Iran, die neuen Medien und die Grenzen der Auswärtigen Kulturpolitik

Das Thema "Auswärtige Kulturpolitik", neue Medien und Iran wirft eine grundsätzliche Frage auf, die sich nicht nur der deutschen Außenpolitik stellt: Wie geht man mit einem Regime um, dass elementare Grund- und Menschenrechte verletzt und missachtet? Dies ist naturgemäß ein schmaler und zumeist (innen)politisch heftig umstrittener Grad. Prangert man das Fehlverhalten öffentlich an - oder versucht man im Hintergrund die diplomatischen Fäden zu ziehen, um konkrete Erfolge im Einzelfall zu erreichen? Lässt sich die iranische Atomkrise mit Zuckerbrot oder Peitsche "lösen"? Oder mit einer Kombination aus diplomatischen und ökonomischen Anreizen sowie Sanktionen verbunden mit militärischer Eindämmung? Redet man mit den Machthabern oder isoliert man sie international? Wann schlägt der "Wandel durch Annäherung" in Anbiederung um? Ist es nicht heuchlerisch die Todesstrafe im Iran anzuprangern, während man im Fall der USA dazu meist verschämt schweigt?

All dies sind Fragen mit denen der Deutsche Bundestag und die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses ständig konfrontiert sind und waren. Es sind die selben Fragen, die sich heute auch im Umgang mit China stellen und die in der Vergangenheit die Debatte um die neue Ost- und Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion begleiteten. Jede Delegation deutscher Parlamentarier, die in den Iran reist, muss sich kritische Fragen und Vorhaltungen von Dissidenten- und Menschenrechtsgruppen gefallen lassen - diese dürfen und können gleichwohl nicht als einzige Entscheidungsgrundlage dienen. Ich bin davon überzeugt, dass man gerade bei schwierigen Partnern die Gesprächskanäle offen halten muss. Natürlich gerät man bei Staaten wie Iran, China, Nordkorea und Saudi-Arabien relativ schnell auch an die Grenzen der auswärtigen Diplomatie und der auswärtigen Kulturpolitik.

Auch wenn ich als außen- und ehemals abrüstungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion in erster Linie mit der iranischen Atomkrise befasst war und bin, sind mir die menschenrechtlichen Fragen durchaus vertraut. So konnte ich u.a. im meiner Funktion als Vorsitzender der Deutsch-Iranischen Parlamentariergruppe den deutschen Staatsbürgers Donald Klein, der Ende 2005 in iranische Hoheitsgewässer geriet und verhaftet wurde,  im Teheraner Evin-Gefängnis besuchen und die Gespräche über seine Freilassung begleiten. Auch die Entlassung des türkischstämmigen Kölner Schriftsteller Dogan Akhanli aus türkischer Untersuchungshaft ist ein Erfolg des öffentlichen Drucks - auch aus dem Deutschen Bundestag.

Iran und das Internet

Das Internet und der freie Zugang zu den neuen Medien birgt Chancen und Risiken ? und dies nicht nur für die Staaten, die die Organisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) zu den "Feinden des Internets" zählt. Hierzu gehören neben Iran auch Birma, China, Kuba, Ägypten, Nordkorea, Saudi Arabien, Syrien, Tunesien, Turkmenistan, Usbekistan und Vietnam. "Diese Staaten haben das Internet zu einem Intranet gemacht, um damit die Bevölkerung am Zugang zu "unerwünschten" Online-Informationen zu hindern", kritisiert ROG. Aber auch für die demokratische Welt birgt das Internet Gefahren. Die Wikileaks-Veröffentlichungen stellen die amerikanische Diplomatie zweifelsohne vor ein riesiges Problem. Der Schutz kritischer Infrastrukturen und geheimer Informationen ist zu einem zentralen Faktor der nationalen und internationalen Sicherheit geworden.  Selbst die NATO befasst sich mittlerweile in ihrem neuen strategischen Konzept mit "Cyberwar" und den Problemen und Herausforderungen der elektronischen Kriegsführung.

Was hat der Einsatz der neuen Medien für die iranische Gesellschaft bewirkt? Und welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich für die Auswärtige Kulturpolitik?
 
Für die "Reporter ohne Grenzen" ist Iran der mit Abstand "größte Feind des Internets" im Nahen Osten: Regelmäßig werden Blogger/innen festgenommen. Nach offiziellen Angaben haben die iranischen Behörden allein im Jahr 2009 fünf Millionen Webseiten sperren lassen. Neben der Überwachung und Kontrolle von Online-Informationen und Nachrichten werden unliebsame Internetnutzer/innen systematisch verfolgt. Mit Zensur und Propaganda versucht die iranische Regierung, die Kontrolle über die öffentliche Wahrnehmung der Islamischen Republik Iran zu behalten. Über das Internet und private Netzwerke halten junge iranische Journalisten und Bürgerrechtler dagegen. Sie berichten in Blogs, in den digitalen Netzwerken wie Facebook und Twitter sowie über E-Mail-Verteiler u.a. über Demonstrationen und Gewalt der Sicherheitskräfte. Die iranische Regierung hingegen versucht immer wieder, die privaten Nachrichtenkanäle zu kappen. Das Internet wurde verlangsamt, die SMS-Funktion der Handys abgeschaltet, ein BBC-Programm, das auf Farsi sendet, verboten und auch das Iran-Programm der Deutschen Welle wird immer wieder zensiert und abgeschaltet.

Im Gegensatz zu anderen autoritären Regimen des Nahen Ostens verfügt Iran über eine gut ausgebildete Mittelschicht und zumindest in den Städten über ein selbstbewusstes Bürgertum. Dies macht eine totale Kontrolle, die es ohnedies nie geben kann, äußerst schwierig. Iran steht an der Spitze der Internetnutzer im Nahen Osten. Bis zu 35 Prozent der Bevölkerung nutzen das Netz regelmäßig. Allein in der Hauptstadt Teheran gibt es mehr als 4.000 Internetcafés und fast zehn Millionen Menschen im Land, die täglich mehrere Stunden am Tag online sind. Alle Versuche der Zensurbehörde, die Kommunikation im Internet unter Kontrolle zu bringen, sind bislang gescheitert. Selbstverständlich ist das Internet nicht nur ein Medium der Opposition, sondern wie überall in erster Linie ein Forum für die unterschiedlichen Arten der Kommunikation, von Lyrik über Kochrezepte bis zum Alltagstratsch. Dabei gibt es natürlich ein Gefälle zwischen Stadt und Land, reich und arm. Das Internet wird vor allem von der städtischen Mittelschicht in Privathaushalten genutzt. Interessanterweise gehörten die Mullahs, der schiitische Klerus, zu den ersten Nutzern des Internets in Iran. Sie haben sehr früh angefangen, religiöse Texte und auch Fatwas im Netz zu veröffentlichen, um diese ihren Anhängern zugänglich zu machen. Auch die staatlichen Institutionen - Ministerien, Parlament, der Präsident - haben eigene Internetseiten, auf denen sie über ihre Aktivitäten berichten.

Die Iraner zählen zu den aktivsten Bloggern weltweit. Auch wenn Bloggen allein den autoritären Staat nicht reformieren wird können, ist das Internet doch ein entscheidendes Medium für Opposition und Zivilgesellschaft in Iran. Seit Sommer 2009 ist es der iranischen Regierung trotz verschärftem Terror nicht gelungen, die iranische Oppositionsbewegung einzudämmen. Das wird auch im Internet deutlich, wo die Zahl der oppositionellen Webseiten wächst. Im Juni 2009 galt das Land als Hort der "Twitter Revolution". Hier wurden Treffpunkte und Uhrzeiten für Kundgebungen vereinbart, aber auch Meldungen über Verhaftete, Verletzte und Tote ausgetauscht. Proteste nach der gefälschten Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadineschad wurden über den Kurznachrichtendienst, Blogs und Facebook organisiert, das YouTube-Video der sterbenden Demonstrantin Neda Agha-Soltan machte sie zum Symbol der iranischen Revolution. Es war die Rede von einer mächtigen kritischen Öffentlichkeit, die vielleicht das Regime stürzen könnte - eine Hoffnung, die sich als trügerisch erwies. Die anfängliche Euphorie über die Macht der neuen Medien ist mittlerweile verflogen. Heute wird im Gegenteil kritisch und resigniert gefragt, ob der "Twitterfrühling" im Sommer 2009 nicht im Gegenteil eine virtuelle Scheinwelt war, die mit der Realität im Land nur wenig zu tun hatte?

Möglichkeiten und Grenzen der Außenpolitik

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass den Möglichkeiten von außen die freie und objektive Berichterstattung zu fördern, enge Grenzen gesetzt sind. Es gibt natürlich die Arbeit der politischen Stiftungen, die Goethe-Institute und verschiedene Instrumentarien des Austausches in der Wissenschaft und im Jugenbereich. Wichtiger sind jedoch die privaten NGO?s wie das in den USA ansässige "Tehran Bureau", ein Online-Projekt amerikanischer und iranischer Journalisten, die sich zum Ziel gesetzt haben, journalistisch fundierte Berichte aus dem Iran zu liefern, die in klassischen Medien bisher nicht zu finden sind. Auch die Gemeinde der Bahai, die im Iran verfolgt und ausgegrenzt werden, verfolgen eine rege und in Teilen durchaus erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit. 

Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist und bleibt trotz ihrer offensichtlichen Grenzen dennoch ein wichtiges Instrument, welches unter Außenminister Frank-Walter Steinmeier nachdrücklich gefördert und gestärkt wurde. Leider schickt sich das Auswärtige Amt unter Guido Westerwelle derzeit an, die Errungenschaften wieder rückgängig zu machen. Dies ist m.E. jedoch ein verhängnisvolle Fehler. Durch die Auswärtige Kulturpolitik gewinnt unser Land wichtige und verlässliche Partner in der Welt. Stabile internationale Beziehungen bedürfen eines kulturellen Fundaments. Ein intensiv und offen geführter Kulturdialog ? auch und gerade mit der islamischen Welt ? kann verhindern helfen, dass aus kulturellen Unterschieden Konfrontation und Gewalt erwachsen. Entscheidend ist dabei das Bemühen um Dialog und Austausch, um das Verständnis für kulturelle Unterschiede, aber auch die Erkenntnis der uns verbindenden Gemeinsamkeiten und der Anerkennung universeller Werte. Übergeordnete Ziel des Austausches mit Iran muss sein, durch praktische Maßnahmen zivilgesellschaftliche Kräfte zu stärken, die sich für Frieden, Demokratie und Menschenrechte einsetzen. Dies ist mühsam aber alternativlos.
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Beitrag zur Schriftenreihe "Kultur und Außenpolitik" des Instituts für Auslandsbeziehungen e.V. (ifa) in Kooperation mit der Deutschen Welle (DW).
Veröffentlicht: 
ifa-Edition Kultur und Außenpolitik, "Iran un die neuen Medien - Herausforderungen für den Auslandsrundfunk", Stuttgart, 2011, S. 122-124