Abrüstung der taktischen Atomwaffen vorantreiben, Nuklearen Dammbruch verhindern

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In den vergangenen Wochen haben wir häufig über die Rolle der Atomwaffen, die Krise der nuklearen Rüstungskontrolle und die Folgen für die internationale Politik gesprochen. Dies war richtig; denn es gab leider genügend Anlässe dafür.

Kollege Ulrich, die Lagerung von Atomwaffen in Deutschland ist ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang. Ich finde aber, dass Sie mit Ihrem Antrag zu kurz gesprungen sind. Der Kollege Guttenberg hat bereits einige Zusammenhänge dargestellt. Ich möchte dem noch einiges hinzufügen.

Lassen Sie mich begründen, warum Sie mit dem Antrag zu kurz gesprungen und damit den Herausforderungen, die Deutschland im Zusammenhang mit Atomwaffen hat, nicht gerecht geworden sind: Sie agieren bewusst einseitig und innenpolitisch motiviert und verkürzen die Zusammenhänge.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Anders kann ich mir diesen Antrag nicht erklären. Wenn Sie sich ernsthaft mit den Problemen beschäftigt hätten, dann hätten Sie einige Punkte besser gewichten müssen. Ich habe mich gefragt, warum Sie nicht die Atomwaffen in anderen europäischen Staaten wie Belgien oder Großbritannien thematisieren. Sind sie besser? Wenn wir als deutsches Parlament im europäischen Kontext agieren wollen, dann muss man das doch benennen.

Warum soll das nicht in den Antrag mit hineingehören? Sie haben die Forderung des Kollegen Guttenberg belächelt, auch die russischen taktischen Nuklearwaffen zu benennen. Natürlich stehen sie im Zusammenhang mit dem Thema. Das hätten Sie in Ihrem Antrag mit aufnehmen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen wiederhole ich: Ihr Antrag ist nur innenpolitisch motiviert. Er wird den internationalen Herausforderungen nicht gerecht.

Ich komme zu einem weiteren Punkt, den Sie in Ihrem Antrag angesprochen haben. Ich war damals dabei, als die von Ihnen zitierte Studie vorgestellt wurde. Es ging darum, dass bei einer weiteren Krise im Nahen und Mittleren Osten möglicherweise europäische Atomwaffen eingesetzt werden könnten. Das ist meiner Meinung nach in keiner Weise herzuleiten; ich halte es auch nicht für belegbar. Wenn es dazu kommen sollte, dann werden keine Atomwaffen von hier aus eingesetzt; es wäre vielmehr eine Situation, der wir gemeinsam begegnen müssten, und zwar nicht mit Alarmismus und solchen Anträgen, sondern durch eine kluge Politik, mit der Sie die Bundesregierung unterstützen könnten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es gibt einen weiteren Grund, weshalb Sie mit Ihrem Antrag viel zu kurz gesprungen sind. Sie beziehen sich darin auf die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag. Dabei benennen Sie nur die USA, als ob das der einzige Akteur wäre, durch den die Konferenz gescheitert ist. Bei der Überprüfungskonferenz im Mai 2005 in New York haben auch der Iran, Frankreich und Ägypten eine Rolle gespielt. Das war nicht so einseitig, wie Sie es darstellen.

Es bringt allerdings nichts, nur über verkürzte Zusammenhänge in Anträgen zu sprechen. Erlauben Sie mir deshalb einen Hinweis. Ich habe nichts dagegen, wenn Verteidigungsminister Jung in den zuständigen Gremien auf das Thema eingehen wird, aber in dem Fall sollten auch die Zusammenhänge berücksichtigt werden, wie es der frühere Verteidigungsminister Struck getan hat. Ich glaube, es lohnt sich, an dieser Stelle die Zusammenhänge zu benennen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte auch auf den Antrag der Grünen eingehen. Sie haben zu Recht auf den Antrag unserer damaligen rot-grünen Koalition hingewiesen, weil darin die Gesamtzusammenhänge beschrieben worden sind. Ich glaube, es lohnt sich, über beide Anträge eine intensive Debatte im Auswärtigen Ausschuss, aber auch im Unterausschuss für Abrüstung und Rüstungskontrolle zu führen. Der eigentliche Kern, über den wir diskutieren müssen, wenn es um Atomwaffen geht, besteht auch in Folgendem: Ich selbst habe nach dem Ende des Ost-West-Konflikts gedacht, es gebe eine Chance für Abrüstung, es gebe eine Chance für die Friedensdividende. Leider ist das nicht eingetreten. Wir erleben seit Mitte der 90er Jahre in diesen Dingen einen Rückfall. Bisher sind es nur die europäischen Länder gewesen, die versucht haben, Regelwerke in die Diskussion einzubringen, die dem Thema der nuklearen Rüstungskontrolle gerecht werden. Wir haben diese Krise der nuklearen Rüstungskontrolle, weil Initiativen scheitern. Der umfassende Teststoppvertrag ist nicht unterzeichnet worden; das festzustellen, ist im Zusammenhang mit Indien und den USA ganz interessant. Ferner gab es in jüngster Zeit Krisen in Bezug auf Nordkorea und den Iran. Wir haben es aber auch mit Ländern zu tun, die sich in diesen Fragen sozusagen ein besonderes Recht herausnehmen, wie beispielsweise Brasilien im Zusammenhang mit der Urananreicherung. Die Rolle, die Kernwaffen und militärische Gewalt spielen können, wird in vielen Ländern neu definiert, nicht nur in den USA, sondern auch in Russland und der Volksrepublik China. Wenn Sie das Thema wirklich ernst nehmen würden, hätten Sie diese Entwicklungen in Ihrem Antrag aufgreifen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte jetzt zu dem Themenkomplex Indien kommen. Ich glaube, dass die jüngsten Entwicklungen - wir haben am Mittwoch im Ausschuss darüber diskutiert - leider einen weiteren Schritt darstellen, der in den nächsten zehn oder 20 Jahren die internationale Nuklearordnung verändern wird. Ich gebe zu: Gut ist, dass es der Internationalen Atomenergiebehörde in Zukunft möglicherweise erlaubt werden soll, 50 oder 60 Prozent der dortigen Anlagen zu inspizieren. Ein abschließendes Urteil kann man sich heute noch nicht bilden, weil uns, sowohl der Öffentlichkeit als auch - wenn ich das richtig verstanden habe - der Bundesregierung, der Text des Abkommens nicht vorliegt. Wir sollten darüber diskutieren, wenn wir den Text kennen. Aber eines ist bereits jetzt klar - das hat die Kollegin vorhin sehr deutlich gemacht -: Es wird ein Prinzip des Nichtverbreitungsvertrages infrage gestellt, ein Prinzip, das darin besteht: Wir belohnen die Staaten, die auf Atomwaffen verzichten, in Form von Unterstützung. Ob wir das nun aus innenpolitischer Sicht für gut halten oder nicht: Dieses Prinzip war wichtig und richtig, um Staaten an den Atomwaffensperrvertrag heranzuführen. Jetzt ist es das erste Mal, dass dieses Prinzip einseitig - so muss man schon sagen - hintertrieben wurde. Besonders hinterfragen möchte ich die Einseitigkeit dieser Handlungen. Wenn ich es richtig verstanden habe, haben die USA niemanden, insbesondere niemanden aus der Nuclear Suppliers Group, an dieser Diskussion beteiligt. Ferner glaube ich, dass der Zeitpunkt, zu dem diese Vereinbarung unterzeichnet wurde, schlecht gewesen ist, weil wir, besonders mit Blick auf den Iran, niemandem erklären können, warum dieser Vertrag die nukleare Rüstungskontrolle stärken soll. Darüber hinaus ist die Chance vertan worden, Indien zu verpflichten, dem Problem der Rüstungskontrolle in Südasien seine Aufmerksamkeit zu widmen. Es gibt in Südasien bisher keine Vereinbarung, die der Frage der nuklearen Rüstungskontrolle dort gerecht würde, im Gegenteil: Diese Vereinbarung zwischen den USA und Indien ist zum Anlass genommen worden, neue Waffenverkäufe anzubieten. Wir tun dieser Region mit Sicherheit keinen Gefallen, wenn wir sie in einen neuen Rüstungswettlauf stürzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch Folgendes möchte ich noch anführen: Ich hätte es verstanden, wenn wir über eine Alternative zum Nichtverbreitungsvertrag, zum Atomwaffensperrvertrag verfügen würden. Aber die haben wir überhaupt nicht. Keiner bietet aktuell eine Alternative dazu an, weder die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates noch andere Staaten. Deswegen ist es ja so wichtig, dass wir an dem Atomwaffensperrvertrag weiterarbeiten. Deswegen war es gut, dass die 25 Staaten der Europäischen Union im Mai auf der Überprüfungskonferenz gemeinsam agiert haben. Man muss auch sehen, dass der Atomwaffensperrvertrag in den letzten zehn, 20 Jahren Vorteile gebracht hat. Denn Südafrika, Brasilien und Argentinien haben sich zu diesem Vertrag bekannt, ebenso wie einige Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Deswegen lohnt es sich, diesen Vertrag zu stärken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dazu rufe ich die Bundesregierung von dieser Stelle aus auf. Ich glaube, dass es notwendig ist, im Rahmen der Europäischen Union neue Initiativen mit auf den Weg zu bringen, mit denen der Atomwaffensperrvertrag, aber auch die Rüstungskontrolle insgesamt gestärkt werden. Wir sollten in diesem Zusammenhang darüber nachdenken, ob möglicherweise die Ansätze betreffend Abrüstung und Rüstungskontrolle, die die USA in letzter Zeit verfolgen - sie sind zwar sehr einseitig, aber immerhin gibt es welche, wie die PSI-Initiative -, in ein Regelsystem überführt und institutionalisiert werden sollten. Wir brauchen auf jeden Fall ein Regelsystem, das verhindert, dass Mittelstreckenraketen in die Hände von Staaten gelangen, die sie möglicherweise missbrauchen. Dazu sind die Ansätze geeignet. Aber es muss einen völkerrechtlichen Vertrag geben. Ich glaube jedenfalls, dass es in den USA relevante Ansätze gibt. Ich finde, es ist hochinteressant, dass Senator Lugar in der ?Süddeutschen Zeitung? darauf hingewiesen hat, er könne sich vorstellen, dass die USA direkt mit dem Iran verhandeln.

Das Parlament und die Bundesregierung sollten das aufnehmen. Die Rüstungskontrolle hat mitgeholfen, den Ost-West-Konflikt zu überwinden. Dieses Instrument könnte auch bei anderen Rüstungskonflikten und Regionalkonflikten helfen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Planardebatte, 10.03.2006, Berlin
Thema: 
Debatte über zwei Anträge der LINKEN und von Bündnis 90/Die Grünen