Plenarrede zur iranischen Atomkrise
Als wir vor wenigen Wochen über die beiden vorliegenden Anträge hier debattierten, erweckte der Redner der Fraktion Die Linke, Herr Lafontaine, den Eindruck, dass demnächst mit Militärschlägen gegen den Iran zu rechnen sei. Er wiederholte auch den Vorwurf, dass die Bundesregierung in ihrer Haltung gegenüber der iranischen Atomkrise zerstritten sei. Beide Mutmaßungen waren nichts als haltlose Unterstellungen; natürlich, weil sie vorwiegend innenpolitisch motiviert waren. Das zeigt auch, wie Sie mit dem Thema umgehen: Sie verunsichern die Menschen, Sie senden missverständliche Signale an die Verantwortlichen im Iran und Sie schwächen die gemeinsame Haltung in der iranischen Atomkrise. Und dann kündigen Sie auch noch an, demnächst in den Iran reisen zu wollen, um dort zu vermitteln.
Vorweg: Jede Diskussion mit den politischen Entscheidungsträgern im Iran ist sinnvoll. Der Dialog ist eine Bedingung, um die Krise friedlich zu lösen. Allerdings ist es genauso wichtig, entschieden und unmissverständlich aufzutreten. Deshalb stellen Sie bitte in Teheran klar: Erstens, die Internationale Atomenergiebehörde kann noch immer nicht bestätigen, dass die iranischen Aktivitäten allein nicht-militärischen Zielen dienen. Iran muss endlich intensiv und offen mit den Inspekteuren zusammen arbeiten. Zweitens, Voraussetzung der Vertrauensbildung ist die Suspendierung der Uranreicherung zum jetzigen Zeitpunkt. Drittens, die ständige Leugnung des Holocaust, die Infragestellung des Existenzrechts Israels und die militärischen Drohungen gegen das Land sind inakzeptabel und zutiefst inhuman. Das sollten Sie als Vertreter des deutschen Parlaments in Teheran deutlich machen.
Was ist seit unserer letzten Debatte geschehen? Das herausragende Ereignis ist die einstimmige Feststellung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, dass der Iran zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zurückkehren und vertrauensbildende Schritte unternehmen muss. Gleichzeitig unterstreicht dieser das Recht der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Dieser Beschluss ist wichtig und richtig. Er ist ein Kompromiss, was denn sonst? Aber er wurde von dem Gremium entwickelt und entschieden, dass für den internationalen Frieden eine besondere Verantwortung trägt. Es ist gelungen - trotz unterschiedlicher Interessen - durch Kooperation und Kompromisse das gemeinsame und übergeordnete Ziel der internationalen Gemeinschaft nicht aus den Augen zu verlieren: die friedliche Lösung der iranischen Atomkrise. Deutschland hat dabei eine wichtige und erfolgreiche Rolle gespielt. Dass dies ohne formellen Status gelungen ist, unterstreicht die neuen Verhaltensmöglichkeiten in der internationalen Politik.
Klar ist: in den kommenden Wochen muss Überzeugungsarbeit geleistet werden. Gegenüber dem Iran, aber auch gegenüber anderen wichtigen Akteuren. Dazu gehören in erster Linie die USA. Wir Sozialdemokraten teilen die Hoffnung des deutschen Außenministers, dass auch die Verantwortlichen in Washington ihre Gesprächskanäle gegenüber dem Iran für die Beilegung der Atomkrise nutzen. Ohne die Anerkennung der iranischen Sicherheitsinteressen, ohne die Herstellung geregelter Beziehungen und die Wiederaufnahme wirtschaftlicher Kontakte wird es keine langfristige und belastbare Lösung geben. Kollegen aus der CDU und CSU, Herr von und zu Guttenberg und Herr Polenz, sowie Vertreter aus der SPD, unserer früherer Kollege Dietmar Nietan und ich, hatten bereits vor mehr als zwei Jahren eine Initiative mit Repräsentanten des US-Kongresses und wissenschaftlichen Einrichtungen in Washington begonnen, um ein amerikanisches Engagement für die Lösung des Irankonflikts zu initiieren. Damals verstärkte sich für mich der Eindruck, dass die amerikanische Regierung über keine schlüssige Iran-Politik verfügt. Diese ist vielmehr überlagert von gefühlsbetonten, teilweise irrationalen Haltungen und Handlungen. Gleiches gilt auch für die Akteure in Teheran. Allerdings sollten wir auch in Europa, vor allem in Deutschland, Acht geben, dass sich die Politik gegenüber Iran nicht nur auf die Bearbeitung der Atomkrise reduziert. Unsere Iran-Politik muss natürlich auch den dramatischen Wandel in den vergangenen Jahrzehnten beachten: Dazu gehören aus regionaler Sicht der achtjährige Iran-Irak-Krieg, die Entwicklung in Afghanistan und im Irak, die Auflösung der Sowjetunion mit ihren Folgen für die Nachbarstaaten des Iran, die Nuklearisierung des indisch-pakistanischen Verhältnisses einschließlich der jüngsten indisch-amerikanischen Verabredungen und die Nachfrage nach Energieressourcen. Aus innenpolitischer Sicht gehören dazu die Übernahme politischer Verantwortung durch eine neue politische Eliten, die Verstetigung der religiösen Gruppen im politischen und wirtschaftlichen Prozess, das endgültige Scheitern eines Exports der islamischen Revolution und der dramatische innergesellschaftliche Wandel.
Was wir also leisten müssen ist eine umfassende Iran-Politik: Selbstverständlich brauchen wir - wie es die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ausführen - einen Dialog mit der Zivilgesellschaft. Aber das reicht nicht: Wir müssen auch mit den Verantwortlichen in Teheran sprechen. Wir müssen Kooperationsangebote unterbreiten, Hilfen und Angebote zugunsten einer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beziehung zwischen Europa und Iran anbieten. Und vor allem: wir müssen darauf dringen, dass der Iran eine verantwortliche, friedliche und transparente Politik im Mittleren und Nahen Osten gestaltet. Das wäre zu unserer aller Nutzen.