Liga der Demokratien: "Gerechtigkeitsliga" oder "unheilige Allianz"?
Unabhängig davon, ob der nächste amerikanische Präsident McCain oder Obama heißen wird, sollte sich Europa auf eine Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik einstellen, die vor allem die engsten demokratischen Verbündeten stärker in die Pflicht nehmen wird. So hat der republikanische Präsidentschaftskandidat Senator McCain kürzlich in einem Artikel die Idee der Gründung einer "Liga der Demokratien" ins Spiel gebracht. Diese solle die Vereinten Nationen "nicht verdrängen, sondern ergänzen" und immer dann tätig werden, wenn "diese versagen". Damit greift McCain stellvertretend eine Debatte auf, die sich seit Präsident Woodrow Wilson den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg 1917 damit begründete "die Welt für die Demokratie sicherer zu machen" wie ein roter Faden durch die amerikanische Außenpolitik zieht.
Diese Strategie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch das Konzept der Eindämmung (Containment) des sowjetischen Kommunismus und seiner Satelliten ergänzt - oft auch zu Lasten der Demokratisierung. Denn bei der Wahl ihrer Bündnispartner waren die USA während des Kalten Krieges nicht besonders wählerisch. Getreu dem Prinzip "der Feind meines Feindes ist mein Freund" wurden auch Diktaturen und selbst die afghanischen Taliban unterstützt, sofern sie nur 2antikommunistisch" waren.
1993 schlug Bill Clintons Sicherheitsberater, Antony Lake, als neue Strategie die "Ausdehnung der Demokratie" (enlargement of democracies) anstelle der Kalten Kriegs-Strategie der Eindämmung des Kommunismus (Containment of communism) vor. Am 27. September 1993 hielt Clinton eine Grundsatzrede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, wo er das Konzept der "Ausweitung der Demokratien" als Friedensstrategie vorstellte. Nachdem die USA während der gesamten Dauer des Kalten Krieges die sowjetische Bedrohung der "freien Welt" erfolgreich eingedämmt hätten, sollten sie nunmehr versuchen, ihr Einflussgebiet durch die "Ausdehnung der freien Weltgemeinschaft der Marktdemokratien" zu erweitern. Auch die Erweiterungsrunden von NATO und EU folgten dieser Logik. Die Unterstützung der Ausbreitung von Demokratien schloss allerdings auch "die humanitäre Intervention" beispielsweise in Bosnien nicht aus. Ebenfalls begründete George W. Bush den Krieg im Irak - neben den nicht vorhandenen Massenvernichtungswaffen - mit dem Argument, dass dadurch eine Welle der Demokratisierung den gesamten Nahen Osten erfassen würde, eine Erwartung, die sich nicht erfüllte.
Dabei ist der Grundgedanke durchaus richtig. Nicht viele theoretische und akademische Konzepte sind eine Orientierung für die Politik geworden. Ein Konzept, dem dies gelang, ist die Theorie vom demokratischen Frieden. Der dort postulierte Zusammenhang zwischen internationaler Friedfertigkeit und rechtsstaatlicher Demokratie bzw. republikanischer Verfassung findet sich ansatzweise schon bei Machiavelli, Montesquieu, Rousseau und Kant. In den siebziger Jahren führte dann David Singer ein großangelegtes statistisch-empirisch angelegtes Projekt über Kriegsursachen seit 1816 ("The Correlates of War") durch. Eines der wenigen wirklich relevanten Ergebnisse war die Erkenntnis, dass Demokratien in viele Kriege verwickelt sind, nicht aber gegen Demokratien ? pikanterweise ist eine der wenigen Ausnahmen der Unabhängigkeitskrieg der USA gegen Großbritannien. M.a.W.: In einer Welt, die nur aus Demokratien bestünde, gäbe es zwar Konflikte, diese würden aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr kriegerisch ausgetragen - wobei die Frage, wodurch sich eine Demokratie eigentlich definiert, noch genauer zu klären wäre. So steigt laut Transformationsindex der Bertelsmann-Stiftung zwar die Zahl der formalen Demokratien ständig an, dies sage allerdings noch nichts über deren Qualität aus. So sind bei vielen Demokratien noch erhebliche Mängel des Rechtssystems oder bei der Teilhabe zu beobachten. Frieden durch Demokratisierung ist somit eine durchaus erfolgversprechende Strategie, die jedoch nicht außerhalb, sondern innerhalb des Systems der Vereinten Nationen verfolgt werden muss.
Ansätze für ein globales Bündnis demokratischer Staaten gibt es bereits: So wurde 2000 auf Initiative der USA in Warschau eine "Gemeinschaft der Demokratien" gegründet, ein loser Zusammenschluss liberal-demokratischer Staaten. Die Gemeinschaft setzt sich zum Ziel, demokratische Werte zu verbreiten, demokratische Institutionen und Prozesse zu stärken und in absehbarer Zeit "Koalitionen der Demokratien" in den bestehenden internationalen Institutionen zu bilden. Die Schlusserklärung wurde von über 100 Staaten - notabene einer absoluten Mehrheit der UN-Mitglieder - unterzeichnet. 2002 wurde auf einer Ministerkonferenz in Seoul ein Aktionsplan verabschiedet, der 2005 auf einer Folgekonferenz in Chile evaluiert wurde. Auch Deutschland ist Mitglied dieser lockeren Gemeinschaft. Das letzte Treffen fand im November 2007 in Mali statt.
Was stellt sich nun die amerikanische Politik konkret unter einer "Liga der Demokratien" vor? Eine um Brasilien, Neuseeland, Australien und Japan erweiterte globale NATO? Eine "Koalition der Willigen", wie sie schon im Irak- oder Afghanistan-Krieg zum Einsatz kam? Geht es ihr dabei um eine Stärkung oder nicht doch um eine Entmachtung bzw. Umgehung der UNO - genauer des UN-Sicherheitsrates? Sollen Länder wie Russland oder die VR China isoliert werden? Die Absicht dahinter ist nicht schwer zu erkennen. Die USA empfinden die Vereinten Nationen - die sie im Übrigen maßgeblich mitbegründet haben - zunehmend als Last. Nicht nur die Regierung, sondern auch der Kongress und die amerikanische Öffentlichkeit stehen den Vereinten Nationen zutiefst skeptisch gegenüber. Man will sich auf keinen Fall seine Handlungsfähigkeit von der latent handlungsunfähigen ?Quasselbude? am East River einschränken lassen, in der Diktaturen - zumindest formal - das gleiche Stimmrecht haben wie die Weltmacht. Die immer wieder lancierte Idee einer Liga der Demokratien hat deshalb durchaus auch das Ziel die Vereinten Nationen zu delegitimieren. Es wäre jedenfalls verhängnisvoll, wenn sich dieses Bündnis der Demokratien zu einem exklusiven Club entwickeln würde, der Staaten von Entscheidungsprozessen ausschließt und eine Zweiklassengesellschaft begründet. Sicherheitsfragen, wie der Klimawandel, Entwicklungsfragen, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Rüstungskontrolle usw. können ohne die Einbeziehung großer Staaten, vor allem der VR China und Russland nicht bearbeitet werden.
Die letztendliche Verantwortung für Sicherheit und Frieden liegt nach wie vor beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Mächtige Staaten, Regionalorganisationen oder eine "Koalition der Willigen" können hingegen nicht für sich in Anspruch nehmen, über Krieg und Frieden zu entscheiden. Sie dürfen nur dann handeln, wenn eine entsprechende Ermächtigung des Sicherheitsrates vorliegt. Das bereits Erreichte sollte deshalb nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Man sollte bei aller Kritik auch nicht vergessen, dass noch bis zum Briand-Kellog-Pakt im Jahre 1928, Krieg als legitimes Mittel im Verkehr zwischen Staaten galt. Die Übertragung des Gewaltmonopols vom Nationalstaat auf eine internationale Organisation war die richtige Konsequenz aus zahllosen Kriegen - auch wenn sie in vielen Fällen nur auf dem Papier steht, das bekannter Weise geduldig ist. Um die Effizienz der Vereinten Nationen zu erhöhen, bedarf es weit gehender Reformen. Dies ist ein mühsames Unterfangen, an dem sich vor allem die Vetomächte des UN-Sicherheitsrates beteiligen müssen. Ohne die Unterstützung der mächtigsten Staaten der Erde, allen voran die USA, werden die Vereinten Nationen auch in Zukunft nur bedingt handlungsfähig bleiben. Sollte das "Gewaltmonopol" des Weltsicherheitsrat durch eine wie auch immer gestaltete "Gerechtigkeitsliga" der Demokratien ersetzt oder weiter ausgehöhlt werden, würde dies die Welt nicht sicherer machen, sondern der Willkür Tür und Tor öffnen.
Dr. Rolf Mützenich, MdB, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, abrüstungs- und nahostpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion