältnisse. Wir könnten unterscheiden zwischen einer Regierung, die auf der Grundlage der bestehenden Verträge arbeitet und politischen Gruppierungen, die ihr Verhältnis zu Israel friedlich, beharrlich und behutsam verändern. Ich finde, dass der Verzicht auf Gewalt grundlegend ist; danach können sich die Verhältnisse entwickeln ? im Innern und im Äußeren.
4. Deshalb wollen wir das Nahostquartett wieder beleben. Entscheidend dabei ist, dass die USA wieder eine konstruktive Rolle im nahöstlichen Friedensprozess spielen. Der Baker-Bericht setzt hier hoffnungsvolle Akzente, wenn er auch meiner Meinung nach nicht überschätzt werden sollte. Es stimmt jedoch hoffnungsvoll, dass man in Washington offenbar die Konzepte und Instrumente des ?alten Europa? wieder zu entdecken beginnt. Mit der Wiederbelebung des Quartetts sind auch Überlegungen verbunden, die auf eine Vergrößerung des Teilnehmerkreises zielen. Zu nennen wären hier vor allem das ständige Sicherheitsratsmitglied China und die Institution der Arabischen Liga.
5. Bei der Gestaltung der deutschen Nahpostpolitik ist bereits heute eine gewisse Arbeitsteilung zu beobachten. Außenminister Steinmeier bietet seine Dienste als Botschafter und Mittler in der Region an, während Bundeskanzlerin Merkel sich auf den Dialog mit den USA und Russland und der Wiederbelebung des Nahost-Quartetts konzentriert. Aber völlig klar ist auch, dass selbst die mächtigen und großen Vereinigten Staaten von Amerika allein nicht ausreichen, um als dritte Partei einen Frieden durchsetzen zu können. Voraussetzung dafür bleibt die Bereitschaft der Konfliktparteien vor Ort.
6. Sollte es der EU unter deutscher Präsidentschaft nicht gelingen, im Nahen Osten einen neuen politischen Prozess auf den Weg zu bringen, ist der erneute Ausbruch von Gewalt wahrscheinlich. Ob ein solcher Krieg sich lokal begrenzen ließe, ist fraglich. Auch deshalb engagieren wir uns. Aus meiner Sicht wäre es allerdings falsch, nur in großen Plänen zu denken. Wir sollten in den kommenden Monaten auch kleine Schritte tun. Das betrifft die Grenzsicherung, das Zusammenführen von Akteuren, der Aufbau ziviler Strukturen in den Autonomiegebieten. Kurzum: der schrittweise Aufbau von Vertrauen.
7. Zu Syrien: Damaskus kann seit dem Abzug der eigenen Streitkräfte die Verhältnisse im Libanon nicht mehr aktiv nach seinen Wünschen gestalten. Es kann aber über seine Verbündeten im Libanon die Lage destabilisieren. Ähnliches gilt für seine Fähigkeit, auf die palästinensischen Verhältnisse einzuwirken. Es spricht einiges dafür, dass eine Wiederaufnahme der Verhandlungen über den Golan und weitere gemeinsame Interessen Syrien zu konstruktivem Verhalten bewegen dürfte. Meine Bitte: Nehmen Sie Präsident Assad beim Wort. Prüfen Sie die Ernsthaftigkeit seines Gesprächsangebots.
8. Nur ein politischer Prozess, der für alle Beteiligten akzeptabel ist, wird das Risiko gewaltsamer Konfrontation einschränken. Ein solcher Prozess muss - und darf - nicht alle Probleme aufgreifen, die es im Nahen und Mittleren Osten gibt. Im Kern geht es um Israel, die Palästinensische Autorität, Libanon und Syrien. Die Zukunft des Iraks und der Atomstreit mit Iran gehören nicht auf die Tagesordnung eines solchen nahöstlichen Prozesses. Sie müssen in eigenen regionalen oder internationalen Formaten bearbeitet werden. Das Nahost-Quartett (die USA, die EU, die Vereinten Nationen und Russland) wird dabei eine wichtige Rolle spielen müssen. Denn: Die Sicherheit Israels, die Staatlichkeit Palästinas, die Souveränität des Libanons und die territoriale Integrität Syriens müssen sich nicht widersprechen.
9. Fortschritte bei der Lösung des Nahostkonfliktes würden meines Erachtens auch entscheidend zur Herstellung regionaler Stabilität, zu einer wirksamen Bekämpfung des Terrorismus und zur effektiven Kontrolle und Abrüstung der Massenvernichtungsmittel beitragen.
10. Langfristig wird Israel trotz seiner militärischen Stärke nur dann Sicherheit erlangen, wenn es zu einer Verständigung mit seinen Nachbarn kommt. Dies wird umso leichter und umso weit reichender möglich sein, wenn diese Nachbarn ebenfalls demokratische, rechtstaatliche und menschenrechtliche Werte vertreten.
11. Die deutschen und europäischen Lehren aus der Zeit des Kalten Kriegs lauten, dass man über ideologische Grenzen hinweg reden kann und muss, dass die Isolation von Gegenspielern keine Konflikte löst und dass Feindschaft in regionalen Sicherheitsstrukturen überwindbar ist. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass dies auch ein Weg für den Nahen Osten sein kann.
Zu guter Letzt möchte ich zugleich vor einer zu großen Erwartungshaltung an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft warnen. Deutschland kann sicherlich eine aktive Rolle spielen, Initiativen starten und mit den Akteuren sprechen. Eine Lösung des Nahost-Konflikts, der einer der ältesten und kompliziertesten Konflikte der Welt ist, wird jedoch auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nicht leisten können. Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass tragfähige Lösungen letztendlich die Konfliktparteien vor Ort aushandeln müssen. Und dies in dem Bewusstsein, dass sie keine Alternative zum Friedensprozess haben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf eine interessante und fruchtbare Diskussion.