Mehr Hindernisse als Chancen für eine rot-rot-grüne Außen- und Sicherheitspolitik

Es sind noch über zwei Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl, doch der Vorwahlkampf hat offenbar schon begonnen. In der letzten Ausgabe der Neuen Gesellschaft hat der ehemalige Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin (der im Falle eines rot-grünen Wahlsieges 2013 allerdings eher mit dem Finanz- als mit dem Außenministerium liebäugelte) in einem sehr lesenswerten Beitrag die Chancen und Hindernisse einer rot-rot-grünen Außen- und Sicherheitspolitik erörtert, die bei ihm allerdings unter rot-grün-rot firmiert. Dahinter steckt vermutlich der Anspruch der Grünen, bei der Bundestagswahl 2017 die LINKE hinter sich zu lassen. In den meisten Punkten ist seiner Analyse nichts hinzuzufügen.


So ist seine Prognose, Deutschland sei eine ?Insel der Seligen? in einem ?Meer? voller Krisen und Konflikte zweifelsohne richtig, sein Befund Deutschland und seine außenpolitischen Eliten befänden sich im Biedermeier 2.0 jedoch reines ?Feuilleton?. Denn schon seit langem wurde und wird nicht mehr so viel über Außenpolitik diskutiert und gestritten wie heute ? und zwar nicht nur unter den politischen Eliten, sondern auch in weiten Teilen der Bevölkerung. Daran haben die Krise und der Krieg in der Ostukraine zweifelsohne einen hohen Anteil. Der von Frank-Walter Steinmeier ins Leben gerufene Review 2014-Prozess war ein großer Erfolg. Und auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen plant das neue Weißbuch unter Einbeziehung vieler gesellschaftlicher Gruppen in einem offenen Prozess zu erarbeiten. Aber auch über Flüchtlinge, TTIP und die Implosion der arabischen Welt wird nicht nur in Talkshows diskutiert. Und auch die Behauptung Trittins, ?das Land sei sich selbst genug? hält einem Realitätscheck nicht stand. Nicht nur bei der Eurokrise und der Aufnahme von Flüchtlingen hat Deutschland eine führende Rolle übernommen, sondern ebenso bei der Ukraine-Krise. Auch die G-7-Präsidentschaft 2015 und der OSZE-Vorsitz 2016 zeigen, dass das Land seine Verantwortung nicht nur kennt, sondern auch wahrnimmt. Aber geschenkt ? es ist das gute Recht der Opposition zu sagen, was man selbst anders und besser machen würde, wenn man an der Regierung wäre.


Zu Recht mokiert sich Jürgen Trittin über die vollkommen überzogenen bis hysterischen Reaktionen der Unionsparteien auf die Wahl von Bodo Ramelow zum ersten Ministerpräsidenten der LINKEN in Thüringen. Diese zeigen in der Tat, dass die Union Angst hat, nach den Ländern nun auch die Macht im Bund zu verlieren. Und in der Tat: Wenn die SPD jenseits der ?babylonischen Gefangenschaft? in einer großen Koalition eine Machtperspektive haben möchte, muss sie sich entweder mit der LINKEN arrangieren oder auf eine Ampelkoalition setzen ? vorausgesetzt der FDP gelingt der Einzug in den Bundestag. Die LINKE, oder präziser der linke Flügel der LINKEN, tut derzeit jedoch alles, um ein rot-rot-grünes Bündnis in weite Ferne rücken zu lassen. So dürfte das Agieren und Taktieren der LINKEN in der Ukraine-Krise und bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen die Wahrscheinlichkeit einer rot-rot-grünen Koalition für 2017 nicht gerade erhöht haben. Im Gegenteil: Der Gedanke an die Außenpolitik einer rot-rot-grünen Regierung in der Ukraine-Krise ? unter Beteiligung von grünen Menschenrechtsaktivisten und linken Putin-Apologeten ? lässt einen froh und dankbar sein, dass derzeit Frank-Walter-Steinmeier deutscher Außenminister ist.


Fest steht jedenfalls, dass die Sollbruchstelle etwaiger zukünftiger Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und der LINKEN in der Außenpolitik liegt. Maßgeblich dafür mit verantwortlich ist ein bisweilen nur schwer erträglicher Hang zur Selbstgerechtigkeit bei einigen Außenpolitikern der LINKEN, die sich in populistischen Stil und mit weitgehend undifferenzierten und verbal-radikalen Positionen stolz als Mitglieder der vermeintlich einzigen und wahren Friedenspartei gerieren.


Nun gibt es sicherlich genügend Gründe für eine selbstkritische Aufarbeitung der rot-grünen Außen- und Sicherheitspolitik vom Kosovo-Krieg bis hin zum Afghanistaneinsatz. Wahr ist auch, dass Deutschland bereits unter Rot-Grün zum drittgrößten Waffenexporteur aufgestiegen ist. Zweifelsohne gibt es auch nach wie vor eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten linker Außenpolitik: Internationale Sozial- und Rohstoffpolitik, zivile Friedenssicherung, restriktive Rüstungsexportpolitik und Stärkung der Vereinten Nationen und der OSZE. Zu den strittigen Themen gehören neben der Bündnispolitik in erster Linie die Europapolitik und die Politik gegenüber den Vereinten Nationen. Hier ist die LINKE mit ihren Positionen zu Recht weitgehend isoliert.


Der von Jürgen Trittin geforderte außenpolitische Konsens der als Grundlage für eine rot-rot-grüne Außen- und Sicherheitspolitik dienen sollte, ist deshalb mehr als brüchig. Von den Punkten, die er nennt (Einbindung Deutschlands in die EU, ein enges transatlantisches Verhältnis samt NATO-Mitgliedschaft, ein kooperatives Verhältnis zu Russland, Anerkennung des Existenzrechts Israels, Primat der Vereinten Nationen) ist nur das ?kooperative und nicht-konfrontative Verhältnis zu Russland? zumindest theoretisch unstrittig.


Denn den Meisten in der LINKEN gilt Europa nach wie vor als neoliberales und militaristisches Machwerk, das man bekämpfen muss. Die LINKE spielt dabei zunehmend die nationalstaatliche Karte, von einem europäischen Bundesstaat will sie nichts wissen. Statt antiimperialistisch geriert sich die Partei antieuropäisch und nationalistisch und befindet sich damit europaweit in zweifelhafter Gesellschaft. Ausgerechnet die ?internationalistische? LINKE schwingt sich zunehmend zum verbissenen Verfechter des Nationalstaates auf. Die im internationalistischen Gewand von der LINKEN vorgetragene Kritik an der EU ist in Wahrheit ein Beitrag zu einer Renationalisierung deutscher Politik.


Noch größer dürften die Unterschiede hinsichtlich der Rolle der NATO und der Notwendigkeit einer transatlantischen Partnerschaft sein. Hier ist das Feindbild USA weitgehend intakt ? wobei diese zugegebenermaßen auch einiges dafür getan haben, um dieses weiter zu festigen. Wenn aber LINKE Politiker und Landesverbände den Parteiausschluss des Reformers Stefan Liebich fordern, nur weil dieser ? im Übrigen auf Bitten Gregor Gysis ? Mitglied der Atlantikbrücke ist, zeigt dies mehr als deutlich, wie weit es selbst um das innerparteiliche Demokratieverständnis der LINKEN bestellt ist. 


Und zum ?kooperativen Verhältnis zu Russland? nur so viel: Es ist nicht zu leugnen, dass in der Ukraine-Krise tiefe Gräben zwischen der LINKEN und der Sozialdemokratie aufgerissen wurden, die allerdings zwischen den LINKEN und den Grünen sogar noch tiefer sein dürften. Für die Putin-Apologeten der LINKEN hat nämlich nicht Russland, sondern die NATO den Status quo in Frage gestellt. Die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ostukraine ist demzufolge lediglich eine verständliche ? wenn auch spät ? erfolgte russische Reaktion auf die NATO- und EU-Erweiterungsrunden seit 1999. Dass zwischen Deutschen und Russen unter anderem die Polen, Ungarn, Balten und Ukrainer liegen, kümmert die LINKE in diesem Zusammenhang nicht weiter. Und auch bei dem ?Primat der Vereinten Nationen? muss man zwischen deklaratorischer und tatsächlicher Politik genau hinschauen: Besonders absurd wirkte die Verweigerungshaltung der LINKEN bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen. Bei der Frage was schwerer wiegt, das strikte Nein der Partei zu Auslandseinsätzen oder eine sichere Zerstörung von 560 Tonnen gefährlicher Chemikalien aus syrischen Armeebeständen unter militärischem Schutz, entschied sich die Mehrheit für den ihr eigenen gesinnungsethischen Vulgärpazifismus. Immerhin stimmte die LINKE erstmals in Teilen für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr. Während 35 Parlamentarier bei ihrer programmatischen Verweigerung blieben, enthielten sich 19 Fraktionsmitglieder und ganze fünf stimmten gar für das Mandat  - bezeichnenderweise alles Abgeordnete aus Ostdeutschland.


Nichtsdestotrotz: Die notwendige Diskussion, wann und ob militärische Beteiligungen im Rahmen von Beschlüssen der Vereinten Nationen sinnvoll sind und zur Friedenssicherung beitragen, muss weitergeführt werden. Die LINKE hat ? von wenigen Ausnahmen abgesehen ? die Möglichkeit, zu dieser Debatte sachlich beizutragen, nicht genutzt. Den Gedanken, dass man sich durch Nichteingreifen ebenso schuldig machen kann wie durch Eingreifen, lässt DIE LINKE gar nicht erst zu. Die Durchsetzung der Herrschaft des Rechtes und die Sicherung von humanitären Einsätzen der Hilfsorganisationen durch UN-Einsätze sind für die Stärkung des Friedens und der Menschenrechte in bestimmten Fällen unverzichtbar. Wer, wie DIE LINKE, friedenserhaltenden Einsätzen der Vereinten Nationen die Unterstützung versagt, verabschiedet sich von einer verantwortlichen Außenpolitik, die Frieden und Menschenrechte zum Ziel hat.


In der Frage einer restriktiven Rüstungsexportpolitik gibt es zweifelsohne Schnittmengen mit der LINKEN und den Grünen  ? obgleich es natürlich auch innerhalb der SPD und der organisierten Arbeiterschaft (IG Metall) einen mächtigen Flügel gibt, der das Industrie- und Arbeitsplatzargument stark betont. Während die LINKE Waffen- und Rüstungsexporte grundsätzlich ablehnt, plädieren SPD und Grüne für eine restriktivere Rüstungsexportpolitik und sprechen sich gegen Waffenlieferungen in Krisenregionen aus. Hier hat Wirtschaftsminister Gabriel durchaus gegen den Widerstand der Unionsparteien eigene Akzente gesetzt ? auch wenn diese der Opposition naturgemäß nicht weit genug gehen. Trittins Forderung, über Rüstungsexporte solle künftig im Auswärtigen Amt und nicht im Bundeswirtschaftsministerium entschieden werden, dürfte einem grünen Außenminister (Trittin?) jedenfalls in der Zukunft viel Freude bereiten.


Auch im Bereich Abrüstung und Rüstungskontrolle gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen den drei Parteien. Die Stärkung des Nichtverbreitungsvertrages, ein neuer KSE-Vertrag oder die Abrüstung der taktischen Nuklearwaffen wären hier zu nennen. Wobei die SPD die Fixierung der LINKEN und der Friedensbewegung auf die in Büchel lagernden 30 Sprengköpfe nicht teilt, sondern sich für eine Einbeziehung aller auf europäischem Boden lagernden Atomwaffen einschließlich des russischen Arsenals ausspricht. Ein neuer Vertrag über konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle kann hier als Flankierung dienen.  

 
Auch Trittins Forderung nach einer ?Europäischen Armee? und nach mehr Mitspracherechten für das Europäische Parlament ist berechtigt, bleibt aber vage, wenn nicht zugleich die Hindernisse und Schwierigkeiten auf dem Weg dorthin benannt werden. Und die Ehrlichkeit gebietet es zuzugeben, dass wir dem Ziel 0,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, auch unter Rot-Grün nicht gerecht geworden sind. Hier gäbe es zweifelsohne Handlungsbedarf für eine rot-grün-rote Regierung.


Interessant am Artikel von Jürgen Trittin ist auch die kaum verklausulierte Absage an Schwarz-Grün, wenn er bezweifelt, ob die ?Grünen in einem schwarz-grünen Bündnis die Kraft hätten, die Hegemonie der Austerität (?) zu durchbrechen?. In der Tat würde hier ein rot-grün-rotes Bündnis sicherlich andere Akzente setzten. Ob Cem Özdemir, Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckhard Schwarz-Grün ebenso skeptisch gegenüberstehen sei einmal dahin gestellt. Und auch im Falle TTIP ist im uneingeschränkt zuzustimmen, wenn er anmerkt, dass es ?um bessere globale Governance und nicht ums Chlorhühnchen? geht.


Der Primat der Vereinten Nationen und die Notwendigkeit eines völkerrechtlichen Mandates sind ebenfalls Forderungen der Sozialdemokratie. Aber Jürgen Trittin weiß sehr gut, dass sein apologetischer Satz ?Es darf keine Interventionen mehr ohne Mandat der Vereinten Nationen geben? in der Vergangenheit von der politischen Realität, sei es im Kosovo, sei es im Nordirak, eingeholt wurde.


Abschließend lässt sich festhalten, dass Jürgen Trittin die Agenda einer rot-grün-roten Außen- und Sicherheitspolitik zutreffend beschrieben hat. Ob der Wähler einer solchen Koalition ein Mandat gibt, ist die eine Frage. Die andere ist, ob die LINKE dazu in der Lage ist, ihr Programm der Realität eines Koalitionsvertrages anzupassen. Beide Fragen muss man derzeit leider verneinen. Deshalb scheint derzeit eine rot-grün-rote Regierungskoalition in der nächsten Legislaturperiode äußerst unwahrscheinlich. Dies ist bedauerlich. Allerdings sind zwei Jahre in der Politik eine Ewigkeit. Noch hat die LINKE Zeit, ihre außenpolitischen Positionen zu überdenken. Und wer weiß: Vielleicht werden in der Rückschau die fünf Ja-Stimmen bei der Abstimmung über die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen einmal als Wendepunkt hin zu einer verantwortungsvollen Außenpolitik der LINKEN gelten. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Kommentar zu Jürgen Trittin
Veröffentlicht: 
In: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 6/2015, S. 48-51