Plenarrede zum Antrag der FDP "Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft in Ägypten fördern"
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ägypten spielt in der Tat eine herausragende Rolle in der arabischen Welt und ist einer unserer wichtigsten Partner in der Region. Das Land hat ohne Zweifel erhebliche Defizite hinsichtlich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten.
Die Erhaltung der innenpolitischen Stabilität bleibt das oberste Ziel von Präsident Mubarak. Innenpolitische Reformen zur Stärkung von Partizipation und Teilhabe der Bevölkerung sind offensichtlich nicht vorgesehen. Die Gruppen der zivilen Gesellschaft sind schwach.
Das Pendel zwischen Stabilität und Demokratie hat sich wieder in Richtung Stabilität bewegt, eine Stabilität, die jedoch ihren Preis hat: Die Kluft zwischen Regierung und Volk hat sich vergrößert. Die Unzufriedenheit der großen Mehrheit der Bevölkerung mit der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Situation bleibt weiterhin eine Konstante der ägyptischen Innenpolitik. Die Rechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit bleiben eingeschränkt Journalisten werden wegen ihrer Arbeit bedroht, mit Schlägen misshandelt und inhaftiert. Wiederholt ging die Polizei mit exzessiver Gewalt gegen Demonstranten vor, die Kritik an der Politik der Regierung übten oder ihre Grundrechte einforderten.
Die Menschenrechtslage in Ägypten ist unverändert ernst. Auch in diesem Jahr wurden von Menschenrechtsorganisationen viele Überschreitungen registriert, angeführt von Folter durch Polizei- und Sicherheitskräfte bis hin zur Behinderung der politischen Parteien und NGOs mittels einer Vielzahl von einschränkenden Gesetzen, die eine zivilgesellschaftliche Arbeit sehr erschweren. Weiterhin werden Oppositionelle und politische Aktivisten verfolgt, verhaftet und geschlagen. Tausenden von Menschen sitzen jahre- und sogar jahrzehntelang ohne Verfahren in Haft. Obwohl Präsident Mubarak nun schon seit 25 Jahren an der Macht ist, ist es ihm jedoch nicht gelungen, alle staatlichen Organe auf seine politische Linie einzuschwören. Dies zeigt sich besonders bei der Judikative, die traditionell in Ägypten auf ihre Unabhängigkeit achtet. Die Judikative wurde durch polizeiliche Ausfälle gegen einige der Richter in ihrer Arbeitsmöglichkeit behindert und für ihre Unbeugsamkeit "bestraft". Gewerkschafts- und Studentenwahlen endeten mit massiven polizeilichen Eingriffen und Verhaftungen oder durch Ablehnung derjenigen Anträge, deren Kandidaten nicht genügend "regierungsnah" sind.
Auch im Bereich Presse- und Meinungsfreiheit ist eine Zuspitzung der Lage zu beobachten. Journalisten werden verhaftet, vor Gericht gestellt, und deren Publikationen konfisziert mit dem Vorwand der Verleumdung und Gefährdung der nationalen Sicherheit.
Das Komitee der Politischen Parteien verhindert nach wie vor erfolgreich die Gründung von Parteien. Das Komitee, welches mehrheitlich aus Mitgliedern der regierenden NDP besteht, hat seit seiner Gründung 1977 die Zulassung von 74 Parteien verhindert.
Auch die 2004 erfolgte Einrichtung eines "Nationalen Rats für Menschenrechte" hat nicht dazu beigetragen, dass die Regierung diesem Thema größere Aufmerksamkeit widmet. Obwohl dieser Rat mit bekannten ägyptischen Persönlichkeiten besetzt ist (der Vorsitzende ist der ehemalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros Ghali), stießen seine Empfehlungen seitens der Regierung auf keinerlei Resonanz.
Auch nach dem Referendum über die Verfassungsänderung am 26. März dieses Jahres haben sich die Hoffnungen auf wachsende Meinungsfreiheit vorerst nicht erfüllt. Immerhin wurden dadurch 27 Jahre Notstandsrecht beendet. Doch nach der neuen Regelung können die Behörden nun bei Terrorismusverdacht ohne Gerichtsbeschluss Verdächtige festnehmen, ihre Wohnungen durchsuchen, den Briefverkehr überwachen und die Telefone abhören. Zudem kann der Präsident jederzeit das Parlament auflösen. Amnesty International hat dies als "schwerwiegendste Beeinträchtigung der Menschenrechte in Ägypten seit Mubaraks Amtsantritt 1981" kritisiert. Schon jetzt sitzen laut Amnesty rund 18.000 Menschen ohne Anklage oder Prozess in ägyptischen Gefängnissen. Das Ergebnis des Verfassungsreferendums ist jedenfalls ambivalent, auch wenn die Regierung es durch die Aufhebung der Notstandsgesetze, der Ausweitung der Vollmachten von Regierung und Parlament und nicht zuletzt durch wesentliche Maßnahmen zur rechtlichen Gleichstellung der Frau als demokratischen Meilenstein zu verkaufen trachtet. Die konkreten Änderungen der Verfassung bauen jedenfalls im Ergebnis den Spielraum des Präsidenten und der regierenden Nationaldemokratischen Partei (NPD) weiter aus.
Auch außenpolitisch geht die ägyptische Regierung durch eine schwierige Phase. Der politische Grat, auf dem das Regime wandelt, ist schmal: Einerseits versteht es sich als eines der engsten Verbündeten und Interessenvertreter der USA in der Region und wird auf dieser Grundlage entsprechend subventioniert; andererseits muss es sich innenpolitisch legitimieren und Rücksicht auf die politische Grundstimmung der Bevölkerung nehmen.
Der Anspruch, in der arabischen Welt eine Führungsrolle zu spielen, entspricht nicht nur dem traditionellen Selbstbild der Elite im bevölkerungsreichsten Land des Nahen Ostens, sondern ist gleichzeitig einer der Pfeiler, auf dem das innenpolitische System Ägyptens und seine Stabilität ruhen. Ohne die Hilfsgelder aus den USA und Europa wäre das ägyptische Regime kaum in der Lage, die Subventionen auf Grundversorgungsgüter für die in Armut lebende Bevölkerungsmehrheit zu finanzieren. Ägypten erhält die Finanzhilfen aus dem Ausland wegen seiner geostrategischen Position und als Preis für seine moderate und eng mit den Interessen der USA verbundene Haltung in den großen Regionalkonflikten.
Exemplarisch zeigte sich am Beispiel des Libanon-Krieges wie eng der Spielraum ist, der der ägyptischen Regierung zwischen der Legitimierung nach Innen und ihrer Rolle als strategischer Verbündeter der USA bleibt. In der ersten Sitzung der Arabischen Liga nach Kriegsbeginn verurteilte Ägypten (zusammen mit Saudi-Arabien und Jordanien) die Haltung der Hizballah als abenteuerlich und machte sie für den Kriegsausbruch verantwortlich. Als die Regierung den Druck der ägyptischen Öffentlichkeit spürte, kam sie von dieser Position ab und erkannte in der zweiten Hälfte des Krieges die Aktionen der Hizballah als gerechtfertigten Widerstand gegen die Besatzung an. Am 8. August letzten Jahres sandte Ägypten gar eine Delegation nach Beirut, um seine Solidarität mit dem libanesischen Volk auszudrücken.
Zu Beginn der Auseinandersetzungen im Libanon übte Mubarak noch scharfe Kritik am Verhalten der militanten Hizballah und warf ihr die Schuld an der israelischen Intervention vor, die sie durch die Entführung der israelischen Soldaten ausgelöst habe. Zudem verurteilte er die Hizballah, sie würde als Staat im Staat agieren und unkalkulierte Abenteuer wagen. Damit zieht die Regierung auch Parallelen zur Innenpolitik und versucht, eine analoge Entwicklung in Ägypten zu verhindern. Die verbotene ägyptische Muslimbrüderschaft weist ganz ähnliche, jedoch gewaltfreie Strukturen wie die Hizballah auf und ist ebenfalls tief in der Gesellschaft verankert. Die Popularität der Hizballah und ihres Führers Hassan Nasrallah in Ägypten, die mit deren Erfolgen gegen die übermächtige israelische Armee noch wuchs, zwang Mubarak, seine öffentlichen Meinungsäußerungen zu überdenken. Die wechselnde Haltung der ägyptischen Regierung zeigt das ganze Dilemma des ägyptischen Regimes. Der Versuch, einen Mittelweg zu finden, endete mit dem Resultat, dass Ägyptens Rolle im Libanon-Konflikt kaum wahrnehmbar war. Anders als bei früheren Konflikten in der Region zeichnete sich die ägyptische Führung durch Abwesenheit aus.
Im Übrigen: Es entspricht einfach nicht der Wahrheit, dass die Bundesregierung keinen Wert auf die Entwicklung rechtsstaatlicher und zivilgesellschaftlicher Strukturen in Ägypten legt. Nachdem das Assoziierungsabkommen mit Ägypten im Juni 2004 in Kraft getreten war, nahm die EU mit Ägypten Gespräche zum Aktionsplan auf. Eine erste Runde zwischen den Vertretern der Europäischen Kommission und der ägyptischen Regierung fand in Kairo im September 2005 statt; die nächste fand Anfang 2006 in Brüssel statt. Die Verhandlungen sind ins Stocken geraten, da es zwischen der europäischen und ägyptischen Seite Unstimmigkeiten darüber gibt, in welcher Form der Punkt Menschenrechte im Aktionsplan aufgenommen werden soll. Die ägyptische Seite betrachtet den von der EU-Verhandlungsdelegation vorgelegten Entwurf als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ägyptens. Bis heute sind die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen. Dies zeigt, dass das Thema Menschrechte und Rechtsstaatlichkeit durchaus auf der europäischen und deutschen Agenda steht. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch das Programm der EU-Partnerschaft für den Frieden zur Unterstützung des Nahost-Friedensprozesses auf der Ebene der Zivilgesellschaft, in das neben Ägypten auch Algerien, Israel, Jordanien, Libanon, Marokko, Syrien, Tunesien, die Türkei und Palästina eingebunden sind.
Die SPD-Fraktion fordert die ägyptische Regierung dazu auf den Weg rechtsstaatlicher und demokratischer Reformen konsequent zu verfolgen. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg.