"Verbreitung der Kernwaffen verhindern und die nukleare Abrüstung stärken"
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
in wenigen Wochen wird erneut über die Wirksamkeit des Atomwaffensperrvertrags beraten. Alle fünf Jahre findet diese Überprüfungskonferenz statt. Delegationen aus 189 Vertragsstaaten werden in New York Bilanz ziehen. Diese Bilanz wird nicht ohne Widersprüche sein können. Einerseits ist der Atomwaffensperrvertrag der Eckpfeiler in den weltweiten Bemühungen, die Verbreitung der Atomwaffen zu verhindern und die nukleare Abrüstung zu stärken. Nur noch Indien, Pakistan und Israel befinden sich außerhalb des Vertrages - Nordkorea hat seinen Austritt erklärt. Andererseits existieren noch immer weltweit über 28.000 Kernwaffen. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wurde eine Chance vertan, die nukleare Abrüstung zwischen den Kernwaffenstaaten umfassend und unumkehrbar zu machen. Auch in Deutschland sind weiterhin taktische Atomwaffen stationiert. Und die anhaltende Krise um die Atomprogramme Nordkoreas und des Iran macht zudem deutlich, wie gefährdet das Nichtverbreitungsregime ist.
Deshalb ist es gut, wenn Deutschland ein verlässlicher Partner des Atomwaffensperrvertrages bleibt. Alle Bundesregierungen haben das Abkommen in den vergangenen Jahren zu stärken versucht. In unserem Land gibt es zahlreiche Nicht-Regierungsorganisationen, die den Atomwaffensperrvertrag mit ihren Mitteln stützen. Und Deutschland verfügt über hervorragenden wissenschaftlichen Sachverstand, um weitere Ideen für die nukleare Rüstungskontrolle zu entwickeln. Deshalb ist es ein guter Zeitpunkt, wenn wir heute die Überprüfungskonferenz zum Anlass nehmen, Stärken und Schwächen des Nichtverbreitungsvertrages zu benennen. Wir wollen mit unserem Antrag Anregungen vortragen, damit die nukleare Abrüstung wieder vorankommt. Ich würde mich freuen, wenn auch die Opposition unserem Antrag zustimmen könnte.
Eine besondere Verantwortung für die nukleare Nichtverbreitung kommt den Atomwaffenstaaten zu. Sie müssen verbindliche Abrüstungsschritte vereinbaren. Wir Sozialdemokraten engagieren uns weiterhin für eine atomwaffenfreie Welt. Der Moskauer Vertrag vom Mai 2002 über die weitere Reduktion amerikanischer und russischer Atomwaffen kann dazu beitragen. Allerdings stellt das Übereinkommen die Zerstörung der Sprengköpfe nicht sicher, verzichtet auf die Überprüfung der Bestimmungen und ist zeitlich befristet. Gravierender ist allerdings, dass die Atomwaffenmächte ihre Arsenale umstrukturieren und Kernwaffen in der militärischen Planung wieder einen bedeutenden Platz bekommen. Die USA arbeiten an bunkerbrechenden Atomwaffen. Russland stellt neue Mehrfachsprengköpfe in Dienst. Und auch Großbritannien, Frankreich und die VR China modernisieren ihr atomares Potential. Weiterhin halten die Regierungen am atomaren Ersteinsatz fest. Vorzeitige, präventive Militäreinsätze gehören mittlerweile zur Sicherheitsphilosophie. Unterm Strich: die offiziellen Kernwaffenmächte gehen mit schlechtem Beispiel voran. Dies erschwert die Bemühungen, andere Staaten innerhalb des Atomwaffensperrvertrages zu halten und Außenstehende zu einem Beitritt zu bewegen. Daher sollten die Kernwaffenstaaten endlich wieder über wirksame Maßnahmen zur nuklearen Abrüstung verhandeln, weitere vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen einleiten und auf die Ersteinsatzoption verzichten.
Die Atomwaffenmächte müssen die Abrüstungsverpflichtung aus Artikel VI ernst nehmen. Diese Bestimmung steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Verpflichtung anderer Staaten, keine Kernwaffen besitzen zu wollen. Doch selbst dann kann es zu Verstößen kommen. Nordkorea hat sich atomwaffenfähiges Material beschafft, obwohl es Vertragsstaat war. Und auch der Iran hat nicht alle Aktivitäten offen gelegt, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre. Wie wir wissen, hat Libyen jahrelang geheime nukleare Aktivitäten betrieben. Der Überprüfungsteil des Atomwaffensperrvertrags ist also unzureichend. Deshalb war es gut, das Zusatzprotokoll zu schaffen. Damit können wirksamere Überprüfungen stattfinden. Doch bisher haben immer noch nicht alle Vertragsstaaten dieses Sicherungsabkommen ratifiziert. Das muss sich ändern. Und wir sollten noch weiter gehen: der Internationalen Atomenergieorganisation müssen weitere Rechte eingeräumt werden. Die UN-Behörde hat in den vergangenen Jahren sicherlich Fehler gemacht. Vielleicht hat sie an der einen oder anderen Stelle zu nachlässig gearbeitet. Aber ohne die Internationale Atomenergieorganisation hätte der Atomwaffensperrvertrag weniger Biss. Und tatsächlich kann die Internationale Atomenergieorganisation nur dann gut und effektiv arbeiten, wenn alle Staaten ausreichend Finanzen, geheimdienstliche Erkenntnisse und Personal bereitstellen.
Die iranische Atomkrise dokumentiert erneut einen entscheidenden Mangel des Atomwaffensperrvertrags: einerseits sollen die Staaten auf Atomwaffen verzichten; andererseits sollen sie beim Aufbau des gesamten zivilen Brennstoffkreislaufs unterstützt werden. Die iranische Regierung beruft sich auf diese Verknüpfung, wenn sie die Urananreicherung in Übereinstimmung mit internationalem Recht und aus nationalem Prestige fordert. Es gibt Vorschläge, wie mit diesem Problem umgegangen werden könnte. Regionale Ansätze oder Liefergarantien durch internationale Organisationen könnten eine Alternative sein. Anstelle des Transfers von Atomtechnologie könnte aber auch ein Protokoll treten, wonach Länder erneuerbare Energietechnologien erhalten könnten. Kurzum: wir brauchen an dieser Stelle Beweglichkeit von allen Staaten.
Der Atomwaffensperrvertrag ist nicht das einzige Instrument, um die Verbreitung der Kernwaffen zu verhindern. Weitere Maßnahmen müssen das Abkommen in seiner Wirksamkeit ergänzen. Dabei ist für uns Sozialdemokraten klar: Das Völkerrecht und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bleiben unverzichtbar für eine Nichtverbreitungspolitik. Und nebenbei: Jede Übereinkunft zur nuklearen Rüstungskontrolle stärkt die Anstrengungen, damit Terroristen nicht in den Besitz von atomaren Waffen und Material kommen.
Wir hoffen, dass die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag erfolgreich sein wird. Die Voraussetzungen sind leider nicht optimal. Die gegenseitigen Behinderungen erschweren einen Dialog und notwendige Kompromisse. Doch wir brauchen einen Erfolg.
Europa hat Jahrzehnte unter der atomaren Bedrohung gelitten. Heute haben wir - mit Glück und Verstand - eine Zone des Friedens geschaffen. Mit Hilfe von Abrüstung und Rüstungskontrolle könnten solche Friedenszonen auch in anderen Regionen befördert werden. Der Atomwaffensperrvertrag ist hierfür unentbehrlich. Die Überprüfungskonferenz muss dazu beitragen, die Nichtverbreitung zu stärken. Ein gemeinsames Schlussdokument wäre ein deutliches Signal zugunsten kooperativer Rüstungssteuerung. Wir danken der Bundesregierung, dass sie seit mehreren Monaten versucht, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Überprüfungskonferenz zu schaffen. Die SPD-Fraktion unterstützt sie bei diesem Bemühen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.