Plenarrede zum Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
es gibt keinen Zweifel: der nordkoreanische Atomwaffentest ist eine gefährliche Provokation und ein Irrsinn. Wir verurteilen das Verhalten Nordkoreas. Deshalb müssen wir heute Morgen über die nordkoreanische, aber auch über die iranische Atomkrise sprechen. Wir sollten allerdings ebenso deutlich machen: Abrüstung und Rüstungskontrolle gehören insgesamt wieder auf die internationale Tagesordnung. Eine effektive Rüstungskontrolle muss erneut zum Ordnungsprinzip der internationalen Beziehungen werden.
Vertraglich vereinbarte Rüstungsbeschränkung kann die Welt sicherer machen. Während des Kalten Krieges trug eine effektive Rüstungskontrolle maßgeblich zur Kriegsverhütung und Vertrauensbildung bei. Sie schuf den Rahmen für Kooperation und friedlichen Wandel. Abrüstung und Rüstungskontrolle waren aber nicht nur im Kalten Krieg ein angemessenes Instrument. In seinem Schatten wurden auch eine Reihe regionaler Rüstungskontrollverträge beschlossen. Diese Abkommen erleichterten die regionale Zusammenarbeit und schufen ein Gefühl gemeinsamer Sicherheit.
Abrüstung trug dazu bei, vormalige Bürgerkriegsgesellschaften zu stabilisieren. So wurden mit dem Vertrag von Dayton gegenseitige Abrüstungsschritte im ehemaligen Jugoslawien vereinbart. Auch in El Salvador und in Kambodscha wurde der Friedensprozess durch die Vernichtung von Waffenbeständen unterstützt.
Doch nicht mehr nur Regierungen beeinflussen Rüstungskontrolle. Ohne die Bürgerinnen und Bürger in den so genannten Nicht-Regierungsorganisationen wäre das Landminen-Abkommen niemals in Kraft getreten. Das war ein bedeutendes Signal. Seit einigen Jahren gibt es jedoch so gut wie keine Fortschritte mehr. Der Rüstungskontrollprozess tritt auf der Stelle.
Diese Krise ist allerdings nicht das Ergebnis einer veralteten Idee. Im Gegenteil: das Konzept der Rüstungskontrolle ist modern und anpassungsfähig. Die eigentliche Ursache für das Ausbleiben weiterer Fortschritte ist der fehlende politische Wille in wichtigen Ländern.
Die USA haben sich aus den großen Verträgen zurückgezogen, neue Vereinbarungen wurden ignoriert, Verbesserungen wurden blockiert. Russland behindert die Umsetzung der konventionellen Abrüstung in Europa. Frankreich und Großbritannien modernisieren - wie auch die anderen Kernwaffenstaaten - ihre nuklearen Arsenale. Neue Sicherheitsdoktrinen weisen Kernwaffen eine frühzeitige Einsatzmöglichkeit zu.
Weltweit steigen die Rüstungsausgaben und ? dies sage ich auch selbstkritisch an unsere Adresse - Rüstungsexporte haben wieder Konjunktur. Weitere Gefahren sind die unkontrollierte Verbreitung von Trägerraketen und die unsichere Lagerung von hoch angereichertem Uran in zu vielen Ländern. Und nicht zu vergessen: Zwischen den Atommächten Indien und Pakistan gibt es noch immer kein belastbares Abkommen.
Diese Krisen zeigen deutlich: wir brauchen neue Anstrengungen zur Rüstungsbegrenzung und Abrüstung. Dabei müssen wir sowohl die lokalen als auch die globalen Bedingungen beachten und verändern. Beide Ebenen stehen in einem Zusammenhang.
Im Atomkonflikt mit dem Iran müssen wir weiterhin konstruktiv, geschlossen und beharrlich an einer Lösung arbeiten. Der Versuch, den Streit in Verhandlungen zu lösen war und bleibt richtig. Dass jetzt auch Sanktionen durch die Vereinten Nationen beschlossen werden sollen, signalisiert nicht das Scheitern der Diplomatie; dieser Schritt ergänzt vielmehr die bisherige Strategie. Der Iran muss die Verstöße und die Unklarheiten über sein Atomprogramm ausräumen und durch vertrauensbildende Maßnahmen versuchen, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit herzustellen. Und vor allem sollten die Verantwortlichen in Teheran eins wissen: Weder Status noch Großmannssucht werden dem Land die gewünschte Rolle in der Welt zuweisen, sondern nur eine Politik der Akzeptanz, des Respekts und der Kooperation gegenüber den Nachbarn und der Region.
Kernwaffen in Nordkorea sind eine ebenso große Gefahr für den Frieden. Mehr noch: ein unkontrollierter Rüstungswettlauf in Ostasien könnte die Folge sein. Angesichts des wachsenden Nationalismus, nicht geregelter Konflikte und der mangelnden Bereitschaft zu einer gemeinsamen Vergangenheitsbewältigung schafft dies Unsicherheiten - auch für uns.
In Zukunft darf es aber nicht allein darum gehen, länderspezifische Lösungen für Kernwaffenaspiranten zu suchen. Ebenso notwendig ist es, über die offenkundigen Probleme und Schwächen, Ungleichgewichte und doppelten Standards der Rüstungskontrollregime zu sprechen.
Dabei sollte eins klar sein: Die bisherigen Abkommen müssen in ihrer Substanz erhalten bleiben. Die Instanzen, die die Einhaltung der jeweiligen Verträge überwachen, müssen gestärkt werden. Gleichzeitig sollten die Vertragslücken geschlossen und wo nötig ergänzt werden. Im Einzelnen gehören dazu wirksame und überprüfbare Maßnahmen der nuklearen Abrüstung, eine Nulllösung bei den taktischen Atomwaffen, ein Kernwaffenregister, die Offenlegung der Plutoniumbestände und das in Kraft setzen des umfassenden Teststoppvertrages. Das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag muss von allen Vertragsstaaten ohne Einschränkungen akzeptiert werden.
Der internationale Terrorismus ist heute auch eine sicherheitspolitische Herausforderung. Es besteht die Gefahr, dass diese Gruppen Massenvernichtungswaffen besitzen und einsetzen wollen. Das beste Rezept solche Pläne zu verhindern ist, weitere Staaten vom Besitz derartiger Waffen abzuhalten und die Atomwaffenstaaten zu überzeugen, endlich ihre Verpflichtung zur Abrüstung einzulösen. Je weiter Atomwaffen verbreitet sind, umso wahrscheinlicher ist, dass sie in die Hände internationaler Terroristen geraten. Rüstungskontrolle ist deshalb auch ein Mittel gegen nicht-staatliche Bedrohungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Demokratien sind Ordnungen, die einer effektiven Rüstungskontrolle aufgeschlossen gegenüberstehen. Deshalb ist es nicht nur ein Privileg sondern auch die Aufgabe demokratischer Institutionen, weitere Maßnahmen zur Rüstungsbegrenzung anzuregen.
Vor allem müssen Parlamente und Regierungen den Frieden zwischen den Ländern stärken. Zweifellos sind dabei Demokratien gegenüber ihresgleichen friedensgeneigter. Demnach bedeutet die Zunahme demokratisch regierter Länder auch eine Ausbreitung des Friedens. Allerdings ist dies keine einfache Gleichung. Die Form allein bewirkt noch keine Demokratie. Außerdem sind fragmentierte demokratische Staaten in der Regel keine friedlichen Gesellschaften. Deshalb sind militärische, von außen herbeigeführte Regierungswechsel nicht nur völkerrechtswidrig; sie sind zum Aufbau demokratischer Gesellschaften vollkommen ungeeignet. Mehr noch: Derartige Handlungen diskreditieren das Konzept des demokratischen Friedens. Sie bedrohen die Prinzipien des Völkerrechts und schaffen neue Unsicherheiten, wie übermäßige Rüstung und falsches Regieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Krise der Abrüstung und Rüstungskontrolle ist vor allem das Ergebnis politischer Fehlentscheidungen. Weil der politische Wille zugunsten von Abrüstung und Rüstungskontrolle fehlt, brauchen wir gerade jetzt mutige und kluge Schritte. Wir brauchen eine Wiederbelebung der Abrüstung und Rüstungskontrolle.
In den siebziger und achtziger Jahren waren es vor allem westeuropäische Sozialdemokraten, die eine Politik der Entspannung durch Initiativen zur Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung ergänzt haben. Egon Bahr, Willy Brandt, Olof Palme und Bruno Kreisky sind nur einige Namen in dieser beachtlichen Reihe.
Wenn wir heute wieder eine Entspannungspolitik in Zeiten neuer Spannungen gestalten wollen, kann die SPD ihre Erfahrungen und Ideen einbringen. Dabei reichen gute und überzeugende Vorschläge allein nicht. Um die kollektive Friedenssicherung zu stärken, müssen wir Abrüstung und Rüstungskontrolle als Ordnungsprinzip der internationalen Politik erneuern. Die deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union, vor allem aber der einjährige Vorsitz Deutschlands in der G 8 sind dafür ein geeigneter Rahmen.
Es wäre leichtfertig, wenn wir diese Chance verpassen würden.
Deshalb unterstützen wir die Vorschläge des Außenministers. Dort, wo das Parlament aktiv sein kann - oder wo Sie dies für zusätzlich sinnvoll halten -, wollen wir unseren Beitrag leisten. Es wäre unvernünftig, wenn wir die kommenden Monate dafür nicht nutzen würden.