Japan und Deutschland: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Auch wenn 2011 für Japan und die Welt immer als das Jahr der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe und des Reaktorunglücks von Fukushima in Erinnerung bleiben wird, ist es auch das Jahr, in dem Japan und Deutschland das 150-jährige Bestehen ihrer Beziehungen feiern. Man kann sicherlich feststellen, dass sich diese Freundschaft auch in der Stunde der Not bewährt hat. Der 150-igste Jahrestag der Unterzeichnung des Handels-, Schifffahrt- und Freundschaftsvertrags zwischen Preußen und Japan am 24. Januar 1861 gibt Anlass, die gemeinsame Entwicklung Revue passieren zu lassen, Bilanz zu ziehen und den Blick auf die Zukunft zu richten. Der Deutsche Bundestag nahm das Jubiläum gerne zum Anlass, einen klaren, von allen Fraktionen getragenen Beschluss über die Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Japan zu verabschieden.
150 Jahre deutsch-japanische Beziehungen
Das bilaterale Verhältnis Deutschlands zu Japan ist traditionell vertrauensvoll und freundschaftlich. Gemeinsame Werte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und freiheitliche Demokratie aber auch die freie Marktwirtschaft sind ein starkes Bindeglied. Zwischen beiden Ländern gibt es zudem ein großes Maß an Ähnlichkeiten zu Beginn ihrer nationalstaatlichen Entwicklung. Beide Länder waren "Spätankömmlinge" der Geschichte. Sowohl in Japan als auch in Deutschland setzte die Industrialisierung gegenüber Großbritannien und Frankreich verspätet in der Mitte bzw. gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein. Sie traten fast gleichzeitig als frisch vereinte Nationen auf die Weltbühne: Japan mit der Meji-Restauration von 1868, Deutschland mit Bismarcks Reichsgründung 1871.
Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem sich Japan und Deutschland feindselig gegenüber standen, kam es zu einer deutsch-japanischen Wiederannäherung. Die Beziehungen konzentrierten sich nun vor allem auf den kulturellen Bereich. Es kam zum Abschluss eines Kulturabkommens und zur Gründung diverser kultureller Institutionen, wie das Japan Institut (Berlin, 1926), das Japanisch-Deutsche Kulturinstitut (Tokyo, 1927), und das Japanisch-Deutsche Forschungsinstitut (Kyoto, 1934).
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland entwickelte sich das japanisch-deutsche Verhältnis zu einer Kriegsallianz. Allerdings kam es im Krieg zu keiner substanziellen Kooperation zwischen Japan und Deutschland. Getrennt fochten Deutschland und Japan ihre Aggressions- und Eroberungskriege, mit verheerenden Folgen für die Menschen in den betroffenen Nachbarländern - wie auch in ihren Heimatländern. Beide Staaten waren zweifelsohne totalitäre Staaten, aber Japan war nie ein "faschistischer" Staat. Das Bündnis mit dem nationalsozialistischen Deutschland war im japanischen Außenministerium stets umstritten, und der "Anti-Komintern-Pakt" hinderte Japan nicht daran, 1941 ein Neutralitätsabkommen mit der Sowjetunion abzuschließen. Überspitzt könnte man das deutsch-japanische Verhältnis bis 1945 aus japanischer Sicht als Zweckpartnerschaft mit Vorbehalten kennzeichnen. Beide Staaten waren fest in ihren Regionen verankert, die sie auch zum Ziel ihrer Aggressionen machten. Der Zweite Weltkrieg endete für beide Ländern 1945 in der bedingungslosen Kapitulation und in einer politischen und moralischen Katastrophe.
Nach Kriegsende wurde Japan durch die Potsdamer Erklärung gezwungen, die besetzten Gebiete zu verlassen und sein Staatsterritorium auf seine vier Hauptinseln zu beschränken. Es begann eine politische Neugestaltung im demokratischen Sinn und nach amerikanischem Vorbild. Das Reich der aufgehenden Sonne behielt zwar seinen Kaiser, doch der hatte nun lediglich eine repräsentative Funktion. Regiert wurde das Land von nun an vom Reichstag, der aus Senat und Repräsentantenhaus besteht. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten Japaner wie Deutsche ganz von vorn anfangen. Beiden gelang es, binnen relativ kurzer Zeit, sich aus den Trümmern herauszuarbeiten; dem deutschen Wirtschaftswunder folgte das japanische. Unter den Wirtschaftsmächten der Welt eroberten sie den zweiten und den dritten Rang (und behielten ihn bis vor kurzem, als das aufstrebende China sie überholte). Beide Staaten haben zudem seit ihren traumatischen Erfahrungen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts auf traditionelle Machtpolitik verzichtet. Sie versuchten nach dem Zweiten Weltkrieg, ihre Interessen vielmehr vermittels wirtschaftlicher und finanzieller Instrumente, durch die Anbindung an die USA und die Einbindung in multilaterale Institutionen zur Geltung zu bringen - wofür in der Politikwissenschaft das Konzept der Zivilmacht entwickelt wurde.
Im Zuge einer offenen Außenpolitik Japans, besonders gegenüber den USA und der EU (damals EG), wurden auch die Kontakte zu Deutschland intensiviert. Die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten wurden 1952 wieder aufgenommen. Als Folge des "Wirtschaftswunders" in der Bundesrepublik sowie der verstärkten Konzentration Japans auf den Handel mit den Vereinigten Staaten wuchs die Wirtschaft enorm. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre kam es zu einem rasanten Wachstum des bilateralen Handels, welches Japan zur weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft wachsen lies. Dies führte auch zu einer Wiederaufnahme des kulturellen und wissenschaftlichen Austauschs. 1956 trat Japan den Vereinten Nationen bei, 1975 wurde Japan Gründungsmitglied der G 7, der heutigen G 8.
Nach der Erfahrung mit den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki engagiert sich das Land sehr stark gegen eine militärische Nutzung der Atomenergie. Gemäß der Verfassung hielt sich Japan lange Zeit aus sämtlichen internationalen bewaffneten Konflikten heraus und forcierte stattdessen eine auf Freihandel ausgerichtete multilaterale Handelspolitik und betrieb ähnlich wie Deutschland Scheckbuchdiplomatie. Japan hat nach den USA das zweitgrößte Budget für Entwicklungszusammenarbeit in der Welt. Im Januar 2004 stimmte das Parlament zum ersten Mal seit 1945 der Entsendung japanischer Soldaten in ein fremdes Land zu, nämlich in den Irak. Während der damalige Ministerpräsident Koizumi darin einen Beweis für die engen freundschaftlichen Beziehungen zu den USA sah, betrachteten viele Japaner dies als Verfassungsbruch.
Damit einher ging die Wiederaufnahme und der Ausbau des kulturellen und wissenschaftlichen Austauschs. 1969 wurde das Japanische Kulturinstitut in Köln gegründet und 1974 das Rahmenabkommen zum Wissenschaftsaustausch zwischen Japan und Deutschland unterzeichnet. Eine rege gegenseitige Besuchstätigkeit setzte auf höchster politischer Ebene ein. Höhepunkt war 1971 der Deutschlandbesuch des japanischen Kaisers Hirohito. 1985 wurde das Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin (JDZB) und 1988 das Deutsche Institut für Japanstudien (DIJ) in Tokyo gegründet, die Zahl der japanologischen Lehrstühle verdoppelte sich während der 1980er Jahre fast. 1993 entstand schließlich das "Deutsch-Japanische Dialogforum", das dem Gedankenaustausch führender Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Medien dienen sollte.
Gemeinsame Herausforderungen im 21. Jahrhundert
Die gemeinsame Verpflichtung zur Lösung globaler Herausforderungen und zur Sicherung von Frieden und Stabilität in regionalen Krisenherden beizutragen, lässt Deutschland und Japan zu natürlichen Partnern für das 21. Jahrhundert werden. Dieser Verantwortung können Deutschland und Japan gerecht werden, wenn sie ausgehend vom soliden Fundament der deutsch-japanischen Partnerschaft neue Initiativen entwickeln.
Im Zuge der engen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Kooperationen hat sich in den letzten Jahrzehnten auch die außenpolitische Zusammenarbeit verdichtet. Beide Länder stehen zudem vor ähnlichen Herausforderungen und Problemen: die Alterung und Schrumpfung ihrer Bevölkerung; die Sicherung der Energieversorgung; die Einbindung der aufstrebenden jungen Mächte, vor allem Chinas, in die vorhandenen globalen Ordnungsinstitutionen sowie die Bewältigung, wenn möglich die Verhinderung des Klimawandels. Gemeinsam verfolgen Deutschland und Japan ihre Interessen bei zentralen Zukunftsthemen wie Abrüstung und Nichtverbreitung und Global Governance. Auch Japan setzt verstärkt auf die regionale Zusammenarbeit und Bildung gemeinsamer Institutionen.
Beide Länder bewerben sich zudem um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Die Haltung zur UN-Sicherheitsratsreform sowie die enge Abstimmung über gemeinsame Positionen beim Klimaschutz und weitere gemeinsame Schritte zur Friedenssicherung wie z.B. in Afghanistan und Zentralasien vertiefen die vertrauensvolle Zusammenarbeit und leisten einen Beitrag zur Gestaltung des Globalisierungsprozesses. Die bilaterale Zusammenarbeit wird mittlerweile maßgeblich ergänzt um die immer intensivere Kooperation im EU-, NATO- und OSZE-Kontext. Gemeinsame Anstrengungen beim Anti-Piraterie-Einsatz und Überlegungen zur japanischen Beteiligung an GSVP-Missionen weisen auf das Zukunftspotenzial der Verantwortungspartnerschaft.
Deutschland und Japan verfügen beide über wettbewerbsfähige, exportorientierte Volkswirtschaften. Freier Welthandel, weiterer Abbau von Handelshemmnissen und freie Wechselkurse liegen im gemeinsamen Interesse. Auch im Wirtschaftsbereich gestalten sich die japanisch-deutschen Beziehungen äußerst eng. Deutschland ist für Japan nach wie vor der größte Handelspartner innerhalb Europas, während umgekehrt Japan viele Jahre der wichtigste deutsche Handelspartner in der Region Asien-Pazifik war. Erst Ende 2002 überstieg das Volumen des deutsch-chinesischen Außenhandels erstmals das Volumen zwischen Japan und Deutschland. Große Gegensätze wie z.B. Handelsstreitigkeiten bestehen zwischen beiden Ländern nicht. Auch im Bereich Investitionen ist Japan ein wichtiges Ziel deutscher Investitionen, wie u.a. die Beteiligung von DaimlerChrysler an Mitsubishi Motor Corp. im Jahr 2000 deutlich gemacht hat. Darüber hinaus sehen sich beide Länder angesichts der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft sowie der voranschreitenden Überalterung ihrer Gesellschaften als ausgereifte Industrienationen vor gemeinsame Aufgaben gestellt wie z.B. die Notwendigkeit von Strukturreformen und die Förderung neuer zukunftsweisender Industrien. Bei diesen Fragen bestehen für beide Länder noch genügend Spielräume für eine Zusammenarbeit.
Darüberhinaus kommt in beiden Ländern der demografische Wandel erschwerend hinzu. Die alternde Bevölkerung stellt die Belastbarkeit der sozialen Sicherungssysteme und des Rentensystems beider Volkswirtschaften vor eine große Herausforderung. Wobei Deutschland in der Wertschätzung der älteren und erfahrenen Arbeitskräfte noch etwas von der japanischen Auffassung lernen kann. Ohne eine integrative Haltung gegenüber der Alten findet eine Entwertung derer statt und die Auffassung nicht mehr ausreichend qualifiziert zu sein um auf dem Arbeitsmarkt Chancen zu haben und gebraucht zu werden wächst. Wenn sich diese Haltung in den Köpfen der Deutschen nicht verändert, wird sich die ältere Bevölkerung früher aus dem Arbeitsleben zurückziehen und keine Transferzahlungen mehr leisten können.
Nicht nur finanziell stellt der demografische Wandel beide Länder vor große Herausforderungen. Die niedrige Geburtenrate lag bei beiden Ländern seit Mitte der siebziger Jahre stets unter zwei Kinder pro Frau und ist 2009 bei 1,4 angekommen. Die geringen Raten der letzten Jahre wirken sich nun auch auf die Anzahl der Universitätsabsolventen aus, die infolgedessen sinkt. Da beide Länder ihre gute wirtschaftliche Position Fachkräften und einer hohen technologischen Entwickelung verdanken, gefährdet die geringe Anzahl der Hochschulabsolventen diese Vormachtstellung. Um die Grundlage für Innovationen weiterhin zu garantieren und den Fachkräftemangel auszugleichen, ist eine neue Einwanderungspolitik erforderlich. Während Deutschland den Zustrom langsam öffnet aber immer noch nicht in der Lage ist hochqualifizierte Fachkräfte dauerhaft anzulocken präsentiert sich Japan noch reserviert. Somit sehen sich beide Volkswirtschaften als zweit- bzw. viertgrößte Volkswirtschaft teilweise den gleichen Herausforderungen gegenübergestellt. Die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Japan sind auch für jeweilige innenpolitische Probleme von hohem Interesse wo beide Staaten im Dialog voneinander profitieren können.
Für einen engen Austausch von Wissenschaft und Kultur
Der wissenschaftliche Austausch spielt seit jeher eine wichtige Rolle in den bilateralen Beziehungen. Dies gilt vor allem für die deutschen und japanischen Universitäten: 30 japanische Spitzenuniversitäten bieten seit der Universitätsreform von 2004 als "Centers of Excellence" ein günstiges Umfeld für die ähnlich ausgerichtete "Exzellenz-Initiative" in Deutschland. Verschiedene Hochschulkooperationen werden durch eine Vielzahl von Projektabkommen und Kooperationsvereinbarungen außeruniversitärer Forschungsinstitute ergänzt.
Auch der kulturelle Austausch ist intensiv und vielseitig: Das dichte kulturelle Netzwerk mit 57 Japanisch-Deutschen Gesellschaften, 299 Hochschulkooperationen, ca. 250 deutschsprachigen Lektoren, 60 Städtepartnerschaften und den drei Zweigstellen des Goethe Instituts in Tokyo, Osaka und Kyoto ist Basis und Ausgangspunkt vielfältiger Veranstaltungen. Zur Zeit leben mehr als 30.000 Japaner in Deutschland, davon alleine über 7.000 in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf. Die Stadt am Rhein ist somit nach London und Paris die größte japanische Stadt in Europa.
Die weitere Intensivierung und Ausbalancierung des kulturellen und wissenschaftlichen Austauschs bleibt eine wichtige Aufgabe für die Zukunft. Im Bildungs- und Wissenschaftsbereich bedarf es jedoch größerer Anstrengungen, um das Erlernen der deutschen Sprache und den Austausch von Studierenden zwischen deutschen und japanischen Universitäten zu verbessern. Der deutsche Bundestag ist davon überzeugt, dass der jungen Generation bei der Gestaltung des Verhältnisses beider Länder und der Vertrauensbildung zwischen ihnen eine herausgehobene Bedeutung zukommt. In dem Wissen, dass die junge Generation die solide Partnerschaft zu einer lebendigen Beziehung macht, regt der Deutsche Bundestag die Schaffung eines Koordinators für den Jugendaustausch an. Dieser soll für eine stärkere Wahrnehmung bereits bestehender Austauschprogramme unter der Jugend beider Länder werben und das Interesse am Erlernen der jeweiligen Sprache fördern und wachhalten. Zur Förderung der bilateralen Beziehungen und im Hinblick auf die internationale parlamentarische Zusammenarbeit strebt der Deutsche Bundestag zudem eine Ausweitung der Kontakte und des Erfahrungsaustausches mit dem japanischen Parlament an. Diesem Ziel soll durch die Vergabe von Stipendien im Jubiläumsjahr 2011 besondere Sichtbarkeit verliehen werden.
Fukushima - das Ende des Atomzeitalters ?
Sowohl Deutschlands als auch Japans wachsender Hunger nach Energie konnte in der Vergangenheit lediglich durch Importe angemessen gestillt werden. Um die Abhängigkeit von den ölexportierenden Länder gering zu halten sowie den schwankenden Rohstoffpreisen entgegenzuwirken lag eine Investition in der günstigen Atomenergie nahe. Die Kombination aus Abhängigkeit, hoher technologischer Entwickelung und lukrativen Preisen steigerte die Attraktivität der Atomenergie und lies auch über die geologisch brisante Situation Japans hinweg schauen. Der hohe Technologiestandard in beiden Ländern hat es möglich gemacht, die Atomenergie friedlich nutzen zu können. Dies brachte jedoch gleichermaßen den Trugschluss die atomare Naturgewalt unter Kontrolle zu haben und Gefahren ausschließen zu können. Wie die Tragödie der Atomreaktoren in Fukushima zeigte, wurde das Gefahrenpotenzial trotz hoher Sicherheitsstandards deutlich unterschätzt.
Der Alptraum, der an jenem 11. März 2011 gegen 14.45 Uhr Ortszeit über das Inselreich hereinbrach, hat Tausende von Menschen in den Tod gerissen, Wohngebiete dem Erdboden gleichgemacht und unzähligen Bauern und Fischern die Lebensgrundlage zerstört. Die noch immer allgegenwärtigen Folgen der schlimmsten Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg und des verheerendsten Atomunfalls seit Tschernobyl gehen weit über die Trümmerfelder hinaus. Das jahrzehntelange Vertrauen in die Regierung und andere Autoritäten ist weitgehend verloren gegangen. Während sich der Literaturnobelpreisträger Oe Kenzaburo als wichtige Stimme des intellektuellen Japan schon wenige Tage nach dem 11. März in «Le Monde» mit einer unmissverständlichen Aussage gegen Atomenergie gemeldet hatte, brach kurz vor der großen landesweiten Protestaktion am 11. Juni der Bestsellerautor Haruki Murakami sein Schweigen zum Thema Fukushima. Er deklarierte den Untergang des dem Land eigenen Technikmythos und stellte sich auf die Seite der Atomkraftgegner. Seiner Meinung nach hätten die Japaner aufgrund der Erfahrungen von Hiroshima und Nagasaki von Anfang an "Nein" zur Nukleartechnologie sagen müssen. Jetzt sei es Pflicht eines jeden, seinen Stromkonsum zu überprüfen. Effizienz über alles zu stellen und einfach so weiterzumachen, sei falsch. Zu lange hätten die Bürger Japans es widerspruchslos ertragen, dass die Konzerne im Schulterschluss mit der Regierung Sicherheitsauflagen zugunsten der Gewinnmaximierung missachtet hätten. Es gelte nun, in Sachen Energieproduktion und -verbrauch eine neue ethische Dimension zu gewinnen. Es sei besser, als ?unrealistischer Träumer? verspottet zu werden, denn weiterhin alles hinzunehmen. Bald, so Murakami, würden die japanischen Bürger ihre Zurückhaltung aufgeben, um sich gehörig zu empören.
Wie auch immer: Japan steht an einem Wendepunkt. Trotz aller Schwierigkeiten beeindruckt der Wille, diese aus eigener Kraft zu überwinden. Wer durch die Katastrophengebiete fährt, trifft überall auf Japaner, die sich mit unerschütterlichem Durchhaltewillen daran machen, ihr Schicksal in die eigene Hände zu nehmen und ihre alte Heimat Stück für Stück wiederaufzubauen.
Die Krise auf dem japanischen Festland wurde von der internationalen Gemeinschaft schockiert aufgenommen. Die humanitäre Hilfe Deutschlands und nicht zuletzt der energiepolitische Wandel und Deutschlands angestrebter Austritt aus der Atomenergie zeigen, dass Japans befreundeten Staaten aus der Katastrophe in Fukushima die Konsequenzen gezogen haben.
Japan ist diszipliniert, perfekt organisiert - doch nach dem 11. März war das Krisenmanagement in Fukushima chaotisch. Japaner sehen nun nicht nur ihre politische Elite mit größerer Skepsis, sondern auch die Atomlobby aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Der Glaube an die angeblich so sichere Atomenergie ist erschüttert. Aber reicht das für eine Energiewende in Japan - oder findet die Atomlobby bald zu alter Stärke zurück? Auf den 11. März folgte in Deutschland ein politisches Beben. In Japan stieß die deutsche Berichterstattung auf Unverständnis, von Panikmache war die Rede.
Ausblick
Japan kann noch so modern, ?westlich? und industrialisiert sein, die für den Blick eines europäischen Beobachters stark ritualisierten gesellschaftlichen Prozesse und Umgangsformen sind faszinierend, bleiben aber auch fremd. Allein die Frage nach Tradition und Wandel in der Gesellschaft eröffnet höchst interessante Perspektiven. Akteure, Interessen und das Entscheidungsgefüge der japanischen Politik von außen verstehen zu wollen, ist eine Herausforderung. Die häufigen Regierungswechsel beispielsweise sind ein schwer zu durchdringendes Phänomen. Die Parteienlandschaft zeigt ebenfalls besondere Merkmale, da sich im Vergleich zu Deutschland weniger die großen Volksparteien (in relativ stabilen Koalitionen mit kleineren Partnern) in der Regierung abwechseln, sondern viele Parteineugründungen und -abspaltungen ein verwirrendes Bild ergeben. Japans Wirtschafts- und Industriepolitik ist geprägt vom Leistungsprinzip und von Innovationsfreude. Alleine die geographische Verortung als Inselstaat, der kaum über eigene Rohstoffvorkommen verfügt, erforderte wirtschaftspolitischen Einfallsreichtum.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die japanisch-deutschen Beziehungen unkomplizierter denn je. Durch eine Vielzahl gemeinsamer Interessen, Handlungen und gemeinsamer Verpflichtung zu globaler Verantwortung sind Japan und Deutschland natürliche Partner und eng befreundete Nationen. Die über 150 Jahre gewachsene deutsch-japanische Freundschaft bietet beste Voraussetzungen, gemeinsam zur Lösung globaler Herausforderungen beizutragen. Sie ist eine Erfolgsgeschichte, die es verdient, von beiden Partnern fortgesetzt und verstärkt und intensiviert zu werden.
Das 150. Jubiläumsjahr des Freundschaftsvertrages zwischen Preußen und Japan bietet eine einzigartige Gelegenheit, Japan in das öffentliche Interesse und Bewusstsein in Deutschland zu rücken. Das Bekenntnis zu freiheitlichen Grundwerten, zu Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit schafft eine enge Verbindung zwischen den beiden Ländern und für Japan eine Sonderstellung in der asiatischen Region. Nicht nur die Katastrophen auch der Gewinn der Fußballweltmeisterschaft der Frauen 2011 in Deutschland hat das Land den Deutschen näher gebracht. Die Spiele der japanischen Mannschaft hier in Deutschland haben begeistert und der Erfolg wird sicherlich dazu beitragen, dass das Land hoffnungsvoll in die Zukunft schaut. Im Jahr von Tsunami, Jahrhundertbeben und atomarer Katastrophe haben die japanischen Fußballerinnen weit entfernt von der Heimat für neue Hoffnungen gesorgt und kann dazu beitragen zumindest für einen Moment, das Leid der vergangenen Monate zu vergessen.