Für freie und demokratische Parlamentswahlen im Iran
Dr. Rolf Mützenich (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir knüpfen mit dem heute vorliegenden Antrag und dieser Debatte an einen Antrag an, den wir bereits in der letzten Legislaturperiode anlässlich von Wahlen im Iran vorgelegt hatten. Am 12. Februar 2004 diskutierten wir an gleicher Stelle über einen ähnlichen Anlass, nämlich darüber, dass nicht alle Kandidatinnen und Kandidaten, die sich bei der Wahl im Iran aufstellen lassen wollten, zugelassen wurden. Ich glaube, es ist gut, dass wir heute wieder einen Antrag zu diesem Thema vorlegen. Ich würde mich freuen, wenn alle im Deutschen Bundestag diesem Antrag zustimmen würden.
Unsere Initiative nimmt etwas auf - deswegen ist sie keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Iran -, worüber in dem Lande selbst in den letzten Wochen immer wieder heftig diskutiert worden ist. Das zeigt, dass der Iran im Gegensatz zu manch anderen Ländern in dieser Region pluralistischer und kritischer ist, als es der eine oder andere bei uns manchmal darstellt. Ahmadinedschad prägt eben nicht allein das Bild des Iran, sondern es prägen viele andere kluge Menschen,
(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])
die versuchen, die Gesellschaft aufzubauen und die Politik zu gestalten.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber Israel wollen sie platt machen!)
Herr Kollege, der Zuruf disqualifiziert Sie; denn Sie wissen, dass dieses Parlament insgesamt die Vorwürfe und das Leugnen des Holocaust durch Ahmadinedschad kritisiert und zurückgewiesen hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deswegen fällt diese Bemerkung auf Sie zurück.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber wer will denn etwas anderes im Iran?)
- Sie können sich gerne zu einer Zwischenfrage melden, sollten aber nicht ständig Zurufe machen. In der Debatte zuvor haben Sie sich mehrmals darüber beschwert, dass ständig dazwischengerufen worden ist. Also halten Sie sich bitte an Ihre eigenen Maßstäbe!
Seit gestern ist in die Debatte im Iran etwas Bewegung gekommen: Von den 3 000 Kandidatinnen und Kandidaten, die in der ersten Runde vom Innenministerium abgelehnt worden sind, sind gestern immerhin 1 000 wieder zugelassen worden. Das zeugt zwar von Bewegung, aber das reicht nicht.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn der Iran tatsächlich so stark ist, wie er immer behauptet, muss er in seinem Land Vielfalt, Partizipation und Offenheit bei der Wahl zulassen. Das sollte die Botschaft Teherans sein.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Mützenich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Goldmann?
Dr. Rolf Mützenich (SPD): Bitte schön.
Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Respektierter Kollege, ich hatte am Montag Gelegenheit, mit den Vertretern der jüdischen Gemeinden in Deutschland zu sprechen. Ich würde denen gerne heute Abend mitteilen, welcher iranische Spitzenpolitiker der Feststellung, dass der Iran Israel im Grunde genommen platt machen will, widersprochen hat. Welcher iranische Politiker hat erklärt, dass es ein Existenzrecht Israels gibt? Welcher iranische Politiker oder welche iranische Politikerin - das wäre noch schöner - hat erklärt, dass die Raketenangriffe gegen Israel zu verurteilen sind?
Dr. Rolf Mützenich (SPD): Herr Kollege Goldmann, wenn Sie mit mir im Iran gewesen wären, als dort die Holocaustkonferenz, die Kommunalwahlen und die Nachwahlen zum iranischen Nationalparlament stattgefunden haben, hätten Sie erleben können, dass viele wichtige Akteure, gerade aus dem klerikalen Bereich, die Leugnung des Holocaust durch Präsident Ahmadinedschad abgelehnt haben. Sie müssen endlich zur Kenntnis nehmen, dass viele Menschen in diesem Land versuchen, mit den Mitteln, die zugelassen sind, gegen Ahmadinedschad zu protestieren. Währenddessen können wir ruhig in unseren Sesseln sitzen und protestieren. Wir sollten hier nicht wohlfeil sagen: Dieses Land ist nur Ahmadinedschad. Es ist vielfältiger und bunter, als Sie es hier beschrieben haben. Ich glaube, dass das auch diejenigen wissen, die Sie eben angesprochen haben; denn auch in Israel wird sehr offen und kritisch darüber debattiert, wie mit dem Iran umzugehen ist. Auch das sollten wir zur Kenntnis nehmen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Interessant ist insbesondere, dass versucht wird, das politische System des Iran neu aufzustellen. Nach meinem Dafürhalten werden drei politische Gruppen zu den Wahlen antreten: Das ist zum einen der unverbesserliche Flügel um Ahmadinedschad, den Sie eben angesprochen haben. Zum anderen sind es die sogenannten Reformer um Chatami, hinter die allerdings immer mal wieder das eine oder andere Fragezeichen gesetzt werden muss. Daneben sind es die konservativen Kreise um den ehemaligen Atomunterhändler Laridschani und den Teheraner Bürgermeister Ghalibaf. Die entscheidende Frage wird sein, ob das Parlament nach dem 14. März rational und unabhängig handeln wird und will. Wir sollten es unterstützen, indem wir genau das fordern. Wir sollten das Parlament aber auch mit den Mitteln, die wir haben, unterstützen. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass der Iran eben doch etwas komplizierter, aber auch offener ist, als wir manchmal glauben. Wir müssen den Dualismus im Iran zur Kenntnis nehmen. Es ist nicht immer leicht, klar zwischen gut und böse zu unterscheiden. Es gibt den Dualismus von Islam und Republik, der nur schwer aufzulösen sein wird. An diesen Widersprüchen leidet die islamische Republik. Es gibt verschiedene Machtzentren, die versuchen, politische Initiativen auszuhandeln. Selbst wenn sie sich verständigt haben, ist es schwer, auf die einzelnen Machtzentren einzuwirken. Das erleben wir gerade bei der militärischen Nutzung des Atomenergieprogramms. Dem Westen fällt es schwer, in der Politik mit Klerikern umzugehen. Es ist aber genauso schwer, mit Menschen umzugehen, die in dem achtjährigen, verheerenden Krieg zwischen dem Irak und dem Iran, der mehr als 1 Millionen Menschenleben gekostet hat, sozialisiert wurden. Auch das wirkt sich letztlich auf die Politik aus. Wir tun gut daran, diese unterschiedlichen Facetten wahrzunehmen. Wir sollten aber auch die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass Wahlen zur Legitimation genutzt werden, was in einer islamischen Republik, wie sie sich selbst tituliert, keine Selbstverständlichkeit ist.
Ich glaube, wir sollten uns als Parlamentarier insbesondere der Zivilgesellschaft zuwenden. Sie versucht nämlich, gegen Unterdrückung vorzugehen bzw. die Nischen zu finden, die Christiane Hoffmann in ihrem Buch "Hinter den Schleiern Irans" dargestellt hat. Sie hat gezeigt, wie schwierig es für die einzelnen Menschen ist. Man sollte hier eben nicht so wohlfeil über ein ganzes Land urteilen. Das am 14. März dieses Jahres gewählte Parlament wird die soziale Frage aufnehmen müssen. Dieses Parlament wird die innere Zerrissenheit und die Probleme des Landes widerspiegeln. Ich bin froh, dass es zu einer dritten Resolution im Sicherheitsrat gekommen ist und man nicht auf die Strategie von Ahmadinedschad und anderen eingegangen ist, die versucht haben, den Sicherheitsrat zu spalten. Nur ein Land hat sich der Stimme enthalten: Indonesien. Libyen zum Beispiel, das seine eigenen Erfahrungen hat, hat zugestimmt. Im Zusammenhang mit der Bewertung der Atompolitik des Iran ist vordringlich, dass die Staatengemeinschaft zusammenbleibt. Ich glaube, dass die Bundesregierung viel dafür getan hat, insbesondere mit ihrer EU-Initiative. Wir sollten ? auch innerhalb der IAEO ? immer versuchen, diese Staatengemeinschaft zusammenzuhalten und an der einen oder anderen Stelle nicht zu überfordern.
Der andere Punkt ist - ich glaube, das ist richtig -, die Angebote und Gegenleistungen, die wir vorgeschlagen haben, aufrechtzuerhalten, also genau das Gegenteil zu dem zu verfolgen, was Ahmadinedschad jetzt erklärt hat, nämlich nicht mehr mit der Europäischen Union verhandeln zu wollen. Wir sollten die Tür offen lassen, insbesondere für die Kräfte im am 14. März neu gewählten Parlament, die möglicherweise zu diesem Dialog bereit sind. Zumindest sollten wir an dieser Stelle die Chance nutzen und die Hoffnung nicht aufgeben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Ich gebe zu: Der Iran hat es uns in den letzten Wochen nicht leicht gemacht.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Katastrophe!)
Insbesondere der neue Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde gibt Anlass zu großen Bedenken. Es gibt neue Erkenntnisse, und insbesondere die Tatsache, dass dort ein Raketenprogramm entwickelt wird, das nicht nur für Israel, sondern auch für Europa eine besondere Herausforderung darstellt, provoziert natürlich zu den Gegenmaßnahmen, über die wir so kritisch diskutieren. Auch darüber sollten wir mit dem neu gewählten Parlament sprechen.
Ich muss sagen: Der einzige Hoffnungsschimmer, den ich habe, dass sich Vernunft in der Region wieder breitmacht, ist das, was im Golfkooperationsrat vor kurzem angeboten worden ist, nämlich eine nuklearwaffenfreie Zone in der Region einzuführen. Herr Goldmann, Ihr Lachen und Ihre Zwischenrufe regen mich langsam auf. Nehmen Sie doch einfach zur Kenntnis, dass dort Menschen sind, die versuchen, rational auf die Probleme einzugehen und den nuklearwaffenfreien Status in der Region zu sichern.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich finde es unfair, was Sie gerade machen!)
Denn es geht um ihr Leben. Das sollten wir unterstützen, insbesondere vonseiten des Deutschen Bundestags.
Vielen Dank.