Rüstungskontrolle in der Krise

Die Prager Rede von Barack Obama über eine atomwaffenfreie Welt ist gerade mal sechs Jahre her - und doch scheint sie aus einer anderen Welt zu kommen. Noch vor einem Jahr endete jede Bestandsaufnahme der sicherheitspolitischen Lage mit der Feststellung, die Bundeswehr müsse sich nicht mehr auf Panzerangriffe aus dem Osten, sondern auf friedenserhaltende Einsätze außerhalb Europas einstellen. Jetzt reaktiviert sie Leopard-Panzer. Statt von der Friedensdividende ist nun die Rede von der Erhöhung des Verteidigungshaushaltes.

Von Abrüstung redet heute keiner mehr. Seit Russlands völkerrechtswidriger Annexion der Krim und dem von ihm angezettelten Krieg in der Ostukraine sind die Grundlagen der europäischen Sicherheitsarchitektur infrage gestellt. Russland droht nicht nur mit der Stationierung von Atomwaffen auf der Krim. Es hat zudem zum 11. März dieses Jahres endgültig seinen Austritt aus der gemeinsamen Beratungsgruppe des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) bekanntgegeben.

Immerhin hat Russland zugleich Gespräche über ein neues Rüstungskontrollabkommen für Europa angeboten. Hier sollte man es beim Wort nehmen. Die nächste KSE-Überprüfungskonferenz findet 2016 statt und Deutschland übernimmt im selben Jahr den OSZE-Vorsitz. Im günstigsten Fall kann es gelingen, zumindest die Verhandlungen über ein neues Abkommen aufzunehmen.

Abrüstungspolitisch befindet sich Europa jedenfalls wieder auf dem Stand Ende der 1980er Jahre. Denn es wird wieder aufgerüstet. Zwar ist die Zahl der weltweit stationierten Atomsprengköpfe in den letzten fünf Jahren um mehr als ein Viertel gesunken (von 22 600 auf 16 200). Allein seit 2013 haben die USA und Russland ihre Arsenale um zusammen knapp 1000 Sprengköpfe reduziert. Doch verfügen beide Staaten nach wie vor über 93 Prozent aller Nuklearwaffen. Zudem haben sie ihre vertraglichen Verpflichtungen bislang vor allem durch die Reduktion und Verschrottung von veraltetem Material erfüllt.

Eine Welt ohne Atomwaffen ist weiterhin nicht in Sicht. Zumal alle fünf "offiziellen Atommächte? dabei sind, neue Systeme für den Einsatz von Kernwaffen zu entwickeln, oder entsprechende Programme angekündigt haben. Allein die USA planen, im nächsten Jahrzehnt 350 Milliarden US-Dollar für die Modernisierung ihrer Atomwaffen zu investieren. Auch bei den multilateralen nuklearen Abrüstungsthemen gibt es keinerlei Fortschritte. Seit der letzten Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages 2010 hat sich der Graben zwischen Kernwaffenstaaten und nuklearen Abrüstungsbefürwortern weiter vertieft. Die Aussichten auf ein gemeinsames Schlussdokument bei der vom 28. April bis 22. Mai dieses Jahres in New York stattfindenden neunten Überprüfungskonferenz stehen deshalb schlecht.

Dagegen lassen sich die konkreten abrüstungspolitischen Fortschritte an einer Hand abzählen. Dazu gehören das Inkrafttreten des Vertrages über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty) im Dezember 2014, der Beitritt Syriens zum Chemiewaffen-Übereinkommen im Oktober 2013 und die Zerstörung seiner chemischen Kampfstoffe und Produktionsanlagen unter internationaler Aufsicht. Deutschland hat dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet. Ein weiteres positives Signal könnte von einer Einigung im Konflikt um das iranische Atomprogramm Ende März ausgehen.

Das Auswärtige Amt ist nicht für die Krise der Rüstungskontrolle verantwortlich - aber es reagiert auf sie. Die beschlossene Strukturreform ist auch eine Folge der veränderten außenpolitischen Rahmenbedingungen. Um künftig früher, entschiedener und substanzieller insbesondere in den Bereichen Krisenprävention, -bewältigung und -nachsorge handeln zu können, wird das Ressort an einigen Stellen umgebaut.

So wird eine neue "Abteilung für Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge" geschaffen. In ihr werden Referate unterschiedlicher Abteilungen gebündelt. Und die Abteilung "Vereinte Nationen? sowie die "Abteilung für Abrüstung und Rüstungskontrolle? werden zur "Abteilung für Internationale Ordnungsfragen, Vereinte Nationen und Rüstungskontrolle" zusammengelegt.

Die latent beleidigten Kommentare von Teilen der Friedensforschung über den "Bedeutungsverlust der Abrüstung" und das "mangelnde friedenspolitische Engagement" ließen nicht lange auf sich warten. Sie sind jedoch wohlfeil, zumal sich die Anzahl der Referate in der neuen Abteilung nicht verringert hat und die neue Abteilungsleiterin als "Beauftragte der Bundesregierung für Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle" fungiert. Dass in der Abrüstungspolitik über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte der Stillstand beziehungsweise die Blockade verwaltet wird, liegt jedenfalls nicht an Deutschland.

Jedenfalls wird die Abrüstung nicht durch eine Strukturreform des Auswärtigen Amtes infrage gestellt, sondern ganz konkret durch die Atomwaffenstaaten und deren Nachahmer. Wenn das internationale Umfeld nicht stimmt, nutzen hehre Absichtserklärungen über eine atomwaffenfreie Welt nur wenig. Wir müssen versuchen, das, was von der Rüstungskontroll-Architektur noch übrig ist, zu retten - zumal Fortschritte letztlich vom Verhältnis USA-Russland abhängig sind. Dazu bedarf es Beharrlichkeit und neuer Ideen - auch aus der Friedensforschung. Gerade in Zeiten von Krisen und Konflikten brauchen wir Rüstungskontrolle, Vertrauensbildung und Abrüstung nötiger denn je.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Vom Abbau der weltweiten Waffenarsenale redet heute kaum noch jemand. Wir müssen retten, was hier noch zu retten ist.
Veröffentlicht: 
Frankfurter Rundschau, 18.03.2015