Plenarrede zu Raketenabwehrplänen der USA

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich fände es gut, wenn wir bei dieser Debatte eine gewisse Gelassenheit zeigen würden; denn es ist wichtig, vernünftig zu überlegen. Es wäre auch gut, wenn diese Debatte letztlich dazu beitragen könnte, dass auf der einen Seite mehr Sachlichkeit erreicht wird, aber auf der anderen Seite auch die Sorgen betont werden.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen ist es richtig, sich zu fragen, worum es geht, ob die europäische Sicherheit oder vielleicht sogar die strategische Stabilität tangiert ist und welche diplomatischen  Alternativen  möglich sind. Ich denke, niemand hier im Saal glaubt  ehrlich, dass die Raketenabwehr, begrenzt auf Polen und Tschechien, wie sie zurzeit diskutiert wird, die russischen  Atomstreitkräfte  bedrohen würde. Das glaubt sicher auch Präsident Putin nicht.

Andererseits muss man darüber nachdenken, dass diese Raketenabwehr nur ein Teil ist; sie soll ja weltumspannend sein. Deshalb sollte man durchaus, wie wir es von Egon Bahr, aber auch von Hans- Dietrich Genscher gelernt haben,  mit  Empathie versuchen, diplomatische Aktivitäten anzugehen. Das Bestreben der USA ist seit vielen Jahren, im Grunde seit dem Sputnik-Schock bzw. seit  der  Herausforderung durch die Kubakrise, unverwundbar zu sein, ihr Territorium unverwundbar zu halten. Das ist aber nicht das herausragende Problem. Das herausragende Problem ist etwas anderes, nämlich dass dieses Bestreben zurzeit mit einer Militärdoktrin kombiniert wird, die militärische Gewalt auch vorbeugend anwenden will.

Das trägt natürlich zur Verunsicherung bei. Es ist daher  notwendig,  hierüber  eine  Debatte  in  europäischen Parlamenten und darüber hinaus zu führen.

Es war sinnvoll, dass der Außenminister und der Vorsitzende  der  Sozialdemokratischen  Partei  diese  Debatte angestoßen  haben  und  weiterhin  führen.  Wir  Sozialdemokraten haben mit der Diskussion begonnen, nicht die Linke, nicht die FDP und nicht die Grünen, die jetzt in Alarmismus machen.

(Jürgen  Trittin  [BÜNDNIS  90/DIE  GRÜNEN]: Wenn wir in Alarmismus machen, was macht dann Herr Beck, Herr Mützenich? Dagegen sind wir doch Waisenknaben!)

Wir  sollten  darüber  nachdenken,  was  wir  dieser  neuen Militärdoktrin entgegensetzen können.

Sie haben eben behauptet, dass der Außenminister in den vergangenen Monaten zu wenig über Abrüstung gesprochen hat und zu wenig auf diesem Gebiet getan hat. Ich  erinnere  Sie  in  diesem Zusammenhang daran, dass diese  Bundesregierung  in  Oslo  einen  Vertrag  auf  den Weg bringen will, der ein Verbot von Streubomben beinhaltet. Das ist eine gute Initiative.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Diese  Bundesregierung  hat es  im letzten Jahr geschafft, dass alle - damals noch 25 Staaten der Europäischen Union eine gemeinsame Position zum Atomwaffensperrvertrag eingenommen haben. Der Außenminister nutzt die Präsidentschaft in der Europäischen Union und in der G 8, um auf das Thema Abrüstung aufmerksam zu machen. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Jahr Gelegenheit haben, mit den betreffenden Staaten über dieses Thema zu reden.

Ich glaube also, wir tun gut daran, eine sachliche Diskussion zu führen. Wir sollten dabei nicht in die Wortwahl des Kalten Krieges zurückfallen.

(Zuruf von der LINKEN: Es ist aber so!)

Die Antwort auf die Frage, ob ein Waffensystem offensiv oder defensiv ist, bringt an dieser Stelle überhaupt nichts. Es kommt nämlich darauf an, auf welcher Seite man steht und wie man die Bedrohung wahrnimmt. Ich glaube, das ist die Herausforderung, die Präsident Putin - vielleicht  auch  im  eigenen  Interesse - angesprochen hat. Aber auch Akteure wie die Volksrepublik China und vielleicht auch Indien und andere haben eine ähnliche Sichtweise.

(Zuruf von der LINKEN: Richtig!)

Entscheidend ist, dass sich der Bundestag mit diesem Thema  beschäftigt.  Deshalb  finde  ich  es  gut,  dass  sich die Bundesregierung bereit erklärt hat, dafür zu sorgen, dass  darüber  in  verschiedenen Gremien gesprochen wird, nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern inner- halb  der NATO und auch innerhalb  der  Europäischen Union. Warum nicht? Es sind ja nicht alle europäischen Staaten, die davon betroffen sind, Mitglied der NATO.  Was ist die entscheidende Herausforderung? Der Herr Bundesaußenminister  hat  in  seiner  Rede  prominent  angemerkt,  dass  der  Atomwaffensperrvertrag  stärker  beachtet  werden  muss. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass wir auf der Überprüfungskonferenz  im Jahre 2010 zu Fortschritten kommen. Der Bundesaußenminister will ferner die Verbreitung von Raketen, wovon mittlerweile - das ist vorhin zu Recht angesprochen worden - 25 Staaten tangiert sind, durch ein neues Vertragsregime verhindern. Außerdem fordern wir den Iran auf, seine  militärischen  Ambitionen  im  Rahmen  seines Atomprogramms aufzugeben.

Wir Sozialdemokraten nehmen den Koalitionsvertrag ernst. Dort heißt es:

"Vertraglich  abgesicherte  Nichtverbreitung,  Abrüstung und Rüstungskontrolle sind zentrale Anliegen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik."

Ich denke daher, Abrüstung ist die beste Raketenabwehr.

Vielen Dank.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 21.03.2007
Thema: 
Aktuelle Stunde "Haltung der Bundesregierung zur Raketenstatiobierung in den Ländern Osteuropas