Die aktuelle Russlandpolitik der Bundesregierung

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Deutschland trägt maßgeblich zur Unterstützung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels in Russland bei. Es ist offenkundig: Das ist ein schwieriger Balanceakt. Wir haben ein Interesse an einem stabilen Russland. Stabilität und Verlässlichkeit sind ohne Rechtsstaatlichkeit aber nicht denkbar. Darauf wirken wir ein; das macht die heutige Debatte deutlich.

Ich bin gegen Schwarzweißmalerei. Wir müssen klug und behutsam für die Demokratie in Russland arbeiten. Den Demokraten in Russland ist aber nicht mit Lautstärke geholfen. Wir müssen vielmehr die Rahmenbedingungen beeinflussen, um die Strukturen und die Grundlagen der Demokratie zu stabilisieren. Daran arbeitet diese Bundesregierung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Thema ist die deutsche Russlandpolitik. Deshalb möchte ich gerne auf drei Aspekte aufmerksam machen, die bisher noch keine Rolle gespielt haben:

Erstens. Die USA, Russland und Deutschland haben im Juni 2002 eine Initiative zur Beseitigung von militärischen Altlasten in Russland angestoßen. Ziel des mehrjährigen Programms ist eine globale Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und -materialien. Zu den vorrangigen Anliegen der globalen Partnerschaft gehören die Zerstörung chemischer Waffen, die Demontage von außer Dienst gestellten U-Booten, die Entsorgung spaltbaren Materials und die Beschäftigung früherer Rüstungsforscher. Auch dies trägt, wie ich denke, dazu bei, dass wir Russland stabilisieren und ihm auf dem Weg zur Demokratie helfen. Deshalb bin ich der Bundesregierung für ihr Engagement in diesem Bereich dankbar. Denn diese Initiativen können sich sehen lassen.

Sie unterstreichen unser Interesse an Sicherheit und Stabilität. Die Programme sind ein wichtiger Beitrag, damit die schrecklichen Hinterlassenschaften aus dem Ost- West-Konflikt nicht in die Hände von Terroristen gelangen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auf einen zweiten Aspekt aufmerksam machen, der die Bedeutung der deutschen Russlandpolitik unterstreicht. Die Bundesregierung setzt sich für Abrüstung und Rüstungskontrolle ein. Wir brauchen in einem vereinten Europa keine großen Armeen mehr. Ein Meilenstein dabei ist der Vertrag über die Reduzierung der konventionellen Streitkräfte in Europa, kurz: KSE-Vertrag. Das Abkommen ist für Frieden, Stabilität und Sicherheit an den Grenzen Russlands von großer Bedeutung. Wir müssen daher alles dafür tun, dass der angepasste KSE-Vertrag so schnell wie möglich in Kraft tritt.

Die erfolgreichen Anstrengungen Russlands, seine Streitkräfte auf die im Art. V des Vertrages vereinbarten Obergrenzen zu reduzieren, verdient Anerkennung; gleichwohl brauchen wir eine Klärung der noch offenen Fragen zwischen Russland und Georgien. Hier hat die Bundesregierung geholfen, Vertrauen und Verständigung zu fördern. Auch dies ist ein Aspekt, auf den wir, wenn wir über deutsche Russlandpolitik sprechen, hinweisen müssen. Erst vor kurzem hat eine georgische Delegation auf Einladung der Bundesregierung in Deutschland an einem Seminar über die Lage im Südkaukasus und den angepassten KSE-Vertrag teilgenommen.

Auch wenn sich der erwartete vollständige Abzug russischer Truppen aus Moldau weiter verzögert, besteht die Hoffnung, dass Russland die vollständige Erfüllung dieser Verpflichtungen bis Ende 2003 erreichen kann. Ich bin mir daher sicher, dass die Bundesregierung diesen Prozess im Rahmen der OSZE weiter fördern wird. Die Erfüllung der noch offenen Istanbuler Verpflichtungen bezüglich Georgien und Moldau wird die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Mitgliedsländer des Bündnisses und andere Vertragsstaaten die Ratifizierung des angepassten KSE-Vertrags weiterführen können und dieser in Kraft treten kann. Dies ist die Voraussetzung für weitere, mutige Abrüstungsschritte in Europa.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die Gelegenheit nutzen, um ein drittes Thema anzusprechen: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist eine schwierige Aufgabe. Militärische Mittel sind dabei nur begrenzt hilfreich und angemessen. Leider müssen wir beobachten, dass im Windschatten dieser Aufgabe neue Unsicherheiten zwischen Staaten provoziert werden. Dazu zählt die Absicht, ohne Beachtung des Völkerrechts Gewalt in Form von militärischer Prävention einzusetzen.

Vor einem Monat wurden Teile der neuen russischen Militärdoktrin bekannt. Auch darin sind offenbar Präventivschläge gegen Staaten und Regionen vorgesehen, von denen ?eine Gefahr für die nationale Sicherheit Russlands ausgeht?. Darüber hinaus wurde die Aufstellung neuer Atomraketen mit Mehrfachsprengköpfen angekündigt. Dies sind Entwicklungen, die uns beunruhigen müssen.

Die SPD-Fraktion bekräftigt, dass das offenbar von immer mehr Staaten in Anspruch genommene Recht zu Präventivschlägen nicht der richtige Weg sein kann, um die internationale Politik zu gestalten. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für die USA, sondern auch für Russland.

Ich bitte daher die Bundesregierung, mit Russland über die Folgen einer neuen Militärdoktrin zu sprechen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte hat deutlich gemacht: Die Bundesregierung unterstützt die Reformen von Präsident Putin. Wir brauchen ein stabiles und demokratisches Russland. Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und soziale Sicherheit sind Voraussetzungen für den Frieden in Europa. Wir müssen Russland weiterhin als kooperativen Partner in die internationale Politik einbinden. Ich ermutige die Bundesregierung, diesen Weg  weiterzugehen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 13.11.2003
Thema: 
Plenarrede zur Aktuellen Stunde "Die aktuelle Russlandpolitik der Bundesregierung"