Rede zu den KSE-Anträgen (zu Prokoll gegeben)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das KSE-Regime befindet sich in einer tiefen Krise, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin am 14. Juli 2007 die Aussetzung des Vertrags ab dem 12. Dezember 2007 angekündigt hat. Zuvor blieben sowohl die Dritte Überprüfungskonferenz  vom 30. Mai bis 2. Juni 2006 wie eine auf Antrag Russlands einberufene außerordentliche Konferenz aller KSE-Vertragsstaaten vom 12. bis 15. Juni 2007 in Wien ohne Ergebnis.

Mit seiner Drohung, das KSE-Vertragssystem notfalls gänzlich in Frage zu stellen, bringt Wladimir Putin die westlichen Staaten in Zugzwang. Sie müssen nun entscheiden, was ihnen dieser "Eckpfeiler der europäischen Sicherheit" und die vertraglich vereinbarte Rüstungskontrolle insgesamt künftig wert sind. Der russische Vorstoß kam dabei nicht überraschend, sondern kündigte sich schon seit längerem an. Schon seit Jahren kritisiert Russland die westliche KSE-Politik. Dennoch: Rüstungskontrollpolitik darf nicht zum Spielball nationalstaatlicher Interessen gemacht werden.

Worum geht es? Der KSE-Vertrag legt Obergrenzen für die Zahl der Waffensysteme vom Ural bis zum Atlantik fest. Ziel war es zunächst, das Ungleichgewicht konventioneller Streitkräfte der Vertragspartner abzubauen und Überraschungsangriffe unmöglich zu machen. In dem am 19. November 1990 unterzeichneten KSE-Vertrag einigten sich die Staaten des damaligen Warschauer Paktes und der NATO auf Grenzen für Waffenpotenziale wie Kampfpanzer, Artilleriesysteme oder Kampfhubschrauber. Über 60.000 schwere Waffen wurden unter internationaler Aufsicht zerstört.
 
Die veränderte Sicherheitslage nach Ende des Warschauer Pakts und der NATO-Erweiterung führte dann 1999 in Istanbul zu einem "angepassten KSE-Vertrag" (AKSE) mit insgesamt 30 Vertragsstaaten. Kern der Anpassung waren nationale und territoriale Truppenobergrenzen, die nur nach Konsultationen mit den Partnern geändert werden können.  Alle KSE-Mitglieder unterzeichneten zwar den AKSE-Vertrag 1999, doch in Kraft getreten ist er bis heute nicht. Nur vier der 30 KSE-Staaten - Russland, Weißrussland, Kasachstan und die Ukraine - haben ihn ratifiziert. 

Die NATO-Staaten binden ihre Ratifizierung an die Einhaltung der sogenannten "Istanbuler Verpflichtungen", die besagen, dass Russland seine Truppen aus Georgien und dem Gebiet Transnistrien in Moldawien vollständig abziehen müsse.

Russland hingegen akzeptiert diese Argumentation nicht. Dem zeitlichen Junktim hat Russland nie zugestimmt. Zudem hat Moskau den Abzug zwar politisch, aber nicht rechtlich verbindlich zu einem bestimmten Termin zugesagt. Darüber hinaus hat es seine Abzugsverpflichtungen mittlerweile zum größten Teil erfüllt. So hat sich die russische Seite mit Georgien auf einen Stationierungsvertrag und den Abzug seiner Truppen bis Ende 2008 geeinigt und diesen bereits großteils umgesetzt. In Moldawien gebe es nur noch wenige Hundert Soldaten, die ein Munitions- und Waffendepot bewachen, das keinesfalls unbeaufsichtigt bleiben könne.

Diese Argumentation lässt sich nicht vollständig von der Hand weisen. Ich finde, dass man die Bemühungen Russlands um die Umsetzung der in Istanbul eingegangenen Verpflichtungen und die bislang erzielten Ergebnisse durchaus würdigen sollte. Man sollte auch andere Befürchtungen Moskaus Ernst nehmen. Die Debatte um einen NATO-Beitritt von Georgien und der Ukraine trägt ebenso dazu bei, wie das geplante US-Raktenabwehrsystem in Polen und Tschechien. Dabei ist klar: Der Vorstoß Putins stellt eine unzulässige Vermengung zwischen der Raketenabwehr und dem KSE-Vertrag dar. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun und sollte getrennt voneinander behandelt werden.

Ich bin der festen Überzeugung, dass es gelingen kann, den AKSE zu ratifizieren und das KSE-Regime zu retten. Dies erfordert allerdings Bewegung auf beiden Seiten. Ich appelliere deshalb an die russische Regierung, dass sie den diplomatischen Bemühungen den notwendigen Raum gibt und die angekündigte Suspendierung des KSE-Vertrages überdenkt. Ich fordere aber auch von den USA und den NATO-Partnern, auf die russische Regierung einzuwirken und miteinander in einen konstruktiven Dialog für ein rasches Inkrafttreten des A-KSE einzutreten. Dabei muss im NATO-Russland-Rat auch über die rüstungskontrollpolitischen Folgen des US-Raketenschirms diskutiert werden.

Ein Ausweg aus der festgefahrenen Situation könnte darin liegen, dass auf westlicher Seite bereits jetzt eine Gruppe von Staaten den AKSE-Vertrag auf Vorrat ratifiziert, um die Hinterlegung der Ratifikationsurkunden bei weiteren Forschritten schnell vornehmen zu können. Gleichzeitig müsste die russische Seite die noch offenen Istanbuler Verpflichtungen zügig umsetzen und das angekündigte Moratorium aussetzen. Darüber muss dringend diskutiert und verhandelt werden.

Ich bin deshalb Außenminister Frank-Walter Steinmeier sehr dankbar, dass er vor wenigen Tagen in Bad Saarow alle KSE-Vertragstaaten sowie die baltischen Staaten und Slowenien zu einem informellen Treffen zum Erhalt und Fortbestand des KSE-Regimes eingeladen hat, um über diese Fragen zu diskutieren. Dabei konnte ein erster Überblick gewonnen, bestehende Differenzen benannt und mögliche Lösungsansätze diskutiert werden.

Konventionelle Rüstungskontrolle hat sicherlich in Europa nicht mehr die Bedeutung, die ihr während des Ost-West-Konflikts zukam. Gleichwohl wäre ein Scheitern des KSE-Regimes verhängnisvoll und ein schwerer Rückschlag für die Vertrauensbildung in Europa. Es gibt aus deutscher und europäischer Sicht viele gute Gründe am KSE-Regime festzuhalten. Es beschränkt effektiv die Militärpotenziale, es ist Grundlage für den Vertrag über den "Offenen Himmel", der gegenseitige Inspektionsflüge erlaubt und für die Wiener Vereinbarungen zum jährlichen Austausch militärischer Daten unter den OSZE-Staaten. 

Es liegt deshalb im Interesse Deutschlands und Europas, dass Russland auch weiterhin in das KSE-System eingebunden und der KSE-Vertrag als Eckpfeiler europäischer Sicherheit erhalten bleibt. Die Verhandlungen sollten darüber hinaus durch weitere abrüstungspolitische Initiativen ergänzt werden.

Angesichts der weitgehenden inhaltlichen Deckungsgleichheit der Anträge zum KSE-Regime möchte ich zum Schluss zu überlegen geben, die Anträge zu einem gemeinsamen interfraktionellen Antrag zusammen zu fassen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 11.10.2007
Thema: 
Die Krise des KSE-Regimes