Renaissance oder Ende der nuklearen Weltordnung?

In Stanley Kubricks Film von 1964 lernten wir, die Bombe zu lieben. Heute, 56 Jahre nach der ersten nuklearen Detonation, haben wir uns mit dem Wissen um ihre absolute Zerstörungskraft arrangiert. In einer multipolaren Welt scheint die atomare Währung jedoch an Wert zu verlieren. Ist die Vision einer nuklearwaffenfreien Zukunft also nur ein Traum oder können wir lernen, auf die Bombe zu verzichten? Rolf Mützenich, MdB und außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundes-tagsfraktion, hat sich dieser Frage angenommen.

Hunderttausende Menschen starben, als US-Piloten am 6. August 1945 die erste Atombombe über der japanischen Stadt Hiroshima abwarfen. Diese euphemistisch "Little Boy" genannte totale Waffe beendete nicht nur den Zweiten Weltkrieg im Pazifik, sondern symbolisierte zugleich einen Dammbruch, der von der Möglichkeit der Menschheit zeugte, sich selbst zu vernichten. Die Zündung der sowjetischen Bombe am 29. August 1949 nahe der kasachischen Stadt Semipalatinsk schuf dann mit dem "Gleichgewicht des Schreckens" - eine Ära, der die Bombe den Namen gab. Das Atomzeitalter lebte von der gegenseitigen glaubhaften Vernichtungsdrohung und bescherte zumindest Europa eine lange Zeit eines waffenstarrenden Friedens. Für George Orwell war es eine "scheußlich stabile Welt", in der sich Washington und Moskau weitgehend mit Stellvertreterkriegen begnügten und auch bei der Auswahl ihrer Verbündeten alles andere als wählerisch waren.

Die Atombombe half dabei, sich ab- und andere einzugrenzen. Sie machte ihre Besitzer machtpolitisch bedeutend und auf den ersten Blick berechenbar. Das galt auch noch, als Großbritannien (1953), Frankreich (1964) und die Volksrepublik China (1964) in den Club der Atommächte aufrückten - jene fünf Mächte, die zugleich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als Einzige über ein Vetorecht verfügen. Seitdem spielt im Spannungsfeld von Aufstieg und Fall der Großmächte die nukleare Macht eine nicht zu unterschätzende Rolle und fördert Prestige und Sicherheit eines Staates so schnell und unmittelbar wie keine andere. Diese Wahrnehmung befördert seitdem das Verlangen einzelner Akteure, auch die Bombe zu besitzen.

Die Welt lernte nicht, die Bombe zu lieben, sondern zu fürchten. Doch je weiter von den beiden Supermächten der atomare Schutzschild über ihre Verbündeten gespannt wurde, desto unglaubwürdiger wurde die Abschreckung. Der ständige Kampf um das Machtgleichgewicht schuf die Bedingungen für den Kalten Krieg, welcher wiederum das nukleare Wettrüsten anspornte, aus dem auf beiden Seiten Tausende von Gefechtsköpfen mit beispielloser Zerstörungskraft hervorgingen. Das ursprüngliche Konzept der atomaren Abschreckung war verteidigungsorientiert. Drohung wurde in erster Linie als Vergeltung verstanden. Der Abschreckungsgedanke beruhte darauf, dass Drohung und Gegendrohung, Angriffs- und Vergeltungsschlag ebenbürtig waren. Dies bedeute auch, dass die den ersten Schlag auslösende Seite über den Erwiderungsschlag mit der Selbstvernichtung rechnen musste.

Damit war eine neue Qualität in der Geschichte der Menschheit erreicht, eine Wende im Verhältnis von Krieg und Politik. Krieg im Atomzeitalter war ganz offensichtlich kein (beherrschbares) Mittel der Politik mehr, weil diese nicht mehr die Wahl zwischen Krieg und Frieden hatte - zumindest auf der Grundlage gegenseitig garantierter Vernichtung. Dennoch wurden Konzepte und Waffen entwickelt, die einen auch atomar geführten Krieg "führbar" machen sollten. Der amerikanische Vereidigungsminister Robert McNamara prägte in den 1960er Jahren den Begriff der gegenseitig gesicherten völligen Vernichtung (Mutual Assured Destruction), wofür sich bezeichnender Weise das Kürzel MAD einprägte. Die beiden atomaren Supermächte glichen nach Robert Oppenheimers prägnantem Zitat "zwei Skorpionen in einer Flasche, die beide einander nur auf Kosten des eigenen Lebens hätten vernichten können" - auch wenn der Zukunftsforscher Herman Kahn hierzu lakonisch bemerkte, dass man "mit dem Selbstmord nicht drohen könne".

Auf beiden Seiten wuchs über die 45 Jahre des Kalten Krieges ein Bedrohungsgefühl, dass teilweise hysterische Züge annahm. Erst als die Welt während der Berlin- und der Kuba-Krise zu Beginn der 1960er Jahre an den Rand des Atomkrieges geriet, kam es zum ersten Rüstungskontrollabkommen, dem Moskauer Vertrag über das Verbot nuklearer Explosionen in der Atmosphäre, unter Wasser und im All. Die sich in der Folge herausbildenden Rüstungskontrollregime konnten jedoch die gegenseitigen Aufrüstungsspiralen nicht verhindern: Mitte der achtziger Jahre, auf dem Höhepunkt der sowjetischen Nuklearrüstung, standen 45.000 russische Sprengköpfe 23.000 amerikanischen gegenüber. Genug nukleares Dynamit, um den Planeten gleich dutzendfach auszulöschen. Zeit, um im Westen "nachzurüsten", wie amerikanische und deutsche Politiker, einschließlich des heutigen Abrüstungsbefürworters Helmut Schmidt, meinten und damit unbeabsichtigt eine breite, gelegentlich allzu naive "Friedensbewegung" aus der Taufe hoben.

Herausforderung Abrüstung und Nichtverbreitung

Die Aufrüstungsspiralen und die damit verbundenen Kosten führten aber auch zu einer Art "nuklearem Lernen". Beide Seiten begriffen, dass sie trotz ihrer weltpolitischen Systemkonfrontation auch Elemente der Kommunikation und Kooperation benötigten, um die Gefahr des beiderseitigen Untergangs zu vermeiden. Die Rüstungskontrollverhandlungen der siebziger und achtziger Jahre - mit den SALT- und START-Verträgen, den MBFR-Verhandlungen und dem INF-Vertrag ? waren von dieser Einsicht geprägt.

1970 trat der zwei Jahre zuvor beschlossene Atomwaffensperrvertrag in Kraft. Darin ist festgelegt, dass der Club der Nuklearmächte auf fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates begrenzt bleiben soll. Im Gegenzug verpflichten sich die Atommächte den atomaren "Habenichtsen" gegenüber, ihnen bei der zivilen Nutzung der Kernenergie mit Know-how und Technik zu helfen - und ihr eigenes Arsenal abzurüsten. In Vergessenheit geraten ist, dass damals auch in Deutschland der Verzicht auf die Bombe heftig umstritten war. Nicht wenige in der Union träumten damals vom eigenen Finger am Atomknopf. Altbundeskanzler Konrad Adenauer bezeichnete den Atomwaffensperrvertrag als  "zweites Jalta" und Verteidigungsminister Franz Josef Strauß schmähte ihn gar als ein "Versailles von kosmischen Ausmaßen". Erst unter Willy Brandt unterzeichnete die Bundesrepublik 1969 das Vertragswerk, das mittlerweile von 190 Nationen ratifiziert wurde. Der Atomwaffensperrvertrag ist bis heute eine Erfolgsgeschichte. Er half bei der freiwilligen nuklearen Abrüstung atomarer Schwellenländer wie Südafrika und Brasilien ebenso wie später bei der "nuklearen Entsorgung" der sowjetischen Nachfolgestaaten Kasachstan und der Ukraine. Er konnte naturgemäß bei jenen Staaten nicht funktionieren, die ihm nicht beitraten: Indien, Pakistan und Israel.

Israel, das offiziell nie sein Streben nach Kernwaffen eingestand, wurde vermutlich bereits 1967 zur Atommacht; Indien und Pakistan brauchten etwa 30 Jahre länger, bevor sie 1998 schließlich kurz nacheinander ihre Kernwaffen zündeten. Abdul Qadir Khan, der "Vater der pakistanischen Bombe", wiederum hat nachweislich über Jahre Nordkorea und Iran mit Atomzentrifugen und modernstem Nuklear-Know-how versorgt. Als der Deal einer seiner Tarnfirmen mit Libyen aufflog, wurde Khan zwar unter Hausarrest gestellt, aber nicht einmal Pakistans damaliger Präsident Musharraf traute sich, dem äußerst populären "Doktor Seltsam" den Prozess zu machen. Er verlangte von dem Ingenieur lediglich ein öffentliches Geständnis: Khan musste im Februar 2004 vor die Kameras des pakistanischen Fernsehens treten. Er räumte ein, Teile und Pläne für die Atomrüstung nach Libyen, Nordkorea und in den Iran geliefert zu haben. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Bürgerkrieges in Libyen lohnt es sich daran zu erinnern, dass auch Gaddafi nach der Bombe strebte. Nach neunmonatigen Geheimverhandlungen mit den USA und Großbritannien willigte er am 20. Dezember 2003 ein, alle Massenvernichtungswaffen zu zerstören und seine Programme zur Entwicklung dieser Waffen zu beenden. 2004 unterzeichnete Libyen das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag und öffnete sich den Kontrollen der IAEA. Eine Entscheidung, welche Gadaffi heute möglicherweise bereuen mag. Auch Syrien strebte und strebt nach der Bombe. Im September 2007 zerstörten israelische Kampfflugzeuge eine Atomanlage in Syrien, die zur Gewinnung von Uran genutzt worden sein soll - auch wenn dies die syrische Regierung bis heute bestreitet.

Global Zero - Auf dem Weg zu einer Welt frei von Atomwaffen?

Die Auflösung der bipolaren Stabilität in eine multipolare "Unordnung" hat das internationalen System destabilisiert, aber damit gleichzeitig auch für Veränderungen geöffnet. Zur nostalgischen Verklärung des Abschreckungsfriedens während des Kalten Krieges besteht ohnedies kein Anlass, zumal wenn man seine Opfer, Kosten und Risiken betrachtet. Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes stellte sich nicht nur die Frage, ob erfolgreiche nukleare Abschreckung unter gänzlich anderen Bedingungen auch in Zukunft gelingen kann, sondern auch inwieweit erste Schritte hin zur Vision einer nuklearwaffenfreien Welt realisierbar scheinen. Spätestens seit seiner Prager Rede im April 2009 hat sich Präsident Obama zumindest deklaratorisch ebenfalls zu dieser Vision - wenn auch als Fernziel - bekannt. Obama betonte in seiner Rede ausdrücklich die moralische Verantwortung der USA: "(...) als Nuklearmacht - als einzige Nuklearmacht, die eine Atomwaffe eingesetzt hat - haben die Vereinigten Staaten eine moralische Verantwortung zu handeln (...)" und dass "die Vereinigten Staaten entschlossen sind, sich für den Frieden und die Sicherheit einer Welt ohne Atomwaffen einzusetzen (...)." Zugleich betonte der Präsident jedoch auch: "Solange es diese Waffen gibt, werden wir ein sicheres und wirksames Arsenal zur Abschreckung potenzieller Feinde aufrechterhalten und die Verteidigung unserer Verbündeten garantieren."

Die »International Commission on Nuclear Nonproliferation and Disarmament« hat eine Reihe von Gründen aufgelistet, warum politische Entscheidungsträger nach wie vor an Atomwaffen festhalten.  Zu den gängigsten Glaubensgrundsätzen gehören in erster Linie die nach wie vor für notwendig gehaltene Abschreckungsfunktion gegen konventionelle, chemische und biologische Waffen. Das ist außerdem das Kostenargument, dass da lautet, Atomwaffen seien billiger als konventionelle Streitkräfte sowie zu guter Letzt das am häufigsten verwendete Argument, dass die Erfindung von Atomwaffen nicht mehr ungeschehen gemacht werden könne. Da das Wissen über ihre Herstellung nun mal in der Welt sei, gebe es folglich auch keine realistische Möglichkeit, sie abzuschaffen. Der nukleare Geist ist endgültig aus der Flasche. Um den nuklearen Geist in der Flasche zu halten, müsste ein globales Verifikations- und Kontrollverfahren sicherstellen, dass niemand sich heimlich wieder Atomwaffen zulegt. Realpolitiker und NATO-Strategen wie Lothar Rühl und Christian Hacke hingegen halten die Global Zero-Vision nicht nur für unrealistisch, sondern sogar für gefährlich. Für sie bleibt die nukleare Abschreckung auch in Zukunft unverzichtbar: "Dass Staaten durch das Überleben des anderen etwas zu gewinnen hatten - diese Logik war mit dem Besitz von Nuklearwaffen zutiefst verbunden. Ein Rückfall in eine Welt ohne Nuklearwaffen ist nicht wünschenswert, denn ohne sie wäre auch die Wahrscheinlichkeit größer, dass sich konventionell geführte Kriege bis hin zu einem Weltkrieg ausweiten."

Für Global Zero gilt im Übrigen: "Der Weg ist das Ziel." Abrüstung, Kontrolle und eine weitere Reduzierung bis hin zu einer Minimalabschreckung von wenigen hundert Sprengköpfen sind dabei durchaus realistische Ziele. Auch wenn es bis zu einer atomwaffenfreien Welt noch ein weiter Weg ist, gibt es doch auch erste Erfolge zu verzeichnen: Dazu gehören u.a. die Regionen, die sich selbst für atomwaffenfrei erklärt haben. Derzeit sind 114 der 193 UN-Mitglieder Teil regionaler nuklearwaffenfreier Zonen, in denen der Besitz, die Stationierung und die Androhung der Anwendung von Atomwaffen verboten sind. Zu den positiven Entwicklungen  zählt das Inkrafttreten von zwei neuen Verträgen über atomwaffenfreie Zonen in Zentralasien und Afrika in 2009. Kernwaffenfreie Zonen existieren in Lateinamerika und der Karibik (Vertrag von Tlatelolco, 1967), im Südpazifik (Vertrag von Rarotonga, 1985) in Südostasien (Vertrag von Bangkok, 1997), in Afrika (Vertrag von Pelindaba, 1996), in Zentralasien (Vertrag von Semipalatinsk, 2006) und der Antarktis (Antarktisvertrag, 1959. Die Einrichtung weiterer solcher Zonen in Nordostasien, der Arktis und in Zentraleuropa sollte genauso ermutigt werden wie Schritte zu einer nuklearwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten.. Deshalb müssen die offiziellen Atomwaffenmächte ihre Vorbehalte gegenüber derartigen regionalen Abmachungen zurückstellen und die erforderlichen Zusatzprotokolle wie den Bangkok-Vertrag unterzeichnen. Erstmalig nimmt auch der US-amerikanische Nuclear Posture Review (NPR) das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt explizit auf und stellt fest, dass es "im Interesse der USA und aller anderen Nationen" liege, wenn der "fast 65 Jahre andauernde Rekord, Nuklearwaffen nicht einzusetzen, auf ewige Zeiten ausgedehnt werden" könne. Washington verpflichtet sich erstmals dazu, keine Atomwaffen gegen Nicht-Atommächte einzusetzen. Nuklearwaffen werden als vorrangig politisches Mittel betrachtet. Sie dienen vor allem der Abschreckung. Das Recht auf den Einsatz nuklearer Waffen will sich Washington künftig nur noch gegen Länder vorbehalten, die entweder selbst über Atomwaffen verfügen oder aber biologische und chemische Waffen besitzen und ihre Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag nicht einhalten. Damit geht die NPR weiter als die vom NATO-Gipfel in Lissabon beschlossene Strategie. Weitere Erfolge auf dem Weg zu einer Welt ohne Atomwaffen sind die Unterzeichnung und Ratifizierung des New Start-Abkommens und die Tatsache, dass die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages 2010 mit einem relativen Erfolg und der Verabschiedung eines Abschlusskommuniqués beendet werden konnte, das auch Gespräche über die Errichtung einer von Massenvernichtungswaffen freien Zone im Nahen und Mittleren Osten beinhaltet. Weitere Punkte auf der Abrüstungsagenda sind die taktischen Nuklearwaffen und die noch immer ausstehende Ratifizierung des Atomteststoppabkommens von 1996 durch die USA. Sollen taktische Atomwaffen Gegenstand des nächsten Abrüstungsvertrages werden, so müssten erstmals Regeln dafür geschaffen werden, wie man atomare Sprengköpfe überprüfbar abrüstet. Das ist Neuland und erfordert erheblich mehr Transparenz als die Überprüfung der abzurüstenden großen, sichtbaren atomaren Trägersysteme. Doch der Weg zur nuklearen Abrüstung ist noch weit: Weltweit sind es immer noch an die 25.000 atomare Sprengköpfe. In 40 Staaten der Welt lagern ca. 2.500 Tonnen Spaltmaterial, aus denen theoretisch weitere 200.000 Kernwaffen gebaut werden könnten. Und die Proliferationsgefahren sind sehr real. Klar ist: Die Bedeutung der Atomwaffen insgesamt muss verringert, das nukleare Tabu gestärkt werden.

Auch eine Konsolidierung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ist dringend nötig. Wenn bei der Genfer Abrüstungskonferenz die pakistanische Blockade gegenüber einem Vertrag, der die Produktion von Spaltmaterial für Waffenzwecke verbietet, der sogenannte FMCT, überwunden werden könnte und ein solcher Vertrag abgeschlossen wird, würde auch der gesamte nukleare Komplex in den Kernwaffensaaten unter die Überwachung der IAEO kommen, wäre dies ein beachtlicher Fortschritt.  Ebenso wie eine internationale nukleare Brennstoffbank unter Kontrolle der IAEO zunehmend Gestalt gewinnt. Nicht nur die Atommacht Frankreich setzt sich dafür ein, auch China versucht offenbar Iran davon zu überzeugen, sein Uran in einer solchen Bank anreichern zu lassen, Im sibirischen Angarsk, gut 5.000 Kilometer südöstlich von Moskau, ist sogar bereits eine Brennstoffbank unter der Kontrolle der IAEO eröffnet worden. Um die IAEA effizienter zu machen, müssten alle Staaten das 1997 beschlossene Zusatzprotokoll zum Sperrvertrag für schärfere und unangemeldete Checks unterschreiben ? zurzeit ist es gerade mal in 69 Staaten in Kraft.

Mit diesen konkreten Vorhaben hätte man für die nächsten fünf bis 10 Jahre schon ein sehr reichhaltiges Programm in Richtung auf eine kernwaffenfreie Welt. Letztlich können weitere Abrüstungsschritte jedoch nur dann wirksam sein, wenn die Atommächte bereit sind, weiter abzurüsten und Kontrollorgane mit weitreichenden Kontroll- und Sanktions-Kompetenzen zu schaffen bzw. auszustatten.

Im Übrigen: Auch wenn alle Atomwaffen abgeschafft werden würden, fiele die nukleare Abschreckung nicht weg. Sie würde in Form von Forschungslaboren und Fähigkeiten zur Produktion weiter existieren. Es geht deshalb nicht darum, Erfindungen rückgängig zu machen, sondern Nuklearwaffen weltweit zu ächten und zu verbieten, sowie einen entsprechenden internationalen Kontroll- und Sanktionsmechanismus einzusetzen. Das Wissen über den Bau der Bombe lässt sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Deshalb geht es um die Kunst, mit diesem Wissen zu leben und trotzdem keine Atomwaffen zu bauen. Die Hindernisse auf dem Weg zur Beendigung der atomaren Bedrohung sind in erster Linie politischer und nicht technischer oder militärischer Natur. Kein Naturgesetz steht dem im Wege, sondern mangelnder politischer Willen.

Fukushima - das Ende des Atomzeitalters?

Nach der Atomkatastrophe in Fukushima ist bereits das Ende des Atomzeitalters prognostiziert worden. Angesichts der vorhandenen und der noch geplanten Atomkraftwerke scheint dies etwas voreilig. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass das Land, das geographisch mit am weitesten entfernt von der Katastrophe liegt, die weitreichendsten Konsequenzen gezogen hat. Für Deutschland jedenfalls bedeutet Fukushima definitiv den Einstieg in den endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie. Die Atomkraft als Energiequelle erlebt derzeit jedoch trotz Fukushima eine weltweite Renaissance. Nicht nur in Indien oder China, auch in Brasilien oder Ägypten ? überall entstehen neue Atomkraftwerke. Damit wächst auch die Zahl der Staaten, die Atomwaffen bauen könnten. Die im März 2011 havarierten Reaktoren von Fukushima haben in Lateinamerika nur eine begrenzte Atomdebatte losgetreten. Insbesondere Argentinien, Brasilien und Chile halten unbeirrt am Bau neuer Atomkraftwerke fest. Der damit einher gehende zusätzliche Bedarf an angereichertem Kernbrennstoff steigert auch die Gefahr, dass friedliche Kerntechnik für den Atomwaffenbau missbraucht wird. Nicht zuletzt der ehemalige Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohamed ElBaradei, hat vor der Entstehung "virtueller" Atomwaffenstaaten gewarnt, wenn der nukleare Brennstoffkreislauf geschlossen wird und die Fähigkeit zur Urananreicherung oder Wiederaufbereitung vorhanden ist. M.a.W.: Der Glaube, es gebe zwei Atomenergien - eine gute friedliche und eine böse militärische, erweist sich zunehmend als Irrglaube. Doch die IAEA soll die Atomwaffen kontrollieren - und propagiert gleichzeitig die Atomenergie. Kernkraft bleibt eine janusköpfige Technik, weil die militärische und die zivile Nutzung nicht voneinander zu trennen sind. Es haben immer mehr Staaten als nur die fünf offiziellen Nuklearmächte Zugang zu Atomwaffen und Kernsprengstoffen, und die Gefahr der sogenannten Proliferation - also der Verbreitung von Wissen, Know-how und waffenfähigem Material - wird immer größer, je mehr Staaten es gibt, die Atomkraftwerke bauen. Durch die Entwicklung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken bekommt man auch die Option auf die Bombe.

Sind die Atommächte der Zukunft auch die Weltmächte der Zukunft?

Seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes befindet sich das internationale System im Wandel. Es ist vor allem geprägt durch Veränderungen der Machtverteilung zwischen den großen Mächten. Der relative Niedergang der USA geht einher mit dem Aufstieg der sogenannten BRIC-Staaten , dabei vor allem jener Indiens und Chinas. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Bedeutung nukleare Waffen noch in der Welt des 21. Jahrhunderts haben, in der ganz andere Machtwährungen eine Rolle spielen? Sind die Weltmächte der Zukunft automatisch auch Atommächte? Zbigniew Brzezinski nennt vier Kriterien, die eine Weltmacht ausmachen: Weltweite militärische Präsenz, Größe der Volkswirtschaft, technischer Vorsprung in den innovativen Branchen, insbesondere der Informationstechnik, und kulturelle Ausstrahlungskraft, die sowohl die populäre Massenkultur wie die Elitenkultur betrifft.  In einer Studie der Bertelmann-Stiftung wird die wirtschaftliche Leistungskraft als eine der zentralen Eigenschaften genannt, über die die kommenden Weltmächte definiert werden: Wirtschaftliche Macht, politische Stabilität und ein leistungsfähiger Bildungs- und Forschungssektor werden mit Werten um die 50 Prozent bedacht - während Rohstoffreichtum und vor allem militärische Macht bei 24 beziehungsweise 21 Prozent liegen.  Wirtschaftskraft, technologische Innovation, Rohstoffe und Energieeffizienz, Bildung und menschliche Intelligenz, kurz all das, was Joseph Nye schon vor vielen Jahren unter den Begriff der ?soft power? zusammengefasst hat, beschreibt heute die Insignien die eine Weltmacht des 21. Jahrhunderts.

All dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass Atomwaffen nun völlig bedeutungslos werden. Denn der Besitz der Atombombe verschafft Respekt und ist nach wie vor ein Anreiz für Staaten, besonders für die Parias der internationalen Politik ebenso wie für Terrororganisationen. Gleichzeitig funktioniert die Abschreckung, die im Kalten Krieg  - wenn auch mehr schlecht als recht - die Katastrophe verhindert hat, in einer Welt mit zehn Atommächten nicht mehr. Keiner kann sich mehr darauf verlassen, dass der Gegner  kalkuliert und planvoll handelt. Eine Welt mit noch mehr Atommächten würde also kaum stabiler sein. Auch wenn John Mearsheimer behauptet, der Besitz der Atomwaffe führe zu rationellem und verantwortungsvollem Handeln , würde die ungehemmte Proliferation von Atommächten zum Gegenteil führen: Zu mehr nuklearen Akteuren mit vielfältigen Konflikten, instabilen innenpolitischen Bedingungen und mangelhafter Fähigkeit zu "nuklearem Lernen" - dies wäre eine brisante Mischung. Hinzu kommt, dass die Nicht-Kernwaffenstaaten, die während des Ost-West-Konflikts Nuklearwaffen, wenn auch widerwillig zumindest zeitlich begrenzt toleriert haben, deren Legitimität für die Post-Kalte-Kriegs-Ära grundsätzlich bestreiten. Als Geschäftsgrundlage für das Fortbestehen des Atomwaffensperrvertrages fordern sie einen globalen Konsens über den Vertrag als ein Instrument zur Schaffung einer kernwaffenfreien Welt. Die offiziellen Atommächte haben unter Führung Obamas zwar Interesse an einer weiteren Reduzierung ihrer Nukleararsenale, sehen aber das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt als Vision, der es sich schrittweise zu nähern gilt.

Ein wichtiger Faktor und Antrieb für weitere Abrüstungsschritte sollte dabei nicht verschwiegen werden: Der größte Katalysator für weitere Reduzierungen liegt in der Weltfinanzkrise, die somit zumindest einen positiven sicherheitspolitischen Aspekt hat, indem die Abrüstung - auch der im Unterhalt teuren Nuklearwaffen - erleichtern könnte.

Die nuklearen Weltmächte USA und Russland

Bei der Frage der atomaren Abrüstung spielen die USA und Russland als Erben der beiden Supermächte der bipolaren Welt die Schlüsselrolle. Nach der Auflösung der Sowjetunion gab es ein gemeinsames russisch-amerikanisches Interesse, alle sowjetischen Atomwaffen, d.h. auch die in der Ukraine, in Belarus und Kasachstan lagernden, in den Händen des russischen Staates zu konzentrieren. Das ist gelungen. Zugleich wurde Russland damit militärstrategisch in eine Stellung gehievt, die es sonst auf keinem anderen Gebiet mehr beanspruchen kann: wie zu Zeiten der Sowjetunion der wichtigste Widerpart, Gesprächs- und Verhandlungspartner der USA zu sein.

Das nukleare Dispositiv der USA verliert immer mehr an Bedeutung. Im NPR vom April 2010 verzichtet Washington erstmals explizit auf den Einsatz gegen all jene Nichtkernwaffenstaaten, die sich an die Regeln des Atomwaffensperrvertrages halten. Obama hat damit das wichtigste nukleare Tabu wiederherstellt: Unter ihm kehren die USA zu einer Definition von Atomwaffen als reine Abschreckungsinstrumente zurück, deren Sinn darin besteht, nie eingesetzt werden zu müssen. Washington setzt in Zukunft verstärkt auf modernisierter und effektive konventionelle Waffensysteme und ein globales Netz von Raketenabwehrsystemen.  Atomwaffen könnten somit langfristig auf eine Restabschreckungsgröße von einigen Hundert reduziert werden. Voraussetzung dafür ist, dass das Projekt Raketenabwehr erfolgreich unter Einbeziehung Russlands multilateralisiert wird. Hier gibt es neben Fortschritten auch noch eine ganze Reihe offener Fragen.

Derzeit verfügen Russland und die USA immer noch über fast 20.000 Atomwaffen, wovon ca. 11.000 auf die Russische Föderation und 8.500 auf die Vereinigten Staaten entfallen. 2010 gaben die USA erstmalig bekannt, dass sie noch über 5.113 einsatzfähige Nuklearwaffen verfügen. Künftig - so die neue Vereinbarung - dürfen Russland und die USA jeweils noch bis zu 1.550 nukleare Sprengköpfe und bis zu 700 strategische Trägersysteme einsatzbereit halten.

Während die USA unter Obama die nukleare Abrüstung propagieren, sieht Moskau in seinen Atomwaffen nach wie vor ein unverzichtbares Instrument gegen die konventionelle Überlegenheit der USA. Deswegen ändert der neue Abrüstungsvertrag aus Moskauer Sicht auch nichts an der Notwendigkeit zur Modernisierung der russischen Armee. Russland liegt daran, sein nukleares Abschreckungspotential im Grundsatz zu erhalten, um unter dessen Schutz aus einer mobilisierungsabhängigen Massenarmee eine jederzeit einsatzbereite, modern ausgerüstete Armee zu machen, in der vorwiegend Zeit- und Berufssoldaten dienen. Die quantitative Abrüstung macht Ressourcen frei für qualitative Verbesserungen des russischen Abschreckungsarsenals; gleichzeitig sollen sie der großen Militärreform zugutekommen, die Moskau gerade angepackt hat, um seine maroden konventionellen Streitkräfte zu modernisieren und der veränderten Sicherheitslage anzupassen. Nach dem Ende des Kalten Krieges schienen die USA für etwa ein Jahrzehnt die unangefochtene Supermacht und Hegemon. Mittlerweile mussten aber auch die Vereinigten Staaten erfahren, dass sie auf Verhandlungs- und Vertragspartner angewiesen sind.

Das Jahrhundert der amerikanischen Dominanz scheint sich seinem Ende zuzuneigen. Das Haushaltsdefizit und die gewaltige Staatsverschuldung gefährdet nicht nur das Vertrauen in den Dollar, sondern auch in die Führungsrolle. Das Platzen der gewaltigen amerikanischen Kredit- und Immobilienblase hat das globale Finanzsystem an den Rand des Abgrunds geführt. Die Totalblockade im Streit um die Anhebung der Schuldengrenze zwischen Demokraten und Republikanern lässt für die Zukunft nicht Gutes hoffen. Welthegemonie auf Pump ist in der Geschichte neu. Washingtons Macht beruht mittlerweile zu einem großen Teil auf geliehenem Geld. Die Staatsschulden der USA haben Ende Dezember 2010 die Marke von 14 Billionen Dollar überschritten. Das Haushaltsdefizit lag somit im vergangenen Jahr bei rund zehn Prozent der Wirtschaftsleistung ? und damit deutlich höher als etwa in Griechenland. Amerikas Massenkonsum wird seit zwei Jahrzehnten bedient durch chinesische Produkte und finanziert durch US-Staatsanleihen in chinesischer Hand. Die Schuldenkrise beschleunigt damit auf dramatische Weise das, was viele Experten für einen langwierigen Prozess gehalten haben: die Machtverschiebung in der Geopolitik. Sie verändert die Balance zwischen den USA und China. Dennoch sollte man sich hüten, nun wie in den 80er Jahren voreilig den Niedergang der USA an die Wand zu malen (school of decline). Auch wenn die Vereinigten Staaten relativ an Macht verlieren werden, bleiben sie doch auf absehbare Zeit ein dominierender politischer und militärstrategisch auf absehbare Zeit sogar der einzige Akteur mit weltweitem Aktionsradius.

Die neue Weltmacht China

Das Jahrzehnt nach 1989 mit nur einer Supermacht war weltgeschichtlich gesehen ein Interregnum, ein "unipolarer Moment" . Was die Amerikaner und die Welt besonders umtreibt, ist die Frage, welche Richtung China in 20, 30 Jahren einschlagen wird. Wird es ein saturiertes Land sein, das sich mehr oder weniger in die von den USA geschaffene Nachkriegsordnung einfügt? Wird es gar einen isolationistischen Weg einschlagen und keinen Beitrag zur internationalen Ordnung leisten wollen? Oder wird es zu militärischen Spannungen kommen? Mit anderen Worten wird China eines Status quo- oder eine revisionistische Weltmacht sein. Der eigentliche Aufsteiger des letzten Jahrzehnts ist China, das seinen Anteil am Weltsozialprodukt zwischen 1999 und 2009 von 1,75 auf beachtliche 8,5 Prozent steigern konnte und 2010 Japan von Platz 2 der Weltwirtschaftsrangliste verdrängt hat. Die jüngste Prognose der US-Regierung lautet, dass das chinesische das US-amerikanische Sozialprodukt im Jahre 2036 übertreffen wird.  Zudem hat China innerhalb kürzester Zeit sein politisches Machtpotenzial als größter Gläubiger der USA massiv ausgebaut. Ohne chinesische Kredite, die inzwischen 20 Prozent der amerikanischen Staatsschulden ausmachen, wäre die Weltmachtrolle der USA so nicht mehr finanzierbar. Das Reich der Mitte ist rotz seiner relativen Aufrüstung aber auch ein Beispiel dafür, dass Atomwaffen als Machtwährung weiter an Bedeutung verlieren könnten. China ist nicht wegen seiner ca. 200 Atomwaffen, sondern aufgrund seiner wirtschaftlichen Erfolge zur Weltmacht und zum Hauptgläubiger der USA geworden. Die Volksrepublik hat bei der Weltbank Deutschland vom Platz drei der Teilhaber verdrängt. All das übersetzt sich in konkrete Machtgewinne.

Bei der Verfolgung seiner geopolitischen Interessen sind der Rohstoff- und Energiehunger zu spüren. Die Einbeziehung Chinas in eine nachhaltige und verantwortungsvolle Politik, zum Beispiel in Afrika und Lateinamerika, aber auch im Klima- und Ressourcenschutz stehen noch ganz am Anfang. Die ständige Mitgliedschaft Chinas im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen setzt bei der Lösung internationaler Konflikte in der Regel die Kooperation Pekings voraus. China hat sich dabei in den letzten Jahren zu einem aktiven Teilnehmer an UN-Friedensoperationen entwickelt und engagiert sich bei der Piratenverfolgung vor der Küste Somalias. Durch die grundsätzliche Zurückhaltung Chinas gegenüber allen Aktionen des Sicherheitsrates, die in die Souveränität anderer Staaten eingreifen, bleibt China im UN-Kontext (Iran-Sanktionen, Nordkorea etc.) oft ein schwieriger Partner ? die Enthaltung bei der Libyen-Resolution 1973 dürfte deshalb wohl eher die Ausnahme von der Regel bleiben. Als Weltmacht der Zukunft wird Peking dasselbe beanspruchen wie die USA: die Sicherung größtmöglicher Mitbestimmung in internationalen Gremien bei gleichzeitiger Wahrung maximaler Handlungsfähigkeit und Unabhängigkeit. Dabei setzt China in seinen internationalen Beziehungen zunehmend auch auf "soft power". Über ein weltweites Netz von Vertretungen, Konfuzius-Instituten, eine aktive chinesische Diaspora in vielen Ländern, kulturpolitische Öffentlichkeitsarbeit, wie zuletzt auf der Frankfurter Buchmesse, Großereignisse in China, wie die Olympischen Spiele 2008 und die EXPO 2010 in Shanghai, versucht das Land, sein internationales Image zu stärken. Zwar zeigt China Bereitschaft zu konstruktiver Mitarbeit an Lösung globaler Fragen, verweist aber bei schwierigen Themen wie bspw. der Klimapolitik nach wie vor auf seinen Status als "Entwicklungsland", um die eigene globale Verantwortung zu relativieren und seiner Rolle als Interessensverwalter der G77 gerecht zu werden. China sieht die G20 zwar als ein wichtiges Instrument für die Reform der internationalen Finanzarchitektur, als Mitglied der Permanent Five ist China jedoch in politischen Fragen grundsätzlich daran interessiert, dass die herausgehobene Funktion des UN-Sicherheitsrates nicht durch eine Vielzahl anderer Gremien in Frage gestellt wird. Doch wenn China Weltmacht sein will, darf es künftig nicht nur mehr Rücksicht verlangen - es muss auch mehr Verantwortung übernehmen.

Die europäischen Nuklearmächte Großbritannien und Frankreich

Für die meisten Europäer, die seit 1989 aus dem nuklearen Schatten herausgetreten sind, ist es nur schwer nachvollziehbar, wie sehr die Atombombe in anderen Weltregionen nach wie vor als die ultimative Machtwährung angesehen wird.  Frankreich und Großbritannien, verfügen seit geraumer Zeit schon aus finanziellen Gründen nur noch über eine Minimalabschreckung, halten aber dennoch am Dispositiv fest. Derzeit verfügt Großbritannien über 225 einsatzbereite Atomsprengköpfe. Zudem plant London eine Modernisierung seiner Nukleararsenals: Rund 30 Mrd. Euro will die Regierung ausgeben, um die gegenwärtige Nuklearstreitmacht Großbritanniens zu modernisieren. Die vier mit je 16 atomaren Trident-D5-Raketen ausgerüsteten U-Boote - "Vanguard", "Victorious", "Vigilant" und "Vengeance" - sollen im Verlaufe der kommenden zwei Jahrzehnte durch eine neue Generation ersetzt werden. Während Großbritannien den amerikanischen Abrüstungsinitiativen durchaus aufgeschlossen gegenübersteht, stößt Obama damit bei der zweiten europäischen Nuklearmacht, Frankreich, nur auf wenig Gegenliebe. Die "Force de Frappe" besteht derzeit aus ca. 300 einsatzbereiten Sprengköpfen. Das Land hat vor Atommacht zu bleiben und will sich zudem nicht in seine Nuklearpolitik reinreden lassen. Es nimmt deshalb auch nicht Wunder, dass die Erklärungen der NATO zum nuklearen Dispositiv in der amerikanischen NPR zurückbleiben. Paris bremst und ist auch nicht bereit, sein Nuklearpotenzial in irgendwelche multilateralen Abrüstungsrunden einzubringen, bevor nicht auch die Vereinigten Staaten und Russland auf jeweils 500 Atomsprengköpfe abgerüstet haben.  Nach wie vor verweigert Frankreich auch jede Zusage, im Konfliktfall nicht als erster Beteiligter Atomwaffen einzusetzen ("no first use"). Auch nach Fukushima steht für Paris fest, dass die Kernkraft eine weltweite Renaissance erfährt. Umso wichtiger sei es, den neuen Interessenten an ihrer zivilen Nutzung den Zugang zu erleichtern, denn darauf beruhe nach wie vor die Legitimität des Atomwaffensperrvertrages. Das sollte insbesondere solche Kerntechnik sein, die ein besonderes Maß an Sicherheit biete. Dass sich Frankreich hier als Lieferant sieht, versteht sich von selbst. Die beiden einzigen europäischen Atommächte planen zudem eine gemeinsame Einsatztruppe für Nato, EU, UNO oder bilaterale Einsätze, die den Umfang einer Brigade haben und mit Luft- und Seeunterstützung ausgerüstet werden soll. Beide Staaten wollen außerdem ihre Flugzeugträger so einrichten, dass sie auch von Militärflugzeugen des anderen Landes genutzt werden können. Der französische Träger "Charles de Gaulle" und das britische Pendant, das derzeit im Bau ist, sollen entsprechend umgebaut werden. Der Hauptgrund für die verstärkte Zusammenarbeit liegt dabei weniger in der Förderung des europäischen Gedankens, sondern ist vielmehr in ökonomischen Zwängen auf beiden Seiten des Ärmelkanals begründet.

Die Europäische Union wird nicht nur daran gemessen werden, wie sie mit der Finanzkrise fertig wird, sondern auch an ihrem weltpolitischen Anspruch. Europa ist immer noch weit davon entfernt, seine gewaltige wirtschaftliche Kraft in politische Potenz umzumünzen. Die europäische Außenpolitik ist durch den Vertrag von Lissabon nicht effizienter, sondern komplizierter geworden - geprägt von Eifersüchteleien zwischen Rat, Kommission und Europäischem Parlament und einer schwachen und strukturell weitgehend machtlosen Lady Ashdon als Karikatur einer europäischen Außenministerin. Zu einer Zeit, wo sich die USA ihre relativen Machtverlustes und ihrer Grenzen bewusst werden und die neuen Mächte bislang kaum eine konstruktive Rolle spielen, würde ein einiges Europa gerade jetzt gebraucht.

Indien, Pakistan und Israel - die informellen de facto-Atommächte

Bei aller Kritik hat der Atomwaffensperrvertrag immerhin erreicht, dass die Zahl der Atommächte die Zehnermarke bis heute nicht überschritten hat. Nur Indien, Pakistan und Israel befinden sich außerhalb des globalen Nichtverbreitungsregimes - Nordkorea hat seinen Austritt erklärt. Demgegenüber haben unter anderem die Ukraine, Belarus, Kasachstan, Südafrika, Brasilien, Argentinien, Taiwan und zuletzt Libyen ihre nuklearen Waffenprogramme beendet bzw. darauf verzichtet solche zu entwickeln. Auch Indien, Pakistan und Israel können jedoch nicht für immer der internationalen Nuklearordnung fernbleiben.

Indiens zivile Atommeiler werden bereits IAEO-Kontrollen unterzogen. Dies ist auch in Pakistan der Fall, wo die IAEO ebenfalls wichtige Unterstützungsleistungen für die Sicherung ziviler nuklearer Anlagen und nuklearer Materialien leistet. Beide Länder wie auch Israel müssen jedoch perspektivisch enger an die nukleare Ordnung angebunden werden. Der indische Nukleardeal war ein Fehler und befördert Nachahmer. Gleichwohl kann er perspektivisch dazu benutzt werden, die künftige Weltmacht näher an das nukleare Nichtverbreitungsregime heranzuführen. Indien hat sein Atomprogramm bereits in einen zivilen und einen militärischen Teil getrennt und die zivilen Anlagen Kontrolleuren der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA zugänglich gemacht. Zudem erklärte sich Neu Delhi bereit, formale Schritte einzuleiten, um das globale Nichtverbreitungsregime zu unterstützen. Tatsächlich unterhöhlt der indisch-amerikanische Atomdeal den Atomwaffensperrvertrag, weil er Indien als neue Atommacht faktisch anerkennt, obwohl es eine sechste Atommacht laut Sperrvertrag nicht geben kann. Im übrigen können Indien wie Pakistan oder Nordkorea einer Global Zero-Vision nichts abgewinnen, müssten sie doch auf einen Status verzichten, den sie sich nur mit größten Mühen verschafft haben. Atomwaffen sind für sie die Trittleiter, die es ihnen ermöglicht, "auf Augenhöhe" mit den offiziellen Atommächten zu sprechen.

Nirgendwo wächst das Atomwaffenarsenal schneller als in Pakistan - das nicht umsonst als das gefährlichste Land der Welt gilt. In weniger als einem Jahrzehnt könnte das chronisch instabile Land zur viertstärksten Atommacht der Welt aufsteigen. Pakistan hat laut übereinstimmenden Schätzungen von Experten sein Arsenal inzwischen auf etwa 100 bis 110 Sprengköpfe aufgestockt und damit seinen Rivalen Indien eingeholt oder sogar hinter sich gelassen, dessen Streitkräfte über 60 bis 100 Nuklearwaffen verfügen sollen. Zudem soll Pakistan genug spaltbares Material - Plutonium und hochangereichertes Uran -  für 40 bis 100 weitere Waffen produziert haben. Die Notwendigkeit dafür hat sich aus Pakistans Sicht durch den indischen Nukleardeal verschärft. Pakistan versucht deshalb mit seinem ambitionierten Atomprogramm ein Gegengewicht zu dem diplomatischen Erfolg Indiens zu schaffen. Verschärft wird die Lage dadurch, dass China beabsichtigt, Pakistan zwei Atomkraftwerke zu liefern, obwohl Islamabad mit seiner Forderung gescheitert ist, wie der indische Rivale ebenfalls eine Ausnahme von Lieferbeschränkungen zu erhalten. Zudem blockiert Pakistan sämtliche Bemühungen der USA, bei der an das Konsensprinzip gebundenen Abrüstungskonferenz in Genf Verhandlungen über einen Vertrag in Gang zu bringen, der die Produktion von spaltbarem Material für Atomwaffen verbieten soll - ein Kernstück der Abrüstungsinitiative von Präsident Obama. Nicht zuletzt die Tatsache, dass Osama bin Laden offenbar fast ein Jahrzehnt ungehindert Zuflucht in der Nähe der pakistanischen Hauptstadt finden konnte hat die amerikanisch-pakistanischen Beziehungen empfindlich belastet.

Trotz seiner Doktrin der "atomaren Zweideutigkeit" gilt es mittlerweile als sicher, dass auch Israel über Atomwaffen verfügt. Zwischen 75 und 200 Nuklearwaffen soll das Land schon Mitte der 1980er Jahre besessen haben und dazu über ein hochentwickeltes Trägersystem verfügen. Damit wäre Israel die fünftgrößte Atommacht der Welt, nach den USA, Russland, Frankreich und China. Israel selbst jedoch hüllt sich bis heute in Schweigen. Dass das Land Atomwaffen besitzt, wird weder bestätigt noch dementiert. Da Israel bis heute dem Atomwaffensperrvertrag nicht angehört, muss auch keine Kontrollen durch die Internationale Atomenergiebehörde in Wien fürchten. Ein Erfolg der von der Überprüfungskonferenz des NVV für 2012 geforderten Konferenz über eine Kernwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten steht und fällt deshalb mit der Kooperationsbereitschaft Israels - impliziert das Vorhaben doch, das Land müsse seine Nuklearwaffen, die es offiziell gar nicht besitzt, aufgeben.

Nordkorea - der nukleare Paria

Neben Pakistan geht derzeit von Nordkorea die wohl größte Proliferationsgefahr aus. Militärexperten schätzen, dass das Land spaltbares Material für zwei bis neun Atombomben des Hiroshima-Typs besitzt. Ein erster Atombombentest im Oktober 2006 wurde von westlichen Experten noch als gescheitert gewertet. Doch am 25. Mai 2009 ließ das Regime in Pjöngjang eine weitere Bombe detonieren. Diesmal erreichte die Sprengkraft 10 bis 20 Kilotonnen TNT - was in etwa der Zerstörungskraft jener Bomben entspricht, die im Zweiten Weltkrieg Hiroshima und Nagasaki verwüstet haben. Seit dem hält sich das Regime in Pjöngjang für unangreifbar - und dies nicht ganz zu Unrecht. Denn die bislang offene Frage, ob Nordkoreas Atomwaffen tatsächlich einsetzbar sind, spielt kaum eine Rolle. Entscheidend ist, ob die internationale Gemeinschaft an die Einsatzfähigkeit glaubt oder nicht. Und dort herrscht überwiegend die Meinung vor, dass man es lieber nicht ausprobieren möchte. Deshalb ist der Abschreckungseffekt bereits vorhanden. Zudem soll Nordkorea über ein gewaltiges Arsenal an chemischen und biologischen Waffen verfügen, die mit Raketen ins Ziel gebracht werden können. Zu Pjöngjangs Arsenal zählen 800 ballistische Raketen und mehr als 1.000 Raketen unterschiedlicher Reichweite. Schon jetzt zählt die Raketentechnik des Landes zu seinen wenigen ? um nicht zu sagen einzigen - erfolgreichen Exportgütern. Iran, Syrien und Pakistan gelten als Pjöngjangs beste Kunden. Am 23. November 2010 beschoss die nordkoreanische Artillerie die südkoreanische Insel Yeonpyeong; vier Menschen, darunter zwei Zivilisten, kamen ums Leben. Nordkoreas ständige Provokationen resultieren auch aus den Schwierigkeiten, die sich aus der geplanten Machtübergabe von Kim Jong Il an dessen jüngsten Sohn Kim Jong Un ergeben. Der Stabwechsel soll bzw. muss trotz des desolaten Zustandes der Wirtschaft erfolgen. Die USA, Japan und Südkorea sind enger zusammengerückt, weil sie Nordkorea immer stärker als Bedrohung wahrnehmen. China hat bislang nur begrenzt eine hilfreiche Rolle gespielt und will Nordkorea nicht fallen lassen. Die Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Nordkorea bleiben beschränkt, sodass Sanktionen und die Wiederaufnahme der Sechsergespräche die besten aller schlechten Optionen bleiben.

Die atomare Schwellenmacht Iran

Iran verfügt derzeit über rund 8.000 Zentrifugen der ersten Generation zur Urananreicherung in seiner Anlage in Natanz im Zentrum des Landes. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte bereits mehrfach Sanktionen gegen Iran erlassen, weil das Land sich seit Jahren weigert mit den internationalen Inspekteuren der IAEA zusammenzuarbeiten. Die Machthaber in Teheran provozierten auch anderweitig die Weltgemeinschaft. So haben sie lange über eine Tauschvereinbarung - die Auslagerung eines Großteils ihres angereicherten Urans gegen Lieferung der Brennstäbe für den Teheraner Reaktor - verhandelt und sind dann doch von dem Deal abgerückt. Entgegen allen Resolutionen des Weltsicherheitsrats reichern sie Uran an. Und nicht nur auf 3,5 Prozent, sondern für die Herstellung der Brennstäbe auf fast 20 Prozent, was einen großen Sprung Richtung Bombenmaterial bedeutet. Allerdings hatte das iranische Atomprogramm in jüngster Zeit eine Reihe von Problemen und Rückschlägen zu beklagen. So stagnieren die Arbeiten in wesentlichen Bereichen - Teheran hat weder die Zahl seiner funktionierenden Zentrifugen noch die Menge des angereicherten Urans deutlich steigern können. Der Computervirus Stuxnet und der Cyber-Krieg dürften der Grund für die Rückschläge sein. Experten gehen davon aus, dass elektronische Wurm rund 1.000 der damals installierten 9.000 Zentrifugen zerstört habe, andere sprechen sogar von 3.000 zerstörten Zentrifugen. Hinter der Attacke sollen Israelis und Amerikaner stehen.  Die Geschichte der iranischen Atomkrise ist eine ermüdende Kette von immer neuen Verhandlungsrunden, Drohungen, gegenseitigen Verdächtigungen und bislang erfolglosen Vermittlungsbemühungen. Immerhin hat Teheran jüngst signalisiert, neue Gespräche mit der IAEA aufzunehmen und den seit 2008 herrschenden Stillstand zu beenden. Ob dies ein echtes Angebot oder die übliche iranische Hinhaltetaktik ist, bleibt jedoch abzuwarten.

Brasilien und Südafrika - die nuklearwaffenfreien Großmächte

Brasilien - und in gewisser Weise auch Südafrika - können als Beispiele dafür gelten, dass man auch ohne Atomwaffen in die Liga der kommenden Groß- und Führungsmächte aufsteigen kann. Beide Länder haben auf ihre Nuklearwaffenprogramme verzichtet. Als Südafrikas Präsident Frederik Willem de Klerk am 24. März 1993 den Verzicht auf die seit 1974 entwickeltem sieben Nuklearsprengköpfe bekannt gab, war dies ein historischer Schritt. Das Land am Kap war die erste Atommacht, die freiwillig auf ihr nukleares Waffenarsenal verzichtete. Im selben Jahr trat Südafrika dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag bei und öffnete vertragsgemäß seine Nuklearanlagen für Inspekteure der Internationalen Atomenergieorganisation IAEA. Mit dem Verzicht Südafrikas war eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einem atomwaffenfreien Afrika aus dem Weg geräumt. Der Vertrag über die "Afrikanische Kernwaffenfreie Zone" (Pelindaba-Vertrag) von 1996 trat am 15. Juli 2009 in Kraft, nachdem Burundi ihn als 28. Staat ratifiziert hatte.

Brasilien ist ein Beispiel für den weltpolitischen Aufstieg ohne die nukleare Machtwährung. Das nach Bevölkerung und Fläche fünfgrößte Land der Welt setzt gerade zum Sprung zur Weltwirtschaftsmacht an. Brasiliens politischer Einfluss in der Welt hat ohne Zweifel zugenommen: Im Welthandel, bei der Klimadiskussion, als Sprecher des Südens bei der G20, zuletzt auch bei geopolitischen Konflikten wie im Fall von Iran - bestimmt Brasilien heute die internationale Agenda mit. Den Aufstieg vom Underdog zum Superstar der Weltbühne verdankt Brasilien einem kräftigen Wirtschaftswachstum seit 2002. Die Wirtschaftsleistung des Landes, das Ende der 90er-Jahre noch vom Internationalen Währungsfonds vor der Staatspleite gerettet werden musste, hat sich in der Amtszeit von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (2003 ? 2010) beinahe verdoppelt. Allein 2010 lag das Plus bei rund sieben Prozent. Bis 2016 dürfte das Land laut Prognosen der Weltbank in die Liga der fünf größten Wirtschaftsmächte aufgestiegen sein. Brasiliens Exportsektor profitiert vor allem von steigenden Rohstoffpreisen. Unter dem ehemaligen Präsident Lula ist das Land zu einem der wichtigsten Agrarexporteure (u.a. Zucker und Rindfleisch) der Welt aufgestiegen. Zudem verfügt das Land über gewaltige Eisenerzvorräte und vor Brasiliens Küsten liegen Quellen mit geschätzt 8000 bis 12.000 Milliarden Liter Öl. Sowohl Brasilien als auch Argentinien betrieben bis in die frühen neunziger Jahre ambitionierte atomare Forschungsprogramme und arbeiteten auch an der Entwicklung von Nuklearwaffen bevor beide Länder den Plänen, Massenvernichtungswaffen zu produzieren, öffentlich abschworen. Im Dezember 2008 verabschiedete Brasilien einen neuen nationalen Sicherheitsplan. Danach ist es erklärtes Ziel, Uran anzureichern und Atom-U-Boote zu betreiben. Dies soll jedoch in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern - darunter Argentinien - geschehen. Die Nachbarländer wollen in Zukunft gemeinsam einen Kernreaktor betreiben und Uran anreichern. Brasilien betreibt bereits zwei große Kernkraftwerke, bis 2013 soll ein drittes hinzukommen - und bis 2050 sind 50 kleinere Meiler für den großen Nordosten des Landes geplant. Im Rahmen der neuen nationalen Verteidigungsstrategie soll Brasilien erstmals ein Atom-U-Boot, neue konventionelle Unter- und Überwasserboote sowie Hunderte Hubschrauber, Kampfflugzeuge, Raketen und ein neues Satellitensystem bekommen. 2006 hat das Land eine Urananreicherungsanlage in Betrieb genommen und beherrscht seither den vollständigen Brennstoffkreislauf. Die IAEA hat hier nur begrenzte Kontrollrechte. Fukushima zum Trotz - setzt Lateinamerika auch in Zukunft weiter auf die Atomkraft. Angesichts der dual-use-Gefahren muss auch in Zukunft auf Brasilien geachtet werden. Doch gerade eine stabile demokratische Ordnung begünstigt das Bekenntnis zur Kernwaffenfreiheit.

Die abnehmende Bedeutung der nuklearen Machtwährung

Die Atombombe ist die klassische Waffe aus der Zeit des Mächtegleichgewichts. Sie wird angesichts der neuen Konfliktszenarien zunehmend obsolet. Mit welcher Begründung können Atomwaffen mit ihrem unvorstellbaren Zerstörungspotential noch eine sicherheitspolitische Option sein? In einer multipolaren Welt können sie weder sinnvoll eingesetzt werden, noch glaubhaft abschrecken. Nukleare Abschreckung ist gegenüber den neuen Bedrohungen wirkungslos. Cyberwar-Angriffe und terroristische Attacken, failed states, Ressourcenknappheit und Umweltprobleme lassen sich nicht nuklear abschrecken. Atomwaffen werden weiter ihre Funktion verlieren. In den Augen der meisten Staaten dürften sie sich auf Dauer als zu teuer und zu ineffizient erweisen. Hinzu kommt die zunehmende Unmöglichkeit, atomare Drohungen zur Erreichung politischer oder wirtschaftlicher Ziele zu benutzen. Bei den Kriegen der Franzosen in Algerien, der USA in Vietnam und Afghanistan, Indiens in Sri Lanka und der NATO im ehemaligen Jugoslawien spielte der Besitz von Nuklearwaffen de facto kein Rolle. Mit anderen Worten: Atomwaffen sind wirkungslos, weil ihr Einsatz unglaubwürdig und unverhältnismäßig ist. Es gibt keinen verhältnismäßigen Einsatz von Atomwaffen - nur als Reaktion auf einen Angriff mit Atomwaffen. Die Atombombe verleiht also nicht per se mehr Macht. Und die Macht die sie verleiht ist keine Gestaltungmacht, sondern Verhinderungs- und Abschreckungsmacht. "Es mehren sich also immer mehr die deutlichen Anzeichen für die zunehmende politische Impotenz und die Unanwendbarkeit der Atomwaffen."  Es bleibt deshalb zu hoffen, dass sich unter den Groß- und Weltmächten der Zukunft diese Erkenntnis durchzusetzen und ein "nukleares Lernen" beginnt. Der atomare Verzicht Brasiliens und die relativ geringe Bedeutung, die die künftige Weltmacht China bisher den Nuklearwaffen beimisst, stimmen diesbezüglich hoffnungsvoll. Trotz der enormen Bestände auf Seiten der USA und Russlands und trotz der konkreten Proliferationsgefahren spricht einiges dafür, dass Bombe künftig nicht mehr zwangsläufig zu den künftigen Insignien einer Großmacht gehören wird. Eine moderne Weltmacht muss, um in der Zukunft bestehen zu können, mehr sein als es die bisherigen historischen Welt- und Supermächte waren. Militärische Macht spielt eine zunehmend geringere Bedeutung. Die Weltmächte der Zukunft brauchen andere Fähigkeiten: Soft power, Friedens- und Stabilisierungsfähigkeiten, die Einbindung in kooperative Sicherheitssysteme, die Fähigkeit zur regionalen Zusammenarbeit und die Bereitschaft internationale Verantwortung zu nehmen, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder von Regionalbündnissen.

Wie sichern Großmächte ihren Großmachtstatus, wenn die nukleare Abschreckung entfällt? Würde dann nicht die Hemmschwelle zum Einsatz herkömmlicher Waffen sinken? Denn zöge man Atomwaffen als "große Gleichmacher" aus den Machtbalancen heraus, sagen Global-Zero-Gegner wie Lee Willett vom britischen Royal United Services Institute (RUSI), dann neigten sich die militärischen Waagschalen bedrohlich zugunsten der übermächtigen USA. Vor allem China und Russland sähen sich in einer nuklearwaffenfreien Welt erst einmal gezwungen, ihre Luftwaffen, Flotten und Geschütze der konventionellen Feuerkraft Amerikas anzupassen. Globale atomare Abrüstung würde damit automatisch zu einer Aufrüstung mit konventionellen Waffen führen, die im Gegensatz zur Atombombe auch eingesetzt würden. Willet hält Global Zero deshalb geradezu für gefährlich.  Richtig ist: Ohne verlässliche regionale Sicherheitsabkommen ist Global Zero undenkbar. Wenn es ein positives Erbe des Kalten Krieges gibt, dann ist es das System der vertraglich abgestützten Abrüstung und Rüstungskontrolle mit umfangreichen Verifikationsmechanismen und Inspektionsregimen. Entscheidend für eine atomwaffenfreie Zukunft sind weder seitenlange Dokumente noch wohlfeile Absichtserklärungen, sondern einzig und allein der politische Wille der Nuklearmächte - und hier allen voran der USA und Russlands. Solange diese nicht substanziell ihre Atomwaffen reduzieren bleibt die Vision von einer nuklearwaffenfreien Welt ein frommer Wunsch. Zudem sollte man über der atomaren Frage die aktuellen Steigerungen der weltweiten Rüstungsausgaben nicht aus den Augen verlieren. Denn de Friedensdividende nach dem Kalten Krieg war nur von kurzer Dauer. Gemessen an den Rüstungsausgaben ist die Welt heute so unsicher wie seit zwanzig Jahren nicht. Mit weltweit rund 1,2 Billionen Euro haben die Ausgaben 2009 ein neues Hoch erreicht.  Global Zero kann deshalb nur ein erster Schritt hin auf eine Welt ohne Atomwaffen sein, wenn parallel dazu auch die Abrüstung und die Rüstungskontrollregime im Bereich der konventionellen Waffen bis hin zu den Minen und den Klein- und Handfeuerwaffen gestärkt und ausgebaut werden.

Ausblick auf die Welt von morgen

1989/91 war ein Umbruch, der den Übergang vom 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Ideologien, ins nachideologische 21. markiert, das wie das vorideologische "lange 19. Jahrhundert" wieder verstärkt von interessenorientierter Großmachtpolitik geprägt ist.  Die Welt des zwanzigsten Jahrhunderts war ideologisch, und sie war, in der zweiten Hälfte, bipolar: geteilt in einen liberal-kapitalistischen und einen autoritär-sozialistischen Weltteil, der sich um jeweils eine Weltmacht gruppierte. An diesen beiden Machtzentren hatten die anderen Staaten sich auszurichten wie die Magnetnadel in einem Kompass. Nach dem relativen Machtverlust der USA könnte die internationale Politik in Zukunft wieder mehr einem Konzert der Mächte ähneln, wie es das Europa des 19. Jahrhunderts kannte.  China, Indien, Brasilien, Russland, die EU und vielleicht sogar künftig die USA werden keine alles überstrahlenden Weltmächte sein, sondern eher Großmächte im klassischen Sinn; mit Abstufungen, in unterschiedlicher Rangfolge, aber alle mit dem Anspruch auf selbstständige Mitgestaltung der Weltordnung, nicht jedoch auf Vorherrschaft. Und auch diese Mächte werden sich, wie Briten, Deutsche und Franzosen vor hundert und mehr Jahren, auf die Dauer in ihrer Politik keine großen ideologischen Rücksichten erlauben können. Zu groß sind die wechselseitigen Abhängigkeiten, Europas von russischer Energie, Russlands von europäischen Investoren, Amerikas von chinesischem Kapital, Chinas vom amerikanischen Absatzmarkt - und so fort. Hinzu kommen globale Herausforderungen, Klimaschutz, Terrorbekämpfung, Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, die nur im Verbund der großen Mächte zu lösen sind. Kurz: Die neue Welt ist nicht in Blöcke eingeteilt, sie ist offen, unideologisch, politisch und wirtschaftlich vernetzt. Die Weltordnung wird von mehr Mächten getragen als je zuvor - aber gleichzeitig nur von wenigen in ihrem Bestand garantiert.

Mit anderen Worten: Trotz der nach wie vor bestehenden absoluten Überlegenheit des Westens (EU, USA und Japan) verteilen sich die Gewichte im entstehenden multipolaren System neu. Die Macht internationaler Organisationen verringert sich dabei zunehmend zu Gunsten von formellen und informellen Staatenclubs wie G 2, G 8 oder G 20. Nach Pittsburgh hofften viele, die G 20 könnten die aufsteigenden Mächte des Ostens und des Südens zu Mitgestaltern einer zu entwerfenden neuen Weltordnung machen. Das, was vielen hierbei vorschwebt, könnte man eine Art "Metternich-Lösung" nennen "quasi einen globalisierten Wiener Kongress", ein globales Konzert der Mächte bei dem sich US-Amerikaner und Asiaten, Europäer und Afrikaner, Lateinamerikaner und Russen zusammensetzen, um beispielsweise eine international verbindliche Finanzmarktsteuer durchzusetzen.

Die Rückkehr Chinas auf die Weltbühne, nach zwei Jahrhunderten Auszeit, der Aufstieg Indiens und die Wiederkehr Russlands als Rohstoffweltmacht, verlangen ein neues, globales Management der internationalen Beziehungen, von Rüstung und Rüstungskontrolle bis zu Copyright und Sicherung von Rechtsräumen. Die Gipfeltreffen im Rahmen der G 20 sind zum wichtigsten globalen Forum geworden, um die internationale Reaktion auf die Krise des globalen Finanzsystems abzustimmen. Am Aufstieg der G 20 wird die gewachsene wirtschaftliche und politische Bedeutung der Schwellenländer deutlich, allen voran China und Indien. Die Mitglieder der G 20 repräsentieren rund zwei Drittel der Weltbevölkerung und fast 90 Prozent der Wirtschaftskraft. Trotz alledem drohen die G 20, die nach dem Lehman-Crash 2008 einen kurzen Moment lang als eine Art neue Weltregierung gefeiert wurden, zu einer weiteren Standardnummer im alljährlichen Gipfelzirkus zu werden. Zudem fehlt ihnen etwas Entscheidendes. Nämlich die völkerrechtliche Legitimation der Vereinten Nationen und des UN-Sicherheitsrates.

Handeln - jetzt!

Seit 1989 wurden ständig neue Epochen proklamiert: ein liberal-demokratisches Ende der Geschichte (Francis Fukuyama), ein Kampf der Kulturen (Samuel P. Huntington), eine Epoche der »neuen Kriege« (Herfried Münkler) und infolge des 11. September 2001 der "Krieg gegen den islamistischen Terrorismus" (George W. Bush). Die kommenden Dekade wird zeigen, ob die alten, westlichen Mächte und die Aufsteiger um China, Indien und Brasilien in einen Nullsummen-Wettbewerb um knapper werdende Ressourcen, Märkte, Macht und Verbündete abgleiten, oder es im kooperativen Rahmen (der G 20) gelingt, ein Klima zu schaffen, mit dem die Menschheitsaufgaben des 21. Jahrhunderts zu bewältigen sind. Die offiziellen Atommächte des Kernwaffensperrvertrages könnten das Ihrige dazu beitragen, indem sie zeigen, dass sie aus der Geschichte des Kalten Krieges die richtigen Lehren gezogen haben und Atomwaffen weltweit abrüsten, abschaffen und ächten.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Oder: Wie wir lernen, auf die Bombe zu verzichten
Veröffentlicht: 
WeltTrends Spezial 5 (2011), Sonderheft November 2011